Bärbel Beinhauer-Köhler: Gelenkte Blicke

Einzelrezension
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Rezensiert von Anna-Katharina Höpflinger

Einzelrezension
Der Streit um die sogenannten Mohammed-Karikaturen oder die Zerstörung der Buddha-Figuren in Pakistan lässt bisweilen die visuelle Seite des Islam in den Hintergrund treten. Dass visuelle Kulturen jedoch auch in dieser Religion eine wichtige und farbenfrohe Rolle einnehmen, zeigt Bärbel Beinhauer-Köhler in ihrem Buch Gelenkte Blicke auf, wobei sie auf die Rekonstruktion der innerislamischen habituellen Umgangsformen mit dem Sichtbaren fokussiert (11).

Beinhauer-Köhler beginnt ihre Untersuchung mit dem Eingangskapitel “Perspektiven” (9–27). Darin führt die Autorin die Lesenden sorgfältig an ihren theoretischen und methodischen Zugang heran und bietet einen einführenden komparativen Blick auf die Bedeutung von Visualität in ausgewählten Religionen. Anhand fünf unterschiedlicher Schwerpunkte werden im anschließenden Hauptteil der Arbeit ausgewählte Blickkulturen im Islam rekonstruiert. Die gewonnenen Erkenntnisse werden am Ende im Schlusskapitel “Einsichten und Ausblicke” (149–156) synthetisiert und fundiert reflektiert.

Das erste Kapitel des Hauptteils beschäftigt sich mit “orthodoxen Blickkulturen” (29–55). Beinhauer-Köhler geht hier dem Umgang islamischer Theologien mit Bildern nach und hebt das breite Spektrum emischer Blickweisen hervor. Im Abschnitt “Populäre Kulturen des Blickes” (57–89) steht die Bedeutung von Bildern im popularen und populären Islam im Zentrum, wobei neben visueller Magie und dem Problem der Idolatrie auch unterschiedliche volkstümliche Bildpraktiken angesprochen werden. Am Ende dieses Kapitels werden in historischer und gegenwärtiger Sicht zu findende Blickweisen des Islams in China diskutiert.

Die dritte Fokussierung widmet sich “habituellen Blicken” (91–112). Ausgehend von Pierre Bourdieus Habitus-Konzept sowie anhand der Kategorien Scham/Ehre, Kleidung und Wohnformen werden Konstruktionen des Körpers sowie damit verbundener Blickpraktiken rekonstruiert. Das folgende Kapitel mit dem Titel “Blickverschiebungen” (113–129) widmet sich in drei Schritten (Miniaturen der Moghule;  Blickkulturen osmanischer Orientalisten und eines europäischen Orientalen im 19. Jh.; internationale moderne Kunst) diachronen Transformationsprozessen islamischer Blickkulturen, wobei immer wieder auf Interdependenzen zwischen ‘östlichen’ und ‘westlichen’ Blick- und Bildpraktiken verwiesen wird.

Der fünfte und letzte Einblick fokussiert auf “Bilder, die bewegen” (131–148) und bringt die Frage nach der Verbindung von habituellen Umgangsformen mit Emotionen ins Spiel. Hier wird thematisiert, auf welchen emotionalen Grundlagen die untersuchten Blickkulturen basieren und welche emotionsbasierten Funktionen mit Bildwelten verbunden sind. Am Ende dieses Kapitels wird den Lesenden deutlich vor Augen geführt, weshalb gewisse Reaktionen, z. B. auf die dänischen Mohammed-Karikaturen, in einer spezifischen Weise emotional aufgeladen sein konnten.

An diesem Buch überzeugen nicht nur der durchdachte, leserfreundliche Aufbau sowie die stringente, gut reflektierte Argumentation, die zum Teil sehr tiefe Einblicke in unterschiedliche Zeiten und Regionen der islamischen Kultur zu geben vermag. Sondern auch die angenehm zu lesende Sprache sowie die farbigen Abbildungen, die keineswegs nur Illustrationen, sondern gewichtige Teile der Analyse darstellen, sind ein Gewinn für die Lesenden.

Bärbel Beinhauer-Köhlers Buch richtet sich insofern ebenso an Fachleute wie auch an ein breites, interessiertes Publikum, das eine gehobene Einführung in den Islam aus einer etwas anderen Sicht genießen will.

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Über das BuchBärbel Beinhauer-Köhler: Gelenkte Blicke. Visuelle Kulturen im Islam. Zürich [TVZ] 2011, 178 Seiten, 27,80 Euro.Empfohlene ZitierweiseBärbel Beinhauer-Köhler: Gelenkte Blicke. von Höpflinger, Anna-Katharina in rezensionen:kommunikation:medien, 7. Februar 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/11744
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