Andreas Fahr (Hrsg.): Zählen oder Verstehen?

Einzelrezension
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Rezensiert von Anna-Maria Volpers

Einzelrezension
Was lange währt, wird endlich gut? Über sieben Jahre hat der Tagungsband der ‘DGPuK-Fachgruppentagung Methoden’ aus dem Jahre 2003 auf sich warten lassen. Der von Andreas Fahr herausgegebene Sammelband vereint ausgewählte Tagungsbeiträge zur Diskussion um quantitative und qualitative Methoden in der empirischen Kommunikationswissenschaft. Fahr nimmt vorweg, dass der Leser keineswegs “einen Schlagabtausch verschiedener Lager” (11) erwarten darf, sondern der Band einen “Brückenschlag im Dienste der Sache” (ebd.) zu liefern gedenkt. Die im Titel aufgeworfene Dichotomie Zählen oder Verstehen treffe – man möchte dazwischenrufen: ‘selbstverständlich’ – nicht zu und die Begriffe ‘quantitativ’ und ‘qualitativ’ fungieren aus Gründen der Vereinfachung lediglich als “Arbeitsbezeichnungen” (ebd.). Der Herausgeber benennt das hieraus resultierende Manko des Buches selbst: “Dies mag mitunter unglücklich daherkommen und die eigentliche Idee konterkarieren – ist jedoch wegen einer besseren Lesbarkeit und Illustration kaum zu vermeiden.” (ebd.).

Der Band ist dreigliedrig aufgebaut. Der erste Teil beschäftigt sich mit einem Überblick über methodische Strömungen in der deutschen Kommunikationswissenschaft. Dazu liefern Meyen/Friedrich einen historischen Abriss des Verhältnisses von quantitativen und qualitativen Verfahren seit der Nachkriegszeit und kommen zu dem Schluss, dass es in der deutschen Kommunikationswissenschaft nie einen Methodenstreit gegeben hat. Peiser erläutert die Faktoren für eine grundlegende Methodenorientierung, die insbesondere in der wissenschaftlichen Sozialisation von Forschern zu finden sind und ermittelt auf Basis der DGPuK-Mitgliederbefragung von 2003 verschiedene Forschungstypen in Bezug auf eine eher quantitative oder qualitative Orientierung. Ergänzend hierzu zeigen Möhring/Scherer mit Hilfe einer Inhaltsanalyse, dass auch der Forschungsgegenstand die Wahl der Methode determiniert. Die Studien kränkeln ein wenig an der – für Tagungsbeiträge nicht ungewöhnlichen – begrenzten Datenbasis und damit verbundenen Einschränkungen, wie alle Autorinnen und Autoren selbst anmerken.

Die Beiträge des zweiten Teils sind konzeptionell gestaltet und liefern Überlegungen zum Verhältnis von ‘quantitativ’ und ‘qualitativ’ sowie zur Integration dieser Perspektiven im Forschungsprozess. Zwei Aufsätze sind dabei im positiven Sinne herauszustellen: Zum einen die Ausführungen von Matthes, der besonders reflektiert und strukturiert Begriffsklärung betreibt und für ein selbstverständliches Zusammenspiel quantitativer und qualitativer Forschung plädiert. Dazu skizziert er die Debatte um widerstreitende Forschungsparadigmen, beleuchtet die Definitionsproblematik und stellt Verknüpfungsmöglichkeiten qualitativer und quantitativer Methoden im Forschungsablauf vor. Zum anderen der Beitrag von Scheufele, der qualitative Textanalyseverfahren synoptisch gegenüberstellt und kritisch beleuchtet. Er diskutiert hierzu Logiken, Vorgehensweisen und Gütekriterien verschiedener Herangehensweisen der Textanalyse. Beide Aufsätze sind hervorragend lesbar und als Einstiegs- und Überblickslektüre geeignet.

Der dritte Teil enthält schließlich vier Fallstudien, die als Beispiele für gelungene Methodenintegration dienen sollen. Die Studien zeigen jeweils an konkreten Fragestellungen und Forschungsdesigns die Kombination von quantitativem und qualitativem Vorgehen. Dies geschieht sowohl auf der Ebene der Datenerhebung als auch der Datenauswertung. In den Beiträgen werden jeweils die gesamten Forschungsprojekte inklusive theoretischer Einordnung und methodischer Umsetzung ausführlich beschrieben. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, führt jedoch in Teilen dazu, dass das eigentliche Thema des Tagungsbandes – die reflektierte Auseinandersetzung mit dem Konzept Zählen oder Verstehen – im Verhältnis zur Beitragslänge etwas zu kurz kommt. Die Autorinnen und Autoren zeigen allerdings vorbildlich wie sie ihr Forschungsdesign anhand der Fragestellung und Angemessenheit der Methode(n) konzipieren und beziehen damit schon per se Stellung. In diesem Zusammenhang sei als weiterführende Literatur auch auf den – in Kürze in derselben Reihe erscheinenden – Band Methodenkombinationen in der Kommunikationswissenschaft von Wiebke Loosen und Armin Scholl verwiesen.

Es bleibt die Frage, ob die Dichotomie zwischen Zählen und Verstehen in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung mit diesem Tagungsband aufgelöst ist und ‘quantitativ’ und ‘qualitativ’ als Forschungsparadigmen ausgedient haben. Die einzelnen Beiträge geben die Antwort: Von einer Unvereinbarkeit zweier Lager kann keine Rede sein. Die Autorinnen und Autoren plädieren in der Mehrheit für eine Methodenwahl, die sich an Fragestellung und Erkenntnisinteresse orientiert und daran ihre Angemessenheit bewertet. Doch offenbart der Band auch, dass das Begriffspaar ‘quantitativ’ und ‘qualitativ’ im Verständnis einiger Forscher häufig mehr als eine analytische Trennung und Vereinfachung darstellt. Die Beiträge von Krotz und Michel belegen dies deutlich. Zudem ist bei allem Verständnis für Komplexitätsreduktion Folgendes zu kritisieren: Gerade an den Stellen, an denen nicht von unterschiedlichen Forschungsparadigmen ausgegangen wird, erscheint es unangemessen die Termini ‘qualitativ’ und ‘quantitativ’ weiter zu pflegen, obwohl eigentlich von ‘standardisiert vs. unstandardisiert’, ‘explorativ vs. konfirmatorisch’ usw. die Rede sein müsste.

Trotz der genannten Kritikpunkte handelt es sich insgesamt um einen gut lesbaren und lesenswerten Tagungsband, der sich an alle empirisch arbeitenden Kommunikationswissenschaftler richtet. Die Aufsätze regen dazu an, das eigene empirische Vorgehen zu reflektieren und gebräuchliche Begriffe zu überdenken. Die Fallbeispiele liefern Ideen für die Konzeption komplexerer Forschungsdesigns.

Literatur:

  • Loosen, W.; Scholl, A. (Hrsg.): Methodenkombinationen in der Kommunikationswissenschaft. Methodologische Herausforderungen und empirische Praxis. Köln [Herbert von Harlem Verlag] 2012 (in Vorbereitung).

Links:

Über das BuchAndreas Fahr (Hrsg.): Zählen oder Verstehen? Diskussion um die Verwendung quantitativer und qualitativer Methoden in der empirischen Kommunikationswissenschaft. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2011, 232 Seiten, 28,- Euro.Empfohlene ZitierweiseAndreas Fahr (Hrsg.): Zählen oder Verstehen?. von Volpers, Anna-Maria in rezensionen:kommunikation:medien, 8. Februar 2012, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/7484
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