Jennifer Wladarsch: Metakommunikation und die Qualität des Journalismus

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Rezensiert von Fabian Prochazka

Einzelrezension

In digitalen Öffentlichkeiten steht das journalistische Angebot nicht mehr für sich allein. Wie Muscheln an einem Schiffsrumpf kleben sich nutzergenerierte Inhalte an Nachrichten: Kaum ein Artikel findet seine Leser:innen ohne Kommentare, Like-Zahlen oder eine freundliche Empfehlung aus der Familien-WhatsApp-Gruppe. Wie prägt diese ‘Metakommunikation’ die Qualitätsurteile von Rezipient:innen? Was macht es mit unserer Wahrnehmung vom Journalismus, wenn er uns ständig gemeinsam mit Meinungen anderer Menschen präsentiert wird? An diesen Fragen setzt das Buch von Jennifer Wladarsch an, das auf ihrer an der LMU München entstandenen Dissertation beruht.

Metakommunikation definiert Wladarsch als “Kommunikation, die […] Kommunikation selbst zum Thema macht” (100). Sie kann deskriptiv oder evaluativ sein (mit oder ohne Wertung) und hat ihren Ursprung entweder im journalistischen Angebot (angebotsseitig) oder wird von außen an den Journalismus herangetragen (fremdseitig). Angebotsseitige Metakommunikation umfasst etwa Medienmarken, Hintergrundinformationen zum Artikel oder biographische Angaben von Journalist:innen. Fremdseitige Metakommunikation sind beispielsweise Nutzerkommentare, numerische Popularitätsindikatoren wie Likes und Shares oder Gespräche über Medien. Die theoretische Konzeption von Metakommunikation ist ein großer Verdienst der Arbeit, da Wladarsch hier ein übergeordnetes Konzept einführt, das unabhängig von technischen (Neu-)Entwicklungen ist und damit auch in Zukunft weitere Formen von Metakommunikation unter einem Dach vereinen kann. Dennoch wäre im Theorieteil eine systematische Zusammenstellung von Beispielen hilfreich gewesen, um klarer zu machen, was nun genau unter Metakommunikation fällt und was nicht.

Das Qualitätsurteil der Rezipient:innen systematisiert Wladarsch anhand von fünf Komponenten: Wertungssubjekt (Wer bewertet?), Wertungsobjekt (Was wird bewertet?), Wert (Anhand welcher Kriterien wird bewertet?), Wertprädikat (Wie wird es bewertet?) sowie Erwartung (Welche Bewertung wurde vorher erwartet?). Diese Einteilung ist hilfreich, weil sie die Beobachterabhängigkeit von Qualitätsurteilen in den Vordergrund rückt, ohne in der trivialen Feststellung zu enden, dass Qualität im Auge des Betrachters liegt. Wladarsch kann vielmehr überzeugend darlegen, dass unterschiedliche Akteure in unterschiedlichen Rollen oder Situationen unterschiedlich bewerten, ohne dabei ‘richtig’ oder ‘falsch’ zu liegen.

Die zentrale Forschungsfrage ist nun, wie Metakommunikation das Qualitätsurteil der Rezipient:innen über journalistische Inhalte beeinflusst. Sie steht im Fokus des dritten großen Theoriekapitels. Wladarsch fasst hier eine Fülle theoretischer Ansätze zusammen und ergänzt sie um empirische Ergebnisse aus der bisherigen Forschung. Zentral für die Wirkung angebotsseitiger Metakommunikation sind die Annahmen der Schematheorie: Metakommunikative Signale wie Medienmarke oder Ressort lösen bestimmte Schemata aus, die das Qualitätsurteil prägen. Bei der Wirkung fremdseitiger Metakommunikation wird vorwiegend sozialpsychologisch argumentiert: Menschen orientieren sich in ihren Qualitätsurteilen an den Aussagen bzw. Wertungen anderer Personen (deren Kommentare, Likes, etc.).

Insgesamt bietet der theoretische Teil fast alles auf, was die Kommunikationswissenschaft zu bieten hat: Wladarsch arbeitet sich von Kommunikations-Definitionen über Systemtheorie, Schweigespirale, Filterblasen und Two-Step-Flow bis zur Schematheorie. Dabei geht leider manchmal etwas der Überblick verloren, vor allem im dritten Theoriekapitel bleiben die exakten vermuteten Wirkmechanismen etwas unklar. Das ist allerdings verschmerzbar, da sich Wladarsch ihrem Gegenstand empirisch mit qualitativen Leitfadeninterviews nähert (es wird also nicht eine Theorie getestet).

Aus dem Theorieteil werden vier Forschungsfragen entwickelt, die die Interviewstudie leiten: 1) Welche Qualitätsansprüche stellen Nutzer:innen an journalistische Angebote im Internet? 2) Wie viel Aufmerksamkeit widmen sie der Metakommunikation? 3) Welche Rolle spielt Metakommunikation für Qualitätserwartungen und 4) Qualitätsbewertungen?

Das qualitative Vorgehen ist in diesem von Experimenten geprägten Forschungsbereich erfrischend und verspricht durch die kluge Methodenkombination neue Einblicke: Die Leitfadenerhebung (32 Interviews) wird ergänzt durch Medienstimuli und lautes Denken. Dabei nimmt Wladarsch im Methodenteil eine Eingrenzung auf nutzerseitige Metakommunikation vor, hier auf Nutzerkommentare, Beitragsrankings und numerische Popularitätsindikatoren (vgl. 185). Es ist sicher sinnvoll, diese Elemente besonders zu betrachten. Dennoch ist der Bruch zum Theorieteil deutlich: während Metakommunikation sehr umfassend definiert wurde und eine Fülle an Phänomenen umfasst, geht es letztlich empirisch um einige wenige Formen. Hier hätte eine breitere Herangehensweise womöglich noch spannendere Ergebnisse zutage gefördert, zumal im Ergebnisteil noch Raum gewesen wäre. 

Von den Ergebnissen der Studie kann an dieser Stelle nur ein Teil wiedergegeben werden. Das Lesen von Kommentaren ist offenbar kaum habitualisiert und stark vom Themeninteresse sowie zeitlichen Faktoren abhängig, zugleich lesen eher junge und online-affine Nutzer:innen mit hohem Nachrichteninteresse die Kommentare. Aggregierte Popularitätsindikatoren (Likes, Meistgelesen-Listen, etc.) scheinen die Befragten jedoch kaum zu interessieren bzw. eher beiläufig rezipiert zu werden. Meist geben die Befragten an, dass sie in den Kommentaren nach einer Bestärkung ihrer Meinung zum Artikel suchen. Kommentare wirken also wohl häufig eher verstärkend auf bestehende Qualitätsbewertungen. Nur in einigen Fällen geben die Befragten an, ihre Meinung zu einem Artikel aufgrund von Kommentaren geändert zu haben. Dies tun interessanterweise hauptsächlich Personen mit einer eher offenen Grundhaltung.

Abschließend entwickelt Wladarsch eine Typologie mit sechs Nutzertypen, die sich vorwiegend in der Nachrichtennutzung und der Ausrichtung ihrer Qualitätsurteile an Metakommunikation unterscheiden. So zeigen etwa die “Unabhängigen” eine hohe Orientierung am professionellen Angebot und ignorieren Metakommunikation weitgehend, die “Informationssuchenden” beobachten hingegen Meinungen und Verhalten anderer Nutzer:innen intensiv und beteiligen sich auch selbst an Diskussionen. Die “Social-Bubble-Consumer” nutzen Nachrichten überwiegend auf algorithmisch personalisierten Nachrichtenkanälen und richten ihr Qualitätsurteil ebenfalls stark an anderen Personen aus. Diese Typologie ist nochmal ein klarer Mehrwert der Arbeit, da sie plastisch macht, wie heterogen moderne Nachrichtennutzer:innen sind. Am Ende werden noch einige Hypothesen aus den Ergebnissen abgeleitet, die weiterführende (quantitative) Forschung prüfen kann.

Die Ergebnisse sind allesamt spannend und relevant, allerdings ist der Ergebnisteil mit knapp 70 Seiten im Vergleich zu Theorie und Methode (216 Seiten) etwas knapp. Zu den zentralen Forschungsfragen zum Einfluss von Metakommunikation auf die Qualitätsbewertung wäre in der Auswertung sicher noch mehr möglich gewesen, zumal die generelle Nachrichtennutzung und Qualitätserwartungen der Befragten sehr ausführlich behandelt werden. Nebenbei: Dem gesamten Buch hätte ein sorgfältiges Lektorat gutgetan, vor allem im Theorieteil findet sich kaum eine Seite ohne Tippfehler oder Wortwiederholungen.

In der Gesamtschau bietet Jennifer Wladarschs Auseinandersetzung mit Metakommunikation ein starkes theoretisches Konzept mit vielen Anknüpfungspunkten für weitere Forschung und relevante Befunde zur Qualitätsbewertung journalistischer Nachrichten im Netz. Wer sich also dafür interessiert, wie die Meinungen anderer Nutzer:innen unsere Wahrnehmung vom Journalismus prägen, wird Freude an diesem Band haben.

Links:

Über das BuchJennifer Wladarsch: Metakommunikation und die Qualität des Journalismus. Einfluss von Metakommunikation auf die Qualitätserwartungen und -bewertungen bei Nachrichtennutzern im Internet. Baden-Baden [Nomos] 2020, 339 Seiten, 69,- Euro.Empfohlene ZitierweiseJennifer Wladarsch: Metakommunikation und die Qualität des Journalismus. von Prochazka, Fabian in rezensionen:kommunikation:medien, 6. Dezember 2021, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/23076
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