Heike Graf (Hrsg.): Diversity in Theory and Practice

Einzelrezension
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Rezensiert von Christian Schwarzenegger

Diversity in Theory and PracticeEinzelrezension
Bereits 2011 wurde Diversity in Theory and Practice von Heike Graf in der Schriftenreihe der Nordicom herausgegeben. Zielsetzung des Bandes ist es, Strategien und Formen des Umgangs mit Diversity in deutschen und schwedischen Redaktionen in Theorie und Praxis, zugleich wohl auch in Rhetorik und Wirklichkeit, zu betrachten. Hervorgegangen ist das Buch, das nach der Einleitung und einem Überblicksartikel vier weitere Aufsätze enthält, aus einem “multi-disziplinären” (17) Forschungsprojekt. Es werden dementsprechend nach der Darlegung des Projektüberbaus unterschiedliche Teilstudien aus dem Projektverbund vorgestellt. Die Herausgeberin ist an drei von sechs Beiträgen auch als (Co-)Autorin beteiligt.

Bemerkenswert ist die Anlage des Buches. Denn während, wie Heike Graf und Jan Inge Jönhill auch in der Einleitung darlegen, Studien zu Medien und Diversität oft auf die Inhaltsebene fokussieren, ist hier die gelebte Praxis der Diversifizierung von Redaktionen im Blickpunkt. Eindeutig scheinende Befragungsbefunde, wonach etwa in Schweden rund 90 Prozent der Medienunternehmen “Diversity” als wichtig ansehen und großes Potential darin vermuten (vgl. 32), werden so einem Praxistest unterzogen, der Karriereperspektiven, Einflussmöglichkeiten für Themensetzung und -gestaltung, also die ‘Übersetzung’ einer diversifizierten Redaktion auf die Berichterstattung, erkundet. Im Fokus der qualitativen Interviewstudien stehen “media workers” (überwiegend mit Migrationshintergrund, gleichwohl im Band auch reflektiert wird, dass Diversität mehr umfasst als bloß Ethnizität) bzw. Medienorganisationen und deren Positionen zu Diversity (Management). Wie ist das Vorhaben gelungen und was leistet der Band?

Zu Beginn sind Relativierungen des Versprochenen geboten. Der Anteil von “German News Journalists” in den versammelten Studien ist insgesamt gering, nur in einem der Teilprojekte waren deutsche Journalisten mit Migrationshintergrund bzw. deutsche Redaktionen explizit Untersuchungsgegenstand. Neben diesem Aufsatz wird auf die Situation in Deutschland eigentlich nur noch in dem Überblicksartikel zu “current contextual societal conditions in both countries” (17) eingegangen, der sich mit dem Journalismus in den beiden Untersuchungsländern allgemein, gesondert bezogen auf ethnische Zusammensetzungen von Redaktionen bzw. auf Programme zur Förderung von Diversity befasst. Generell sind die im Titel anklingenden nationalen Journalismuskulturen nur eingeschränkt im Band zu finden, denn Schweden bedeutet in der empirischen Umsetzung eigentlich Stockholm und Deutschland reduziert sich auf Berlin. Beide Städte sind aufgrund ihrer Sonderstellung innerhalb der Nationen sicher interessante Fälle, aber die Spezifität der beiden Medienstandorte macht sie womöglich auch alles andere als typisch.

Im nachfolgenden Kapitel widmet sich Jan Inge Jönhill, systemtheoretisch und differenzlogisch argumentierend, der Frage, welche Möglichkeiten Medienorganisationen überhaupt haben, um mit Diversität umzugehen (vgl. 49). Schließlich plädiert er für eine aktive und offene Form von Diversity Management, die es erlauben würde, mit Diversität als Möglichkeit umzugehen, anstatt Unterschiede in einer stark konflikt-orientierten Perspektive zu polarisieren, wie er es etwa im Bemühen um Quotenregelungen ausmacht (vgl. 85).

Die nächsten beiden Texte stellen Interviewstudien zur Newsroom Diversity in Schweden (Gunilla Hultén) bzw. Deutschland (Heike Graf) vor. Die Zitate aus dem Interviewmaterial sind interessant zu lesen, die Ergebnisse allerdings insgesamt erwartbar (Migrationshintergrund kann je nach Situation als Vorteil oder Nachteil im Job erlebt werden, die Bewerbungssituation im Journalismus ist deprimierend) und die Interpretationen zurückhaltend; die zunächst deskriptive Darlegung bietet also interessante Einblicke, ein theoretisch stimulierendes Angebot zur Deutung derselben wäre aber wünschenswert gewesen. Die abschließende Studie (Leonor Camauër) – schwedische Journalisten ohne Migrationshintergrund wurden befragt, wie sie den Einfluss und die Rolle von ethnisch diversen Kollegen einschätzen – kehrt die Blickrichtung um, fügt sich aber sonst wie beschrieben ein.

Gerade da ein übergeordneter Projektzusammenhang gegeben war, wäre ein abschließendes, einordnendes Kapitel wünschenswert gewesen, das die Einzelbefunde systematisch zueinander in Beziehung gesetzt hätte. Die Chance, einen über die Addition der für sich doch aufschlussreichen Teile hinausgehenden Mehrwert zu generieren, wurde somit nicht genutzt und der Band kann das Potential des Projektes nicht vollends ausschöpfen.

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Über das BuchHeike Graf (Hrsg.): Diversity in Theory and Practice. News Journalists in Sweden and Germany. Göteborg [Nordicom] 2011, 191 Seiten, 30,- Euro.Empfohlene ZitierweiseHeike Graf (Hrsg.): Diversity in Theory and Practice. von Schwarzenegger, Christian in rezensionen:kommunikation:medien, 23. Juli 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/13692
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