Rezensiert von Howard Nothhaft


Nach der Lektüre, soviel sei vorweggenommen, ist die Skepsis nicht gänzlich, aber weitestgehend gewichen. Was die drei Professoren der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation zusammengetragen haben, ist lesenswert und empfehlenswert. Unterm Strich bekommt man auf knapp 270 Seiten dreierlei: einen Einblick in die Kampagnenlandschaft 2.0 der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts, einen ‘Crash-Course’ im State-of-the-Art der Konzeptionslehre sowie die eine oder andere Idee zu den größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen jenseits des Unternehmens-erfolges.
Der seitenstärkste und gewichtigste Part ist der Teil “Praxis”, der die Kampagnen präsentiert (eingeleitet von einem “Praxisleitfaden” aus der Feder von Karl-Ernst Schäfers). Marc und Monika Langendorf stellen hier als eine von acht Kampagnen die Kampagne vor, mit der sich ein gewandelter Siemens-Konzern als “grüner Infrastrukturpionier” positioniert: die Repositionierung einer großen Unternehmensmarke also. Eine Präventions- und Gesundheits-kampagne diskutieren Michael Ehring und Hans Scheurer mit der “Aktion sicherer Auftritt” der gewerblichen Berufsgenossen-schaften. Sonja Kastner befasst sich mit der von Volkswagen gestarteten Social Web-Kampagne um Hape Kerkelings Comedy-Figur Horst Schlämmer: mit einem Feldzug also, der darauf zielte, die Gunst einer jugendlichen Zielgruppe zu erobern.
Eine außergewöhnlich langlebige Kampagne diskutiert Christine Walther, die McDonald’s und die seit 2004 laufende Transparenzkampagne mit Qualitätsscouts im Mittelpunkt ins Auge fasst. Nadine Remus widmet sich einer weiteren Präventions-kampagne, der Verkehrssicherheitskampagne “Runter vom Gas” nämlich: eine Plakataktion, die wohl jeder kennt, der schon einmal auf Deutschlands Autobahnen unterwegs war. Petra Friedlaender und Christine Harcks sehen sich dann die erste auf Landesebene integrierte Hochschulmarketingkampagne an, die Kampagne “Studieren mit Meerwert” des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Den Abschluss bilden die Analysen von zwei NGO-Kampagnen: zum einen die von Michael Handrick verfasste Analyse der gegen Zwangsprostitution gerichteten Kampagne des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland; zum anderen Jessica Schallocks Blick auf die China-kritische Menschenrechts-kampagne “Gold für Menschenrechte” von Amnesty International, welche die Olympischen Spiele flankierte.
Zwar gelingt es den Herausgebern auch diesmal nicht, einen Mutigen zu finden, der sich zu einer gänzlich verkorksten Kampagne bekennt. Aber die Entscheidung, nur evaluierte Kampagnen ins Buch zu nehmen und die Diskussion von Problemen von der Kür zur Pflicht umzuwidmen, macht sich doch bezahlt. Ebenfalls bezahlt macht sich die Entscheidung, ein einheitliches Raster durchzusetzen, so dass die einzelnen Cases systematisch dargestellt werden: beginnend mit der Situationsanalyse, mit der Evaluation endend, und ergänzt um Probleme und eine Gesamtbewertung. Alles in allem bleibt beim Leser der Eindruck, es mit seriösen Annäherungen an komplexe Kampagnen zu tun zu haben.
Die neun Beiträge im Praxisteil werden von sieben Beiträgen eingerahmt, die eher theoretischer Natur sind. Jan Lies beschäftigt sich hier im ersten, theoretischen Teil mit einer Bestimmung des Kampagnenbegriffs, während Ralf Spiller sehr gedrängt die Wirkungsforschung zu Kampagnen diskutiert: “Was funktioniert?” ist die ambitionierte Leitfrage. Im abschließenden dritten Teil, der unter der Überschrift “Ausblick” steht, finden sich vier Beiträge: Günther Suchy setzt sich mit “PR-Kampagnen und Social Media” und Wolfgang Kreuter mit “Kampagnen in Religion und Politik” auseinander; Bradley E. Wiggins, Mary Beth Leidman und Matthew McKeague diskutieren Kampagnen in den USA, Thomas Döbler und Anna-Maria Wahl die gesellschaftspolitische Relevanz von PR-Kampagnen.
Die theoretischen Beiträge sind allesamt lesenswert insofern als sie den State-of-the-Art der PR-Konzeptionslehre im Großen und Ganzen solide referieren, auch einige kommunikationsphilosophische Glanzpunkte setzen. Hervorzuheben ist jedoch der Beitrag von Michael Bürker im ersten Teil, der gedrängt auf das Management von Kampagnen auf der Basis von Theorien der Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung eingeht. Bei großem Respekt vor der primär praxisorientierten PR-Lehre, die uneingeschränkt ihre Berechtigung besitzt, gilt es doch festzuhalten, dass Bürkers Beitrag eine andere Ebene ins Spiel bringt (Qualifikationen wie “höher” oder “niedriger” möchte ich vermeiden), die dem Band insgesamt gut tut.
Abschließende Bemerkungen: Ob das Buch in der Lage ist, den Platzhirschen – Ulrike Röttgers PR-Kampagnen (VS) und Peter Szyszkas / Micaela Dürigs Strategische Kommunikationsplanung (UVK) – das Revier streitig zu machen, wird sich zeigen. Dass der vorliegende Band “von Profis” geschrieben wurde, steht nach einem Blick ins Autorenverzeichnis ganz und gar außer Zweifel. Angezweifelt werden darf, ob er wirklich “für Profis” verfasst wurde. Vieles, was man erfährt, sollte dem gestandenen Praktiker aus der Fachpresse vertraut sein; wirklich hinter die Kulissen blicken oder in die Tiefe gehen die Kampagnenanalysen natürlich nicht – dafür fehlt auch der Raum. Studierende scheinen mir die wahre Zielgruppe zu sein und ebenjenen ist der Band uneingeschränkt ans Herz zu legen. Aber dann lest mir auch den Bürker, Leute.
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