Rezensiert von Daniel Hornuff
Man könnte sich die Sache einfach machen: Darauf verweisen, dass Heavy Metal und Wissenschaft einander ausschließen; dass Headbangen letzte Hirnzellen vernichtet, Bücherstudium hingegen ständig neue bildet; oder dass die einen laut, langhaarig und ungehobelt schreien, die anderen verhalten, wohlfrisiert und kultiviert dozieren. Ja, es dürfte keine Mühe bereiten, eine solche Reihung endlos fortzuschreiben. Doch wer sich diese Sache einfach macht, verpasst, sie zu deuten. Die beiden Medienwissenschaftler Rolf F. Nohr und Herbert Schwaab haben nun einen Sammelband zum Thema Metal Matters. Heavy Metal als Kultur und Welt vorgelegt und darin die erweiterten Beiträge einer Fachkonferenz vereint. Glücklicherweise haben sich die Herausgeber die Sache alles andere als einfach gemacht, geht es ihnen doch um die “Ergründung der Komplexität von Metal”.
Ihr Interesse zielt auf das Aufbrechen stereotyper Abwertungen, indem der “hohe Inszenierungsgrad des Metal, aber auch die Bedeutung der Inszenierung für die Rezeption” untersucht werden sollen. So wolle man der reduktionistischen Auffassung “von Metal als lautem Medium oder Gesamtkunstwerk” eine erste gründliche Reflexion an die Seite stellen. Ziel sei, die “sinnstiftende Kraft” dieser Musikrichtung zu analysieren, und was man für einen überzogenen Anspruch halten mag, verdeutlicht vor allem, mit welcher Ernsthaftigkeit das Thema aufgegriffen und als kulturelles, ja künstlerisch wirksames Gut interpretiert wurde.
Um es vorweg zu nehmen: Das Konzept geht auf, weil Nohr und Schwaab ihrem Unterfangen eine überzeugende methodologische Basis verleihen. So vermeiden sie, mit dem theoretisch vermeintlich abseitigen Gegenstand wissenschaftspolitisch zu kokettieren. Nichts wäre naheliegender – und demnach alberner – gewesen, als nun selbst laut und ungehobelt aufzutreten oder – ebenso blödsinnig! – durch überbordendes Szenevokabular herausragende Kennerschaft zu signalisieren. Zudem enthalten sie sich einer platten Umcodierung, konfrontieren also die oft behauptete Schwachsinnigkeit des Metal nicht einfach nur mit einer Eloge auf seine untergründige Tiefe, sondern werben für analytische Durchdringung.
Nohr und Schwaab hegen demnach auch keine Ambitionen zur Etablierung von ‘Heavy Metal Studies’. In Zeiten, in denen alles vermeintlich akademisch Vernachlässigte fast reflexhaft zu ‘Studies’ erklärt wird, demonstrieren die beiden wohltuende Unaufgeregtheit. Entsprechend grenzen sie ihren fachverknüpfenden Zugang zum Thema von Wünschen nach einer “dominanten Deutungsposition” im Sinne eines “(institutionalisierbaren) Führungsanspruchs” ab: “Keine Disziplin”, so schreiben sie mit einer Mischung aus Diagnose und Forderung, “wird den Metal ‘für sich’ reklamieren können”. Mit diesem uneitlen Themenzuschnitt konnte das Feld in idealer Weise bestellt werden – für eine pluralistische, kontroverse und folglich produktive kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen.
Dass die postulierten Selbstverständnisse keine akademischen Lippenbekenntnisse geblieben sind, zeigen vor allem jene Beiträge des Buchs, die sich auf konkrete Metal-Künstler, -Gruppen, und -Inszenierungen konzentrieren. Wichtige Verständnisse für die spezifische Ästhetik der Musikrichtung haben etwa die beiden Medienwissenschaftler Birgit Richard und Jan Grünwald erschlossen, indem sie sowohl Band- als auch Fanpräsentationen auf den Plattformen sozialer Netzwerkseiten untersucht und auf die darin verhandelten “Männlichkeitsmodelle” geprüft haben. Sie können zeigen, dass die oft auf Aggressivität positionierten Darstellungen meist “keine Hasstiraden” erzeugen, sondern lediglich die Brand-Signals der Bewegung stellen und ohne ideologisches Surplus wahrgenommen werden.
Einen der interessantesten Aspekte arbeitet der Essay des Kunstwissenschaftlers Jörg Scheller heraus. Nach seiner Diagnose stehe Heavy Metal in einer funktionalen Analogie zu einem Bio-Apfel, der in einem Supermarkt ausliege: “Der Apfel verspricht eine Begegnung mit Ursprünglichkeit und Authentizität”, und so führt Scheller aus, wie einzelne Bands in ihren Songtexten “gleichsam an Rousseau” anknüpften, ja die Existenz eines “Urzustand[s]” beschwören, “der von einem erforschenden und erfindenden Menschenschlag vernichtet worden sei”.
Dass viele Heavy Metal-Strömungen in Antimodernismen geradezu konstitutive ideengeschichtliche Merkmale erkennen, unterstreicht auch der Aufsatz des Philosophen Jan Leichsenring. Er verdeutlicht, wie genuin romantische Motive wie Natursehnsucht, Heimat- bindung, Brauchtum und Fortschrittskritik zu Gestaltungsgrößen in den Selbstinszenierungen der Künstler aufgebaut werden – und somit eine “spezifische Bedeutungsproduktion” für das Genre schaffen. Gleichsam steige mit diesen Inszenierungsformen und ihrem “utopischen Überschuss” allerdings auch die Gefahr einer Besetzung “neonazistischer Positionen”, deren Einflusskräfte noch weitestgehend abgeschattet und entsprechend unbestimmbar seien.
In solch differenziert argumentierenden Beiträgen realisiert der Band sein Vorhaben einer wissenschaftlichen Durchdringung des Heavy Metal auf ganz vorzügliche Weise. Eine deutliche konzeptionelle Schwäche des Buches liegt allerdings in der großen Anzahl der zusammengetragenen Aufsätze. Bei insgesamt 29 Beiträgen scheinen Wiederholungen ebenso unvermeidlich wie einzelne Aus- und Abschweifungen, so dass sich an einzelnen Stellen der Eindruck aufdrängt, das Auswahlprinzip der Masse sei vor jenes der Klasse gerückt worden.
So bleibt etwa gänzlich unverständlich, warum gleich mehrfach ähnliche Definitionen für Heavy Metal angeboten oder etliche, teils einander widersprechende Rekapitulationen seiner geschichtlichen Entwicklungen vorgenommen werden müssen. Hier hätte eine diszipliniertere Redaktion des getroffenen Themenzuschnitts zu einer noch präziseren Behandlung des Sujets geführt. Doch diese Nachlässigkeiten können die eigentliche Leistung der Herausgeber und ihrer Autoren nicht verdecken: Der Band Metal Matters bietet die erste wissenschaftlich anschlussfähige wissenschaftliche Untersuchung des Heavy Metal. Dass es sich bei ihm tatsächlich um eine gereifte, manchmal auch überreife, in jedem Fall aber fein ausdifferenzierte Kultursparte handelt, dürfte selbst für Zweifler nach Lektüre des Bandes außer Zweifel stehen.
Links:
Über das BuchRolf Nohr; Herbert Schwaab (Hrsg.): Metal Matters. Heavy Metal als Kultur und Welt. Reihe: Medien'welten. Braunschweiger Schriften zur Medienkultur, Bd. 16. Münster [LIT Verlag] 2011, 528 Seiten, 34,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseRolf Nohr; Herbert Schwaab (Hrsg.): Metal Matters. von Hornuff, Daniel in rezensionen:kommunikation:medien, 26. Mai 2012, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/9058