Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hrsg.): Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart

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Rezensiert von Jana Hawig

Einzelrezension
“Wie verändert sich Museumsarbeit, wenn Ausstellen und Vermitteln als integriertes Konzept verstanden werden?“ (11) – diese Forschungsfrage ist prägend für den vorliegenden Sammelband, der in der Edition Museum des transcript-Verlags erschienen ist. Das Werk versammelt namhafte Theoretiker und Praktiker der internationalen Museumsszene, die wertvolle Impulse für die Überwindung strukturell gewachsener Barrieren zwischen Kuratieren und Vermitteln jenseits der Akademikerelite der Quellenwissenschaften geben. Die Praxisbeispiele führen vor Augen, wie vielfältig die Herangehensweisen an aktuelle Herausforderungen der Vermittlungsarbeit in Museen sind.

Dabei geben die Beiträge gleichzeitig praxisorientierte Antworten auf die großen museumsverändernden Theorien der vergangenen Jahrzehnte. Es wird eine Lanze gebrochen für die u. a. seit den Bewegungen der New Museology (vgl. u.a. Vergo 1989) einsetzenden Tendenz zu ‘community engagement’ und ‘audience development’ und für den sogenannten ‘Educational turn in Curating‘. Im Zentrum stehen die Fragen: Für wen ist das Museum? Wer wird dort repräsentiert? Welche Relevanz hat es? Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht stets die Rolle des Besuchers und dessen Transformation vom passiven Rezipienten zum aktiven Gestalter.

Das Werk richtet sich an ein Fachpublikum sowohl in der Museumspraxis als auch in den Museumswissenschaften, das gewillt ist, seinen Horizont in Bezug auf zeitgemäße, innovative Museumsarbeit zu erweitern. Dabei liefert die Publikation diverse Anknüpfungspunkte für Mitarbeiter sowohl in verschiedenen Positionen (Vermittler, Leiter, Kuratoren etc.) als auch in unterschiedlichen Museumsformen. Auch Studiengänge zum Ausstellen und Vermitteln werden in der Einleitung explizit angesprochen.

Der Ursprung des Bandes liegt in der 2014 stattgefundenen Tagung “Ausstellen und Vermitteln in der Gegenwart” an der Zürcher Hochschule der Künste. Die Herausgeber haben die Tagungsbeiträge in vier thematische Kapitel mit je einer Einführung unterteilt. Bei den insgesamt 20 Beiträgen handelt es sich um sehr praxisnahe Beiträge, ergänzt durch nur wenige explizit theoretische Texte. Gemein ist den vorgestellten Projekten, dass sie experimentelle Wege aufzeigen, wie Kuratierung Hand in Hand mit Vermittlung partizipativ umgesetzt werden kann.

Der erste Teil “Ausstellen und Vermitteln als Erweiterung des Displays” versammelt Beispiele aus Kunst- und Architekturausstellungen. Das Museum wird als “Schauplatz politischen Handelns“ (15) im Sinne der kritischen Museologie verstanden. Gemeint ist, “dass die hier vorgestellten Ausstellungskonzeptionen eine Distanznahme von den Zeigegesten einräumen und die Ausstellung im Sinne eines Handlungsraums aktivieren“ (16). Beispielhaft genannt sei hier “Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt” (Franziska Mühlbacher/Angeli Sachs) vom Museum für Gestaltung Zürich von 2012. Integraler Bestandteil der Ausstellung stellte ein großer, zentraler Handlungsraum für Vermittlung dar, der auf eine Fokusverschiebung von den Künstlern auf den Besucher zielte.

Im Kapitel “Ausstellen und Vermitteln. Erweiterung des Museums” geht es um die “Erneuerung der konzeptionellen Fassung eines Museums“ (83). Hier werden kulturhistorische Museen vorgestellt, die unterschiedliche Zugänge zu Repräsentation und Partizipation (neuer) Besuchergruppen suchen. Wie Thomas Sieber erläutert, wird anhand dieser Beispiele deutlich, dass sich das Museum langsam von der Funktion der Agentur, also einem “Museum als Mittel hegemonialer Herrschaft“ (83), zum Museum als Forum bzw. Kontaktzone (“Ort des keineswegs konfliktfreien Aushandelns“, ebd.) wandelt. Die Museen testen verschiedene Zugänge in der Vermittlung ihrer Themen. Das Beispiel des Amsterdam Museums (Paul Spies) zeigt aber auch, dass weiterhin konservative Methoden der Vermittlung neben den partizipativen Projekten gezielt eingesetzt werden, um Besucherwünschen entgegenzukommen.

“Ausstellen und Vermitteln als gesellschaftliche Intervention” nimmt gezielt die Rolle und das vom Museum institutionalisierte Verständnis des Besuchers in den Blick. Es fragt nach den ‘legitimen‘ Besuchern, Nutzern bzw. Mitgestaltern des Museums. Carmen Mörsch gibt hierzu einen aufschlussreichen Abriss der frühen Exklusion von Besuchergruppen in Museen, gefolgt von einer konzeptionellen Rahmung von Nora Sternfeld zu dem von ihr mitentwickelten Ansatz des postrepräsentativen Kuratierens. Eines der Praxisbeispiele stellt das Youth Council der Art Gallery of Ontario (Kanada, Syrus Marcus Ware) vor, wo durch die Mitbestimmung Jugendlicher “gegenhegemoniale Streiträume“ (171) bewusst eingesetzt werden.

Das letzte Kapitel befasst sich mit der Dekolonisierung des Museums und geht damit auf die historisch gewachsene strukturelle Exklusion in der Repräsentation bestimmter Gemeinschaften ein. Nora Landkammer argumentiert in ihrer Einführung, dass gerade in ethnologischen Museen jahrhundertealte Klassifikationen in Sammlungen häufig noch die Arbeit der Museen auf verschiedensten Ebenen beeinflussen und den hegemonialen Blick des ‘Wir‘ und ‘Die‘ bekräftigen. Einer der Beiträge schildert den Prozess, “ein reflexives, aktuelles und partizipatives Ausstellungsnarrativ“ (256) im Mapuche-Museum in Cañete (Chile) zu entwickeln (Juana C. Paillalef). Dieses stellt sich der Herausforderung, eine vom Staat nicht anerkannte Bevölkerungsgruppe im Museum darzustellen, um vor allem Berührungspunkte und so Verständnis durch Annäherung zu schaffen. Es zeigt deutlich die Verwobenheit von Museen mit politischen Strukturen.

Die Intention der Herausgeber ist es, zur Diskurs- und Theoriebildung in den Museumswissenschaften beizutragen. Somit stellt der Band ein Verbindungselement zwischen universitärer Theorie und der musealen Praxis dar. Aufschlussreich wären an manchen Stellen tiefergehende Analysen der vorgestellten Ausstellungen bzw. der jeweiligen Besucher(-strukturen) gewesen, um die Herangehensweise der Projekte besser zu verstehen und um diese in ihrer Wirkung zu evaluieren. Trotzdem ist der Sammelband ein gelungener Überblick museumspraktischer Ansätze, die das Zusammenspiel von Ausstellen und Vermitteln in den Mittelpunkt stellen.

Die Publikation zeigt auf, wie mannigfaltig Kulturvermittlung in Museen nicht nur in der Theorie gefordert, sondern auch in der Praxis bereits umgesetzt wird. Der Nutzen für die Museumspraxis speist sich aus den unzähligen Fallbeispielen, die Gelungenes und Gescheitertes beschreiben und dabei oft kritisch-reflexiv argumentieren. Bleibt zu hoffen, dass die mühsam gemachten Erfahrungen in der deutschsprachigen Museumsszene rezipiert werden und zum Nachdenken anregen.

Literatur:

  • Vergo, Peter (ed.): The New Museology. London [Reaktion Books] 1989.

Links:

Empfohlene ZitierweiseCarmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hrsg.): Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart. in rezensionen:kommunikation:medien, 30. November 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20843
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