Rezensiert von Hans-Dieter Kübler
Wann immer aktuelle Zeitdiagnosen und Trendsettings beleuchtet werden, greifen ihre Protagonisten gern zur Metapher Generation. Unzählige Etiketten und Typisierungen sind dafür schon kreiert worden, und es werden ständig mehr, so dass es nicht mehr lohnt, sie alle aufzuführen. Und da Jugendliche gern jeder neuesten Medientechnologie, Moderichtung und Stilmodellierung frönen, werden diese inflationären Generationslabel seit den 1980er Jahren vorrangig mit jüngsten Medienattributen versehen. Suggeriert soll damit werden, dass jeweils aktuelle Medien, gängige mediale Genres und Inhalte oder kurante Programme und Settings, der Umgang mit ihnen, ihre Nutzung oder ihr Einfluss prägend für eine spezielle Generation, ihre Selbst- oder Fremdwahrnehmung oder ihre Präsentation nach außen sind. So beliebig und ungenau sind die jeweils unterstellten Wirkungszusammenhänge, die den populären Zuschreibungen zu Grunde liegen.Selten sind sie wissenschaftlich überprüft worden – entgegen ihrer inflationären Verbreitung und scheinbar selbstverständlichen Marktgängigkeit. Denn schon bei heuristischer Betrachtung ist die einzubeziehende Komplexität beträchtlich und nur aufwändig zu operationalisieren, weshalb eher mit der formalen Kategorie der Kohorte gearbeitet und diese mit quantifizierten Nutzungsdaten gekoppelt wird. Zu validen, eindeutigen Bestätigungen einer Medien-, Fernseh- oder Computergeneration haben diese wenigen Studien allerdings nicht geführt. Da greift man gespannt zum Abschlussbericht eines DFG-Forschungsprojektes an der FU Berlin unter der Leitung von Klaus Beck, das sich sowohl die theoretische Grundlegung als auch empirische Verifikation von Mediengenerationen vorgenommen hat. Und in der Tat: Von der vorliegenden theoretischen Reflexion und Ausdifferenzierung wird man nicht enttäuscht. Im Gegenteil: Vermutlich wird diese Darlegung auch über das spezielle Sujet hinaus brauchbar und hilfreich sein, wie die Autoren am Ende ihres auch vom Umfang her übersichtlich gehaltenen Reports betonen.
Beispielhaft entfalten sie Schritt für Schritt ihr theoretisches Konzept: Erste Prämisse ist die Ablehnung einer monokausalen Erklärung für die Generierung von Medienwandel oder jeweils einer bestimmten Generation, d.h. einer Auslegung, die sich nur auf eine Ursache stützt. Dies sei mit dem mittlerweile anerkannten Erkenntnisstand der Wirkungsforschung unvereinbar. Allenfalls könne von “generationellen Prägungen und Kontexten des Medienhandelns“ (151) ausgegangen werden. Die Autoren ziehen dafür als theoretischen Bezug den handlungstheoretisch fundierten Nutzenansatz heran, den Will Teichert und Karsten Renckstorf in den 1970er Jahren am Hamburger Hans-Bredow-Institut als kritische Weiterführung des damals virulent gewordenen, funktionalistischen Uses and Gratifications-Approaches entwickelt haben und der inzwischen fast vergessen ist: Mediennutzung fassen sie als mit subjektiv gemeintem Sinn versehenes soziales Handeln auf, das ziel- und normorientiert ist (34).
Von Pierre Bourdieus Theorie des Kapitals und Habitus entwickeln Beck u. a. sodann als Vermittlungsinstanzen und -faktoren die Kategorien des medialen Kapitals sowohl in seinen objektiven (Medienbesitz und -zugang) als auch in seinen subjektiven Komponenten (Medienbildung und -kompetenz) sowie die des medialen Erscheinungsbildes im sozialen Feld, das sich vor allem in Einstellungen, Werten und Bewertungen hinsichtlich des Medienhandelns ausdrückt. Mit diesen auch als Dispositionen zu begreifenden Handlungsvoraussetzungen lässt sich das in der Soziologie nach wie vor geschätzte erste Konzept der Generation von Karl Mannheim verknüpfen und in seinen Begriffen als “konjunktive Erfahrungsräume“ (151) konkretisieren. Mediengenerationen müssten sich demnach in “ähnlichen Mustern des Medienhandelns“, die sich auch als “Medienpraxiskulturen“ (B. Schäffer) bezeichnen lassen, abbilden. Sie knüpfen an “ähnliche Dispositionen und Erfahrungen im medial bestimmten Erfahrungsraum sowie [auf] parallele Medienbiografien“ an (152).
Auch den meist pauschal verwendeten Begriff der Medien differenzieren die Autoren in Mediendispositive, -formate und -narrative aus, um für die zu entdeckenden Mediendispositionen, -stile und -erfahrungen konkrete Anknüpfungspunkte zu gewinnen.
Nicht weniger differenziert ausgearbeitet legen die Autoren die Methodik ihrer vorzugsweise qualitativen “explorativen Untersuchung“ (151) an: Kombiniert werden schriftliche Befragungen für die formalen quantitativen Daten, leitfadengestützte Einzelgespräche mit medienbiografischem Fokus sowie Gruppengespräche mit Familien, die entweder altershomogen sind oder auch mehrere Generationen umfassen. Leider fällt deren empirische Umsetzung sowohl in der Auswertung als auch in der Verallgemeinerbarkeit der Befunde bescheiden aus, so dass die Autoren bereits in der Einleitung ihre Leser vor der zu erwartenden Enttäuschung warnen: Es haben sich “nur sehr geringe Anhaltspunkte für das Wirken von so etwas wie ‘Mediengeneration‘ [ergeben], ja sogar für die Möglichkeit[,] auf der Grundlage nachprüfbarer Kriterien Mediengeneration überhaupt zu unterscheiden“ (10). In die Studie einbezogen waren nur 53 Personen im Einzelinterview, 44 in die Gruppendiskussionen. 29 gehörten zur Kohorte der “Babyboomer“ (also der geburtenstarken Jahrgänge 1952 bis 1967), sieben der Jahrgänge 1984 bis 1997, sechs der Jahrgänge von 1930 bis 1943, sechs weitere aus Jahrgängen dazwischen als Vergleichsgruppe.
Sicherlich müssen sich empirische Erhebungen an den verfügbaren Ressourcen orientieren; und der erwünschte “Königsweg“ (71) wären aufwändige Paneldesigns. Aber zu fragen bleibt auch, ob das gewählte Design und seine Methoden nicht rekursiv die mehrfach betonte individuelle Varianz des Medienhandelns übermäßig hervorheben und ebenfalls entdeckte “Hinweise auf kollektive Medienerfahrungen“ (153) und ihre reflexiven Wahrnehmungen vernachlässigen. Angesichts des gezeigten theoretischen und methodologischen Reflexionsniveaus wäre eine ähnlich ausgefeilte Prüfung der eigenen Befunde angebracht gewesen. Denn der wohlfeile Topos der Mediengeneration dürfte weiter durch die populären Diskussionen geistern, zumal er im alltäglichen biografischen wie kollektiven Gedächtnis präsent ist. Daher reicht es wohl nicht aus, die weitere Suche “nach einer empirisch validen“ Auseinandersetzung und Bestätigung von Mediengeneration “als wenig sinnvoll“ zu postulieren (156). Schließlich sind noch viele begriffliche wie sachliche Versionen denkbar.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Prof. Dr. Klaus Beck an der Freien Universität Berlin
- Webpräsenz von Till Büser an der Freien Universität Berlin
- Webpräsenz von Christiane Schubert an der Freien Universität Berlin
- Webpräsenz von Prof. Dr. Hans-Dieter Kübler am Institut für Medien- und Kommunikationsforschung (IMKO)