Rezensiert von Mike Meißner
Die Herausgeberin und die Herausgeber um Rudolf Stöber haben achtzehn Beiträge zusammengestellt, welche dem vielseitig interessierten und engagierten Pressehistoriker und Germanisten Holger Böning zum 65. Geburtstag gewidmet sind. In drei Hauptteilen steuern Weggefährtinnen und -gefährten des Jubilars Gedanken zu (1) Medien als Diskussionsforen der frühen Aufklärung, (2) Konzepten der Öffentlichkeit in der Hochaufklärung, sowie (3) zur Aufklärung als fortwährendem Anliegen bei. Dazu hat Wilbert Ubbens in gewohnt sorgfältiger Weise eine 35-seitige Personalbibliographie erstellt. An der Tabula Gratulatoria (einer erweiterten Gratulantenliste, die 83 Namen enthält) ist bereits ersichtlich, dass es sich hier nicht um einen Kommunikationswissenschaftler im engeren Sinne handelt, denn dergleichen findet sich in Festschriften für diese kaum. Dennoch sind seine Arbeiten, neben Monographien und Aufsätzen auch einige Bibliographien, für das Fach von Bedeutung. Aufgrund der vielseitigen Themen, die sich auch in der Festschrift widerspiegeln, werden im Folgenden insbesondere jene Beiträge berücksichtigt, die sich eingehender mit Aspekten öffentlicher Kommunikation auseinandersetzen.Im ersten von drei Hauptteilen gelingt Esther-Beate Körber ein spannender Einblick in die mühevolle Kleinarbeit der bibliographischen wie inhaltlichen Erfassung von Messrelationen. Ein Projekt, an dessen Ende “die Geschichte der Messrelationen“ (18) stehen soll, ein pressehistorisches Desiderat. Klaus-Dieter Herbst und Volker Bauer stellen jeweils Überlegungen zum Medium Kalender im 17. bzw. 18. Jahrhundert an. Während sich Herbst detailliert auf spezifische Inhalte konzentriert, beschäftigt sich Bauer systematisch mit den Merkmalen von Volks- und Staatskalendern sowie deren medialer Konvergenz in “volkskalenderhaften Amtskalender[n]“ (68). Der Entstehung lokaler bzw. regionaler Wochenblätter, der Intelligenzblätter, geht Astrid Blome unter Rückgriff auf Ergebnisse ihrer 2009 erschienenen Habilitationsschrift nach. Sie argumentiert plausibel, dass die Konzentration auf den lokalen bzw. regionalen Raum eine im 18. Jh. vorhandene publizistische Lücke schloss. Durch die erhöhte Markttransparenz – ein wichtiger Inhalt waren Anzeigen – wurden zugleich die ökonomischen Möglichkeiten der Leser positiv beeinflusst und die Macht der Kaufleute in Frage gestellt. Diese aufklärerische Funktion kommt ebenso dem Dialog zu, wie Michael Nagel im folgenden Beitrag ausführt. Er zeigt, welche Rolle der Dialog als Darstellungsform in Zeitschriften um 1700 hatte und weshalb es sich dabei um ein wichtiges Mittel der Leseransprache handelte. Mit Blick auf den aufklärerischen Auftrag dieser Zeitschriften spannt er zuletzt einen Bogen zu heutigen Talkshows und argumentiert leicht kulturpessimistisch, dass die Leser um 1700 stärker dazu angeregt wurden, die ihnen dargebotenen Medieninhalte aktiv zu verarbeiten und sich eine eigene Meinung zu bilden als heutige Fernsehzuschauer.
Um einen passiven Rezipienten handelt es sich bei Reinhart Siegert sicher nicht, der hier stellvertretend aus dem zweiten Hauptteil genannt sei. Seiner Skizze über den Bauern Gabriel Schupp und dessen vorgeblich bemerkenswerte schriftstellerische Fähigkeiten fügt er eine Notiz an, aus der hervorgeht, dass Schupp große Teile seines Werkes aus einer 40 Jahre alten Broschüre eines katholischen Landpfarrers abgeschrieben hat. Da diese ältere Broschüre erst kurz vor Drucklegung des hier besprochenen Bandes und eher zufällig in die Hände Siegerts gelangte, wurde aus dem Beispiel eines aufklärerischen Literaten des Bauernstandes kurzfristig “ein Rezeptionsbeleg für volksaufklärerische ‘Popularität‘“ (165).
Der dritte Hauptteil beginnt mit einer Gegenüberstellung der Begriffe (Volks-)Aufklärung und Massenunterhaltung im 19. und 20. Jahrhundert durch Rudolf Stöber. Er untersucht in einem ersten Schritt Einträge in einschlägigen Konversationslexika. In einem zweiten, interessanteren Schritt konzentriert er sich stärker auf Wissenschaftsvermittlung und betont, dass hier ein umfangreiches Forschungsprojekt notwendig wäre. Er stellt anhand zweier exemplarisch ausgewählter Zeitschriften aus dem Vormärz (Pfennig-Magazin) und der Weimarer Republik (Koralle) sowie einer kursorischen Übersicht aktueller populärwissenschaftlicher Printangebote (u. a. Spektrum der Wissenschaft, Wissen und Staunen) eine recht hohe Kontinuität bzgl. der Kombination von Text und Bild, internationaler Bezüge sowie von behandelten Themen (z. B. Hilfestellungen für das alltägliche Leben, Technik, Geschichte) fest. Neben der Ausweitung des Publikums und einer stärkeren Ausdifferenzierung der heutigen Zeitschriften würden heute auch wesentlich mehr Quellen genannt als damals – eine Einladung, Wissenschaftskommunikation auch in historischer Perspektive zu untersuchen (vgl. auch medien&zeit 4/2013).
Keine neuen historischen Fakten, dafür eine Systematisierung bekannter Daten zur (Nord-)Deutschen Allgemeinen Zeitung (NAZ/DAZ) steuert Jürgen Wilke bei. Neben den verschiedenen politischen Systemen und Akteuren, während derer die NAZ/DAZ existierte (1861 bis 1945), werden die wechselnden Besitzverhältnisse, die journalistischen Akteure (Chefredakteure bzw. Redaktionsleiter) sowie Verbreitung und Leserschaft systematisch dargestellt. Ebenfalls historisch-systematisch nähert sich Arnulf Kutsch seinem Thema: Er untersucht die deutsch-baltischen Zeitungen und Wochenblätter Lettlands zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Dafür typologisiert er diese und konzentriert sich jeweils auf deren Entstehungsbedingungen, Funktionen und Ende. So entsteht ein aufschlussreiches Bild eines kleinen Marktsegments deutschsprachiger Periodika im Baltikum in der Zwischenkriegszeit und deren Beziehungen untereinander.
Auch die Beiträge der jeweiligen Ko-Autorinnen und -Autoren Sarah Ehlers/Liliana Ruth Feierstein und Josef Seethaler/Gabriele Melischek beschäftigen sich mit Themen jenseits der deutschen Grenze. Ehlers/Feierstein bereichern die bisher kaum existierende lateinamerikanische Exilforschung deutscher Journalisten mit einem ersten Beitrag über den langjährigen stellvertretenden Chefredakteur der Deutschen Allgemeinen Zeitung (DAZ, 1922-1933), Georg Freund, der 1939 nach Montevideo emigrierte und dort bis 1961 lebte, bevor er wieder nach Deutschland kam. Seethaler/Melischek beschäftigen sich mit der Entwicklung des journalistischen Selbstverständnisses in Österreich und fragen auf Grundlage von Daten aus vier Jahrzehnten nach der “Rückkehr eines interpretierenden und kommentierenden Journalismus“ (353). Sie finden aber eher Hinweise für einen Rückgang desselben und befürchten, dass Parteien zu Exponenten bestimmter Medien werden, was die Gefahr berge, “dass die öffentliche Diskussion als das in der Aufklärung etablierte Prinzip politischer Legitimation unterlaufen wird“ (362).
Der Band regt zur (erneuten) Lektüre von Bönings Arbeiten und zur Nutzung seiner umfangreichen Bibliographien für die Frühphase der Presse an. Vielleicht würde er sich darüber genauso freuen, wie über die Vorstellung, dass die Herausgeberin und die Herausgeber bei der Erstellung des Bandes ebenso zusammensaßen wie die Herren auf der Umschlagabbildung, welche den “räsonnierende[n] Dorfkonvent. Eine gemeinnützig ökonomische-moralisch-politische Schrift für den Bürger und Landmann“ (Erfurt, 1786) zeigt.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Prof. Dr. Rudolf Stöber an der Universität Bamberg
- Webpräsenz von Prof. Dr. Michael Nagel an der Universität Bremen
- Webpräsenz von PD Dr. Astrid Blome an der Universität Bremen
- Webpräsenz von Prof. Dr. Arnulf Kutsch an der Universität Leipzig
- Webpräsenz von Mike Meißner an der Universität Freiburg (CH)