Rezensiert von Stefan Höltgen


Hinter der kryptisch anmutenden Abkürzung (sie steht für “Army-Navy / Fixed Special eQuipment”) verbirgt sich ein computerhistorisches Kursiosum: Im Rahmen der US-amerikanischen Luftverteidigung wurde ab Ende der 1940er-Jahre begonnen, die Radaranlagen zu vernetzen, um den Luftraum über Nordamerika zentral überwachen und gegebenenfalls Verteidigungsaktionen koordinieren zu können. Aus dem so genannten “Whirlwind”-Projekt ging eine Initiative des MIT und der Firma IBM hervor: Zusammen entwarf man einen Digitalcomputer, der für genau diese Aufgaben geeignet sein würde. Insbesondere die Abfrage von Radar-Daten über analoge Telefonleitungen, deren grafische Aufbereitung auf einer Monitor-Karte sowie die interaktive Abfrage von Elementen mit der Möglichkeit direkte Aktionen (etwa Abfangjäger oder -raketen zu starten) auszulösen, sollten ermöglicht werden – und wurden realisiert. Was für heutige Computeranwendungen als Hardwarebasis eine Selbstverständlichkeit und manchmal sogar schon ein Anachronismus ist, war in den 1950er-Jahren, als die ersten AN/FSQ-7-Systeme aktiviert wurden, absolutes Neuland. Es gab damals genauso wenig Computer mit Monitoren wie Licht-Griffel zum interaktiven Anfrage von Monitor-Darstellungen und schon gar kein “Internet”, über das Computer und Radaranlagen miteinander hätten kommunizieren können. All dies wurde für den AN/FSQ-7 erfunden – und dann teilweise wieder “vergessen”, um es Jahrzehnte später, zumeist in der Mikrocomputer-Ära, noch einmal zu “erfinden”.
Ulmann benennt diese technikhistorischen Fakten nicht bloß, er erklärt sie bis ins Detail. Das ist der besondere Gewinn seines Buchs: dass man das Gefühl bekommt, der Autor hätte den von ihm thematisierten Computer komplett auseinander gebaut, um seine Funktionsweise bis hinab zu den Schaltkreisen zu analysieren. Dabei war er gezwungen sein Material aus Patenten, vergriffenen Monografien, Fachaufsätzen und Zeitzeugengesprächen zu generieren. Und genau in diesem Vermögen, aus Quellen eine technische Beschreibung zu rekonstruieren, liegt die besondere Begabung Ulmanns, der selbst ein Computermuseum betreibt, historische Rechner rekonstruiert und Lehre dazu betreibt.
Im Vergleich zu den bislang erschienenen Büchern und Beiträgen zum AN/FSQ-7 stellt das vorliegende Buch so etwas wie das “Non plus ultra” dar, denn es fasst das Vorangegangene zusammen, liefert detaillierte Ausführungen zu vormals bloß nur anekdotisch gesammelten Fragmenten und stellt seine Ausführungen schließlich in einen großen, technikhistorischen Kontext. Man muss sich bei der Lektüre jedoch auf elektronische Beschreibungen (etwa der Funktionsweise der röhrenbasierten Flip-Flop-Schaltungen) ebenso wie auf programmierische Ausführungen (Ulmann stellt den Maschinensprache-Befehlssatz des Computers Opcode für Opcode vor) einlassen. Aber nur so kann Computergeschichtsschreibung funktionieren, wenn sie nicht das immer gleiche oberflächliche Lied der Fortschrittsökonomie wiederholen will.
Links:
Über das BuchBernd Ulmann: AN/FSQ-7: The Computer That Shaped the Cold War. München [Oldenbourg/DeGruyter] 2014, 260 Seiten, 59,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseUlmann, Bernd: AN/FSQ-7: The Computer That Shaped the Cold War. von Höltgen, Stefan in rezensionen:kommunikation:medien, 9. Dezember 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/17202
[…] ist bei r:k:m meine Kurzrezension zu Bernd Ulmanns Monografie über den AN/FSQ-7 […]