Rezensiert von Jakob Jünger
Dass Veränderung die einzige Konstante im Universum ist, hat schon der griechische Philosoph Heraklit behauptet. Welche Veränderungen aber als Innovation gelten können, darüber reflektiert die Wissenschaft noch heute. Diese begriffliche Unsicherheit ist einer der Ausgangspunkte des Bandes zum ersten International Symposium on Media Innovations an der Universität Oslo im April 2012. In den 17 Beiträgen wird die Frage nach der Neuheit von Veränderungen immer wieder neu gestellt.Umso auffälliger ist es, dass sich durchaus einige begriffliche Unterscheidungen und Kriterien als grundlegende Referenzpunkte herausbilden. Diese werden bereits in den zwei Einleitungen von Lucy Küng sowie Tanja Storsul und Arne H. Krumsvik aufgegriffen: erstens spielt Joseph Schumpeter eine prominente Rolle, wenn Innovation als die Durchsetzung neuer Kombinationen von bereits Vorhandenem charakterisiert und damit Invention von Innovation abgegrenzt wird (Schumpeter 2006). Zweitens kommen zur Graduierung von Innovation einerseits die produktbezogene Unterteilung in inkrementelle, architektonische, modulare und radikale Innovation (Henderson/Clark 1990) und andererseits die marktbezogene Unterscheidung von ‘sustaining’ und ‘disruptive innovations’ (Christensen 1997) mehrfach zur Sprache. Drittens werden die Innovationsgegenstände gern mit den vier Ps (Francis/Bessant 2005) in Produkt, Prozess, Position und Paradigma unterschieden. Einen interessanterweise kaum direkt an die genannten Autoren anschließenden und dennoch daran anschlussfähigen Definitionsvorschlag für Medieninnovationen unterbreitet Leyla Dogruel nach eingehender Diskussion der Schwierigkeiten im zweiten Kapitel des Bandes.
Trotz des interdisziplinären Anspruchs – “it is the first book published in the emerging field of interdisciplinary media innovation studies” (7) – zeigt sich damit dann doch ein insgesamt medienökonomischer Fokus der Beiträge, was sich wohl schon durch die institutionelle Bindung der meisten Autoren erklären lässt. Durchaus kommen aber auch konzeptionelle Ideen abseits ausgetretener Pfade zum Vorschein – etwa wenn Gunnar Liestøl mit der rhetorischen Lehre der Topoi eine produktive Verbindung von Theorie und Praxis aufzeigt oder von Jeremy Shtern et al. der Terminus ‘historiografische Innovation’ zur Beschreibung der Entwicklung des World Wide Web diskutiert werden.
Die Gegenstände der vorgestellten Studien sind vielfältig und reichen von Medienprodukten wie Augmented Reality-Anwendungen für Museen, User-Generated Content in der Presse oder der Bedeutung von Social Media für Fernsehsender über Minderheitensprachen bis zu Organisationsstrukturen und Medienregulierung. Sie kommen zudem aus unterschiedlichen europäischen Ländern, neben Skandinavien und dem Benelux ist jeweils ein Beitrag mit Bezug zu Großbritannien, Irland, Frankreich und Italien vertreten.
Zentrale Angelpunkte fast aller Autoren sind Digitalisierung und Konvergenz, oft verstanden als eine Herausforderung für die Geschäftsmodelle von Medienunternehmen. Diese würden ganze Branchen unter Innovationsdruck setzen. Hierzu werden nicht nur konzeptionelle Diskussionen geführt, sondern vorwiegend Fallstudien oder deskriptive Einsichten vorgestellt. Nicht immer ist allerdings klar, inwiefern Innovationsprozesse eine Rolle spielen. Beispielsweise bespricht Charles H. Davis transmediale Produkte, die eine Narration über mehrere Medien hinweg aufbauen. Und Niamh Ní Bhroin beschäftigt sich mit den Motiven für die Verwendung von Minderheitensprachen in Social Media. Das ist interessant, kann aber vermutlich auch ohne Innovationskontext erzählt werden.
An einem empirischen Nachweis von Einflussfaktoren im engeren Sinne versuchen sich immerhin zwei Studien. Arne H. Krumsvik et al. untersuchen den Einfluss der Besitzverhältnisse von Presseunternehmen auf die Einführung von iPad-Apps. Piet Bakker erforscht mit der Logik eines natürlichen Experiments, inwiefern Innovationen in der Presse erfolgreich im Sinne von Auflage und Umsatz sind. Das setzt dem Grundtenor des Bandes, wonach Innovationen grundsätzlich notwendig und eine gute Sache sind, teilweise ernüchternde Befunde entgegen. Der Wechsel ins Tabloid-Format vermag die sinkende Nachfragekurve kaum zu beeindrucken, und zwischenzeitig neu aufgelegte Pressetitel halten ebenfalls nicht lange durch. Und es verdeutlicht: Innovation ist immer auch mit Scheitern verbunden, gerade wenn die Erwartungen hoch sind.
Was fängt man mit einem solchen Sammelband an? Als Gesamtwerk wird er wohl kaum rezipiert werden, die Beiträge stehen jeder für sich selbst. Für die Fortführung des Medieninnovationsdiskurses, zur Konsolidierung prominenter Unterscheidungen und vor allem als wertvoller Einblick in organisatorische Zusammenhänge der thematisierten Medienorganisationen, in Regulierungsstrukturen und in Nutzungsweisen finden sich vielfältige spannende Hinweise. Gemessen an den vorgestellten Innovationskonzepten ist natürlich nicht alles grundlegend neu – doch vieles inspirierend. Damit präsentiert sich die Medieninnovationsforschung, dem Selbstverständnis nach durch Forschungsdesiderate geprägt (vgl. 29), selbst als ständige Neukombination von bereits Vorhandenem.
Literatur:
- Christensen, C. M.: The innovator’s dilemma. When new technologies cause great firms to fail. Boston [Harvard Business School Press] 1997.
- Francis, D.; J. Bessant: Targeting innovation and implications for capability development. In: Technovation, 25(3), 2005, S. 171-183.
- Henderson, R.; K. B. Clark: Architectural Innovation. The Reconfiguration of Existing Product Technologies and the Failure of Existing Firms. In: Administrative Science Quarterly, 35(1), 1990, S. 9-30.
- Schumpeter, J.: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Berlin [Duncker&Humblodt] 2006. Nachdruck der ersten Auflage von 1912, herausgegeben von Röpke, J. und O. Stiller.
Links:
Über das BuchArne H. Krumsvik, Tanja Storsul (Hrsg.): Media Innovations. A Multidisciplinary Study of Change. Göteborg [Nordicom] 2013, 280 Seiten, ca. 28 Euro.Empfohlene ZitierweiseArne H. Krumsvik, Tanja Storsul (Hrsg.): Media Innovations. von Jünger, Jakob in rezensionen:kommunikation:medien, 18. Juni 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16574