Kurt Imhof: Die Krise der Öffentlichkeit

Einzelrezension
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Rezensiert von Christian Schwarzenegger

Einzelrezension
Theoretisieren bedeutet mitunter in der Beobachtung von Phänomenen über diese selbst hinauszudenken und – mit dem Blick auf Veränderungen und Konstanten im Zeitverlauf – Erklärmuster und Verständniswerkzeuge für Wiederkehrendes und Veränderliches zu entwickeln. Erst in diesem Blick auf Konstanz und Veränderung erschließen sich auch Dynamik und Ausmaß von Wandel. Kurt Imhof eröffnet in seiner Auseinandersetzung mit dem “neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit” auf diese Weise einen mehrfaltigen Zusammenhang zwischen Krise und Öffentlichkeit. Imhof blickt auf die Öffentlichkeit in den Krisen der Moderne, die er gleichermaßen als Markierung von Umbrüchen und als Ladestation von Veränderungen sowie Katalysator sozialen Wandels stilisiert.

Ebenso ist es die Öffentlichkeit selbst, der er eine Krise attestiert: Arenen und Kanäle der öffentlichen Kommunikation haben sich vermehrt und ihre Rahmensetzungen gewandelt. Das partizipatorische Potential neuer Medientechnologien bedingt jedoch keinen Automatismus, der zu gesteigerter Teilhabe im Sinn deliberativer Öffentlichkeit führen würde; ja mehr noch sieht Imhof in der öffentlichen Kommunikation einen moralisch-affektiven Bias vorherrschen. Diskursrelevanz verpufft immer mehr in oberflächlichen Affekten.

Zudem macht Imhof in seinen Ausführungen früh klar, dass die Krise der Öffentlichkeit auch eine Krise der Öffentlichkeitsforschung ist. So befindet er, dass sich die Sozialwissenschaft – speziell zwischen den 1960ern und den 1990er Jahren – kaum noch mit Öffentlichkeit befasst habe. Zugleich sei die reduzierende Fokussierung auf die funktionale Differenzierungs-Dimension vorherrschend geworden. Die stratifikatorische und segmentarische Differenzierung sei vernachlässigt worden, hingegen wurde die funktionale Differenzierung vielfach als “normfreies, ‚quasi-transzendental’ waltendes Evolutionsprinzip der sozialtheoretischen Analyse vorangestellt” (21). Die somit unterstellte evolutionäre Linearität gesellschaftlicher Entwicklung ist zugleich einer der Gründe, die Imhof für die vorherrschende ahistorische Gegenwartsfixiertheit der Sozialtheorie ausmacht.

Eine Gesellschaftstheorie ohne Geschichtssinn kann sich fortlaufend an den von ihr beobachteten Veränderungen von Öffentlichkeit überraschen. Dabei kann sie übersehen, dass – wie es Imhof ausführt – die Abfolge von Krisen als Umbruchphasen einerseits und stabilisierenden Phasen der Strukturbildung andererseits wiederkehrende Phänomene darstellen. Sie sind somit theoriefähig. Eine Analyse, die dafür sensibel sein will, so legt Imhof dar, erfordert die Berücksichtigung der Diskontinuität der Moderne, als eine Abfolge von Gesellschaftsmodellen durch Umbruchperioden. In diesen haben wir es mit konfliktinduzierten Kommunikationsverdichtungen zu tun, die Prozessroutinen der Kommunikationsarenen durchbrechen und somit strukturelle Wirkung entfalten können. (159) Um diese epochenbegrenzenden und epocheneröffnenden Vorgänge zu analysieren, braucht es eine Dynamisierung der Theorie der Öffentlichkeit, argumentiert Imhof (ebd.). Der Autor leitet dann dazu über, einen ebensolchen dynamisierten Theorievorschlag zu unterbreiten.

Seinen Weg zur Theorie allerdings beginnt er mit einer historisierenden Befassung mit den “Basisbegriffen ‚Öffentlichkeit’ und ‚Deliberation’”. Es ist keine Geschichte der Öffentlichkeit, die wir in diesem Abschnitt finden, sondern eine Geschichte der Sozialtheorie, von der Aufklärung bis zur Gegenwart, bei deren Durchlauf er sich an den Klassikern abarbeitet. Die Öffentlichkeit, konzipiert als eine “aufmerksamkeitsoffene, ‚soziale Einrichtung‘”, in der permanent Themen um Resonanz konkurrieren, fasst Imhof als das primäre Zugangsportal der Sozialtheorie zur Beobachtung der Gesellschaft: Gesellschaft kann – säkularisiert und religiös begründeter letzter Gewissheiten entkleidet – nur bestehen, wo sie sich in öffentlicher Kommunikation über sich selbst verständigt.

Den neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit beschreibt Imhof dann als eine Folge von Entkopplungen, jener der Ökonomie von der Politik und der Politik vom Nationalstaat, von lokalisierbarer Medienproduktion und Zirkulation der Inhalte. An Stelle der räsonierenden Bürger treten Konsumenten populistischer Medien, die den Populismus einer zunehmend nicht lösungsorientierten und lösungsfähigen Politik verstärken: “Die Sozialfigur des Journalisten orientiert sich primär an Seinesgleichen und thematisiert das, was alle thematisieren oder von dem er ausgeht, dass es alle thematisieren werden.” (248).

Anstelle des publizistischen Konflikts als Nährblase der Öffentlichkeit treten im politischen Diskurs durch die “gleichartige Empörungsbewirtschaftung” (249) Charakter- und Moralurteile, oberflächliche Affekte verstellen den Blick auf Strukturen. Die national gefasste Gesellschaft büßt so zunehmend ihre Fähigkeit zur rationalen Verständigung ein. Eine transnationale – konkret europäische – Öffentlichkeit zur Selbstthematisierung gesellschaftlicher Weltinterpretationen und demokratischer Selbstregulation in einer, den transnationalen Strömen öffentlicher Kommunikation angemessenen, Arena ist bislang gescheitert. Die Krise der Öffentlichkeit besteht mithin darin, dass sie die Fähigkeit sich über das Ausmaß der eigenen Krise zu verständigen, verloren hat.

Imhofs Schilderungen lesen sich, wie der letzte Absatz wohl verdeutlicht, bisweilen schwer pessimistisch, was durch kraftvolle und bildreiche Rhetorik noch unterstrichen wird. Selbst wenn bestimmt nicht jeder Leser die Dramatik der Befunde teilen mag, geben sie Anstoß für Diskussion, Theoriedebatten und auch Widerspruch – wohl ganz in Imhofs Sinn. Denn das Buch zur Krise der Öffentlichkeit versteht sich merklich auch als Krisenintervention. Intervenierendes Potential zu entfalten freilich liegt außerhalb der Verantwortung dieses historisch und theoretisch dicht argumentierten Buches allein. Es wird durch seine (fach-)öffentliche Rezeption und Weiterverarbeitung bestimmt werden.

Die doch fordernde Üppigkeit des Textes könnte es erschweren, diskursive Wirksamkeit zu erzielen. Durchweg wird deutlich, dass die Lektüre dieses Buches nicht in jedem Stadium der Auseinandersetzung mit Öffentlichkeitstheorien empfohlen werden kann. Es richtet sich an einen vorgebildeten Adressatenkreis, der auch trainiert ist, den komplexen Jargon zu bewältigen.

Links:

Über das BuchKurt Imhof: Die Krise der Öffentlichkeit. Kommunikation und Medien als Faktoren des sozialen Wandels. Frankfurt am Main [Campus Verlag] 2011, 319 Seiten, 36,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseKurt Imhof: Die Krise der Öffentlichkeit. von Schwarzenegger, Christian in rezensionen:kommunikation:medien, 30. August 2012, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/9794
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