Mike S. Schäfer, Silje Kristiansen, Heinz Bonfadelli (Hrsg.): Wissenschaftskommunikation im Wandel

Einzelrezension
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Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

Wissenschaftskommunikation im WandelEinzelrezension
Studien zur Wissenschaftskommunikation scheinen Konjunktur zu haben, nimmt man die jüngsten Publikationen als Maß, wie auch einige Meta-Analysen aus den letzten Jahren bestätigen (vgl. 22). Sogar ein “Handbuch“ ist dazu hierzulande bereits 20121 erschienen. Die Herausgebenden des vorliegenden Readers konstatieren zudem eine wachsende Institutionalisierung in der internationalen Kommunikationswissenschaft durch Arbeitsgruppen, Tagungen und Fachorgane (vgl. 23). In Deutschland hat sich besonders eine Bielefelder Forschungsgruppe um den Wissenschaftssoziologen Peter Weingart (zuletzt mit ähnlichem Thema 2014)2 darum gekümmert, da sie eine zunehmende “Verwissenschaftlichung der Gesellschaft“ sowie eine “Vergesellschaftung der Wissenschaft“ diagnostiziert (20).

Allerdings werden gegenläufige Tendenzen, die sich derzeit immer deutlicher abzeichnen, zu wenig beachtet; sie müssen aber zu einem weiten Verständnis des Gegenstandsfeldes hinzugerechnet werden: Zum einen beklagen fachlich einschlägige Redaktionen in den etablierten Massenmedien verstärkt, dass die Berichterstattung über wissenschaftliche Erkenntnisse und Entwicklungen und damit ihre Arbeit zunehmend weniger geschätzt, eher dezimiert oder aber auf für Reichweite und Resonanz lukrativere Formate von Lifestyle und Lebensberatung, häufig auch mit PR-Orientierungen, umgepolt werden. Seriöse Darstellungen und Diskurse werden – wenn überhaupt – in Nischen abgedrängt oder ganz gestrichen. Überall nehmen Kostendruck, Outsourcing an ‘freie‘ Journalisten und kurzfristige Produktionen ohne ausreichende Recherche zu (vgl. 24).

Zum anderen werden spezielle Publikationen wissenschaftlicher Theorien, Befunde und Diskussionen in eigenständigen Medien wie Qualifikationsschriften, Monografien und vor allem Zeitschriften – also die hergebrachte eigentliche Wissenschaftskommunikation primär für die Fachpublika (scholarly communication), aber auch darüber hinaus – von den großen, monopolartigen Verlagskonzernen extrem verteuert, so dass nur noch wenige große Bibliotheken sie erwerben und kontinuierlich bereithalten können. Daher sinken ständig die Auflagen und Reichweiten. Außerdem verpflichten die Verlage Autoren/innen und/oder Forscherorganisationen darauf, die Publikationen mitzufinanzieren, damit sie überhaupt erscheinen, und/oder sie bürden ihnen sämtliche Arbeiten auch der technischen Herstellung auf. Auf diese Weise subventionieren öffentliche Etats, die eigentlich für die Unterstützung von Forschung vorgesehen sind, verdeckt die nur noch privatwirtschaftlich amortisierte Distribution.

Doch da Wissenschaft vom direkten Austausch, fachlichen Dialog und von so genannten speziellen ‘Encounter‘-Öffentlichkeiten lebt, gründen und verbreiten gegen diese sachfremde Verknappung der Wissenschaftskommunikation Forschergruppen, wissenschaftliche Fachverbände und Einrichtungen – außerhalb des etablierten Publikationsmarktes – eigene Medien und Publikationsformen (wie es für angloamerikanische Universitäten übrigens seit jeher üblich ist) und bilden sich Bewegungen des public access, auch unter Einschluss und Mitwirkung wissenschaftlicher Bibliotheken; sie sind natürlich alle nur noch digital zu bewerkstelligen. Allerdings wird aus normativer Sicht angemahnt, dass mit solch libertären, informellen Produktions- und Verbreitungsoptionen aller die hergebrachten Kontrollen der Solidität und Seriosität wissenschaftlicher Publikation außer Kraft gesetzt werden; im Gegenzug erhöhten die anerkannten Publikationsorgane (“reviewed journals“) ihre Qualitätskontrollen und Prädikationen, so dass die Publikationschancen für die wachsende Zahl von Wissenschaftlern immer geringer werden und sich die Eigenveröffentlichungen vermehren.

Diese strukturellen Widersprüche und Verwerfungen, die unmittelbar an die Substanz und Entwicklung von Wissenschaftskommunikation gehen, werden von besagter Kommunikationsforschung noch zu wenig aufgegriffen, auch nicht in diesem Sammelband, der auf die 1. Jahrestagung der Ad-hoc-Gruppe “Wissenschaftskommunikation“ der DGPuK rekurriert, die im Januar 2014 stattfand. Wohl definieren die Herausgeber “Wissenschaftskommunikation“ angemessen weit, nämlich als “alle Formen von auf wissenschaftlichem Wissen oder wissenschaftlicher Arbeit fokussierter Kommunikation, sowohl innerhalb als auch außerhalb der institutionalisierten Wissenschaft, inklusive ihrer Produktion, Inhalte, Nutzung und Wirkungen“ (13), und die Mehrzahl der zwölf Beiträge fußt auf empirischen Erhebungen. Aber diese befassen sich vornehmlich mit Wissenschaftsjournalismus und der populärwissenschaftlichen Kommunikation an ein breites Publikum sowie deren voranschreitender Digitalisierung, allenfalls noch mit dem Online-Austausch unter Wissenschaftlern. Dafür arbeiten sie mehrheitlich spezielle Gewichtungen und/oder Bevorteilungen heraus; diese bestehen darin, dass nur wenige Disziplinen und allein hochrangige Repräsentanten zumal in bestimmten, prekären Phasen von den wachsenden Medialisierungsoptionen profitieren.

Eingeteilt sind die Beiträge in vier Rubriken, die schon die inhaltliche Gewichtung, aber auch wohl unausweichliche Überlappungen andeuten, nämlich “Kommunikation in der Wissenschaft“, “Kommunikation aus der Wissenschaft“, “Kommunikation über Wissenschaft“ sowie “Rezeption und Effekte von Wissenschaftskommunikation“. Zunächst referieren die Herausgebenden in ihrer Einleitung den Stand der einschlägigen Kommunikationsforschung und zeigen als wichtige Wandlungstrends neben den genannten die wachsende Medialisierung der Wissenschaftskommunikation, verstanden als fortschreitende Integration in die medialen Öffentlichkeitsformen, sowie die anhaltende Digitalisierung mit ihren Vorzügen, aber auch Risiken auf.

Die drei Beiträge über die “Kommunikation in der Wissenschaft“ thematisieren zunächst recht abstrakt aktuelle Veränderungen der Wissenschaftskommunikation, die primär als Entgrenzung von Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation interpretiert werden. Ferner werden multimediale Modifikationen des wissenschaftlichen Vortrags sowie die Nutzung wissenschaftlicher Twitter-Kommunikation untersucht. Unter “Kommunikation aus der Wissenschaft“ beschäftigen sich die Beiträge vorzugsweise mit strategischen Formen, etwa der Hochschul-PR, mit Typologien für Akteure bei der Medialisierung von Forschungspolitik sowie mit öffentlichen Darstellungen von Unsicherheit in der Klimaforschung, in Abhängigkeit von der strategischen Wahrnehmung von Öffentlichkeit. Unter der dritten Rubik befassen sich drei Aufsätze mit dem genannten Wissenschaftsjournalismus in herkömmlichen Printmedien und in Online-Arenen. Ein bevorzugtes Thema ist der Klimawandel und seine divergierenden Einschätzungen, aber auch sozial- und geisteswissenschaftliche Erkenntnisse werden publiziert, wenn dafür einschlägige Veröffentlichungen vorliegen. Die letzten drei Beiträge, die unter besagter, etwas unklarer Überschrift stehen (denn Rezeption passiert ja in allen Segmenten), bearbeiten im engeren Sinne Rezeptionseffekte und Einstellungsänderungen, zweimal am Beispiel der Energiewende und einmal bei Entscheidungen für Impfungen. Ihr empirischer Blick richtet sich primär darauf, wie demografisch breit gestreute Rezipienten mit wissenschaftlichen Unsicherheiten umgehen, wie ihre Einstellungen von subjektiven Vorannahmen, aber auch von medialen Framing-Konstellationen beeinflusst sind und – ganz klassisch: nach dem Theorem der Opinionleaders – welchen Stellenwert interpersonale Kommunikation bei der Bildung themenbezogener Einstellungen hat.

Fast alle Beiträge berichten über empirische Fallstudien, Befragungen, Inhaltsanalysen und Kombinationen von beiden. Dieses Vorgehen erweist sich für das begrenzte, gewählte Untersuchungsfeld als authentisch und plausibel, vermag auch einige exemplarische Dimensionen andeuten. In jedem Fall hebt es sie über sonst übliche, nur heuristische Interpretationen hinaus, markiert aber auch ihre “Limitationen“, die in der Regel im Fazit thematisiert werden. Alle Studien verstehen sich als Vorarbeiten oder Vorbereitungen für weitere Forschungen, die am Ende jeweils anempfohlen werden, gewissermaßen sind sie ‘research in work’. Aber dafür müssten zunächst grundsätzliche Diskussionen darüber geführt werden, wie die eingangs skizzierten Transformationen und Fehlentwicklungen des zunehmend globalen, aber auch dysfunktionalen wissenschaftlichen Publikationsmarktes methodisch angegangen und analysiert werden können.

  1. Beatrice Dernbach, Christian Kleinert, Herbert Münder (Hrsg.): Handbuch Wissenschaftskommunikation. Wiesbaden: Springer VS  2012
  2. Peter Weingart, Patricia Schulz (Hrsg.): Wissen – Nachricht – Sensation. Zur Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien. Weilerswist: Velbrück 2014
Über das BuchMike S. Schäfer, Silje Kristiansen, Heinz Bonfadelli (Hrsg.): Wissenschaftskommunikation im Wandel. Köln [Herbert von Halem] 2015, 380 Seiten, 28,50 Euro.Empfohlene ZitierweiseMike S. Schäfer, Silje Kristiansen, Heinz Bonfadelli (Hrsg.): Wissenschaftskommunikation im Wandel. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 29. November 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18771
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