Michael Schomers: Der kurze TV-Beitrag

Einzelrezension
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Rezensiert von Sebastian Köhler

Der kurze TV Beitrag_onlineEinzelrezension
Michael Schomers dürfte in mehrerer Hinsicht wissen, worüber er schreibt: Der 1949 Geborene arbeitet nach eigenen Angaben einerseits praktisch als freier Fernsehjournalist, Autor, Regisseur, sowie TV-Produzent und andererseits reflexiv als Dozent in der journalistischen Aus- und Weiterbildung. Originell erscheinen mir seine Versuche, Theorien und Umsetzungen zum kurzen TV-Beitrag im Rahmen des “dokumentarischen Fernsehens” (128) in Deutschland zu diskutieren. Der Autor erklärt, sein Buch sei “keine theoretische und abstrakte Abhandlung über das Thema, sondern eine möglichst anschauliche Beschreibung ganz konkreter Produktionen mit vielen Beispielen aus der Praxis” (9). Diese Einschätzung kommt meiner recht nahe, dennoch hätte dem Buch insgesamt noch mehr Reflexivität sicher nicht schlecht getan – zum Beispiel im Sinne des Diskutierens praktischer oder eben auch theoretischer jeweiliger Alternativen.

Schomers, der beide Seiten der dualen deutschen Fernsehlandschaft kennt, sieht “die Grundfrage” (246) darin, wieso gebührenfinanziertes Fernsehen überhaupt so stark auf “die Quote” (ebd.) schaue und dabei oft den Sendeauftrag “sehr vernachlässigt” (ebd.). Vor diesem Hintergrund verflache, ja verkomme der Journalismus immer mehr einerseits zur oberflächlichen hyper-aktuellen Berichterstattung, andererseits zur relativ reinen und zudem seichten Unterhaltung (vgl. 239f.).

Besonders originell, weil theoretisch und praktisch sowohl kritisch als auch konstruktiv, erscheint Schomers’ Auseinandersetzung mit den Schriften und dem redaktionellen Wirken des deutschen TV-Trainers Gregor Alexander Heussen (vgl. 119ff.). Schomers versucht, auch bei Heussens Ansatz vom ‘Erzählsatz’ (in meinen Worten: Man kann und soll auch im aktuellen TV-journalistischen Bereich des Fernsehens möglichst vieles als Geschichte vermitteln mit Erzählsatz in der Gegenüberstellung von Hauptfigur und Herausforderung sowie im Abarbeiten eines entsprechenden Roten Fadens aus der insbesondere verbalsprachlichen Perspektive einer bestimmten Textperson) Chancen und Risiken in den Blick zu bekommen.

Schomers konzentriert sich allerdings (für mich nachvollziehbar) auf die Gefahren, die (nicht nur) er in einer tendenziellen Verabsolutierung der Vorschläge Heussens sieht: Der Autor argumentiert, dass viele Zuschauer kaum “auf diese ermüdend eintönige Weise unterhalten werden” (121) wollten. Im Sinne einer – normativ auch hier zugrundeliegenden, aber kaum einmal explizit gemachten – journalistischen Vielfalt bleibt zu kritisieren, dass durch gewisse Totalisierungen von Heussens Erzählsatz leider “viele Möglichkeiten weg(fallen), die zu anderen dramaturgischen Lösungen führen könnten” (ebd.). Schomers beklagt, dass TV-journalistische Beiträge so “insgesamt wohl erheblich gleichförmiger” (123) würden.

Systematisch und pragmatisch-konstruktiv habe auch ich mich mit jener Problematik auseinanderzusetzen bemüht, um womöglich pathologischen Einengungen bei Themenwahl und Umsetzungen in der aktuellen TV-Berichterstattung entgegenwirken zu können (vgl. Köhler 2009: 174ff.): Journalistische Vielfalt als wichtiges Qualitätskriterium bedeutete daher zumindest zweierlei: Erstens als ‘externe Vielfalt’, angesichts von Ereignissen mit Storypotential anderes, relevantes Geschehen auch und angemessen zu vermitteln – die Welt bleibt ja nicht stehen, nur weil z.B. die Geburt eines royalen Babys ansteht. Und dies bedeutete zweitens als ‘interne Vielfalt’, das geschichtsträchtige Geschehen selbst vielseitig und hintergründig zu vermitteln. Also – was die ‘interne Vielfalt’ auf der Ebene der Sendung und Sendungen angeht – beispielsweise nicht nur in einer Darstellungsart und Darstellungsform oder nicht nur in einer Perspektive und Position. Und was die ‘interne Vielfalt’ bezogen auf den einzelnen narrativen Beitrag angeht, durch objektivierende journalistische Ansätze etwa wie Aus-Balancierung (zu) einseitig-suggestiver Bilder durch die Textperson/den Sprechertext oder durch parallele Handlungsstränge.

Auch Schomers plädiert in diesem Sinne sicher für solides Handwerk, aber insbesondere für Individualität und das Ausprobieren neuer, kreativer Lösungen (vgl. 125). Überzeugend finde ich daher auch Schomers’ Einordnen der normierten Erzählsätze in vielen Bereichen des gegenwärtigen TV-Journalismus in die übergreifenden Probleme der Skripted Reality und die von dort ausgehenden Gefahren für das Dokumentarische im TV überhaupt (vgl. 126ff.). Schomers bewegt die Frage der Verhältnisse von Dokumentarischem und Inszeniertem: “Wir gestalten unseren Film, was in gewisser Weise auch bedeutet, dass wir die Wirklichkeit gestalten” (133).

Schomers arbeitet seit rund 30 Jahren offenbar überwiegend selbstständig, und dafür beschreibt er treffend einige Ambivalenzen dieser oftmals nur scheinbar ‘freien’ Tätigkeiten zwischen erheblicher Selbstausbeutung und relativ un-entfremdeter Arbeit (vgl. 56ff.). Die Problemzonen zwischen schrumpfender Kernbelegschaft und schrumpfendem ‘Kuchen’ für eine wachsende Randbelegschaft (Pauschalisten, Freie, Praktikanten etc.) bestimmt der Autor als ‘Riss’, der durch die Fernsehlandschaft gehe (vgl. 214).

Wenn Journalismus im Kern das Veröffentlichen von aktuellen, authentischen und autonomen Beiträgen bedeutet, die ohne das jeweilige journalistische Wirken gar nicht öffentlich werden könnten (so ja unter anderem Karl Nikolaus Renner oder auch Michael Haller), ist klar, dass Recherche, also die rezeptive Seite des Journalismus, mindestens ebenso wichtig ist wie die produktive. Schomers problematisiert daher sehr zu Recht, dass gerade im TV-Journalismus Recherche in der Regel nicht bezahlt wird (vgl. 72), was bedeutet, dass die Erwerbstätigkeit umso lukrativer ist, je weniger recherchiert wird. Ein anderes Problem bleibt das Angewiesensein auf möglichst exklusive Bewegtbilder, was durch die privat-rechtlichen Sender zu immer mehr ‘Scheckbuchjournalismus’ führe – wer das meiste Geld habe oder biete, bekomme den Zuschlag. Relevant und klar ist Schomers Blick auf die ökonomische Macht der Sender (vgl. 88f.): Sie sitzen strukturell und tendenziell am längeren Hebel und dürfen daher mit (und in) den Filmen in der Regel machen, was sie wollen (vgl. 218).

Besonderen praktischen Nutzwert versprechen die Passagen über selbst erlebte komplexe Dreh-Arbeiten (vgl. 14, 52, 84 u.v.a.), zur Systematik im Umgang mit dem eigenen Material (vgl. 150 – auch wenn die Speichermedien weiter aktualisiert sind), zum Laufenlassen der Kamera (vgl. 173), zum Sichten und dem Einbezug von Praktikanten (vgl. 191) und zum Umgang mit der versteckten Kamera (vgl. 231f.).

Das Buch von Michael Schomers bietet daher insgesamt inhaltlich-praktisch einen sehr guten Überblick zum Thema, warum und wie kurze TV-Beiträge produziert werden (sollten). Neben meiner Kritik am insgesamt doch leider etwas zu geringen theoretischen Spielraum, den der Autor nutzt und eröffnet, gesellt sich die Frage, ob das Buch tatsächlich, wie im Einband verkündet, ein Korrektorat erfahren hat. Zugute halte ich dem Autor eine oft angenehm umgangssprachliche Art, welche die Zielgruppe sicher anspricht. Aber Schomers ist ja offenbar keiner von den Fernseh-Überfliegern, die meinen, Schriftsprachliches versende sich so oder so. Vielmehr scheint er selber Anhänger eines vielfältigen und zugleich möglichst angemessenen und richtigen Sprachgebrauches. Auch deshalb ärgern die zahlreichen rechtschreiblichen, grammatikalischen und auch ausdrucksbezogenen Fehler im Buch umso mehr.

Literatur:

  • Köhler, S.: Die Nachrichtenerzähler. Zu Theorie und Praxis nachhaltiger Narrativität im TV-Journalismus. Baden-Baden [Nomos] 2009.

Links:

Über das BuchMichael Schomers: Der kurze TV-Beitrag. Konstanz [UVK] 2012, 250 Seiten, 24,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseMichael Schomers: Der kurze TV-Beitrag. von Köhler, Sebastian in rezensionen:kommunikation:medien, 30. August 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/14150
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