Daniel Hajok, Olaf Selg, Achim Hackenberg (Hrsg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen

Einzelrezension
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Rezensiert von Anja Weller

Auf Augenhöhe_onlineEinzelrezension
Das Lesen der Schlagzeilen in den Printmedien zeigt, dass Fernsehformate, die sich unter dem Label ‘Reality-TV’ fassen lassen, eine große Aufmerksamkeit erfahren. In den Artikeln werden neben den prominenten Experten, wie Heidi Klum, Dieter Bohlen oder Katja Saalfrank, auch die Akteure thematisiert  – ‘echte’ Menschen mit ‘echten’ Geschichten. Die breite Medienpräsenz thematisiert dabei fast ausschließlich den im eigentlichen Format eröffneten Diskurs, welcher die sehr emotionalen Lebensgeschichten der Kandidaten beinhaltet.

Kritische Stimmen werden seitens der Medien kaum laut, was verwundert, wenn man sich selbst einmal in die Rezipientenrolle solcher Casting- oder Coachingsendungen begibt und die zahlreichen Inszenierungsstrategien identifiziert. Der gesellschaftliche Diskurs über ‘Reality-TV-Formate’ findet nur sehr oberflächlich statt und die Aufklärung über eben jene gesendeten Strategien ist defizitär, was auch in den vielen Interviewzitaten mit Kindern und Jugendlichen der einzelnen Beiträge im Sammelband deutlich wird.

Das Buch hat demnach ein populäres Thema der Medien zum Gegenstand, bei welchem zunächst jeder eine Meinung zu haben scheint und man gerade aus medienpädagogischer Perspektive eine tiefere Auseinandersetzung erwartet. Diese Vorannahme lässt sich nicht bestätigen, was die empirischen Ergebnisse im Band unterstreichen. Gerade diese Tatsache macht das Thema zu einem sehr spannenden Gegenstand und verdeutlicht, dass Medienkompetenz noch längst nicht zum Repertoire des gesellschaftlichen Handelns gehört.

Dass aber gerade im Hinblick auf die jugendliche Zielgruppe von Deutschland sucht den Superstar und ähnlichen Formaten zahlreiche Gefahren auf deren Sozialisation ausgehen, wird dem Leser im Buch durch unterschiedliche Perspektiven der Wissenschaft dargelegt. Diese Sichtweisen verdeutlichen zum einen die Gefahren für junge Zuschauer und begründen die wissenschaftliche Relevanz.

Die Struktur des Sammelbandes, der von Daniel Hajok, Olaf Selg und Achim Hackenberg im UVK Verlag herausgegeben wird, ist typischerweise in zwei Teile aufgegliedert. Zunächst werden im Buch verschiedene theoretische Herangehensweisen an das Thema präsentiert. Im zweiten Teil stehen dann zur Untermauerung der Theorien die empirischen Ergebnisse bereit. Auf diese Weise wird ein umfassender Einblick in die Medienrezeption geliefert, der neben der Sicht von Experten und Rezipienten auch die Seite der Produzenten abbildet. Der logische Aufbau überrascht den Leser dabei nicht, führt ihn aber gut in die Thematik ein, so dass sich der Band sowohl für Experten als auch für wissenschaftliche Einsteiger eignet.

Im theoretischen Teil werden vor allem grundlegende Tendenzen aufgezeigt, so zum Beispiel der immanente Widerspruch sogenannter ‘Reality-TV-Formate’. Dieser besteht darin, dass die Realität mit den Inszenierungsstrategien der Medien derartig verschwimmt, dass Authentizität zum Hauptargument der Rezeption für die Zielgruppe wird, obwohl gerade diese überhaupt nicht scharf umrissen werden kann. Problematisch ist das vor allem bei Jugendlichen und Kindern, die eben jene Fernsehwelt als Abbild der Realität wahrnehmen und für die die Kandidaten als Peer-Group-Mitglieder attraktive Identifikations- und Projektionsflächen bieten. Die Glorifizierung vermeintlicher Experten, welche entweder beratend zur Seite stehen wie zum Beispiel in Form der Super Nanny oder über das Weiterkommen in die nächste Runde entscheiden, avancieren zu Vorbildern und werden zur Richtlinie des eigenen Handelns.

Um diese Argumente darzulegen, nähern sich die Autoren dem Thema aus philosophischer, medienwissenschaftlicher, soziologischer und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. Produzenten, Akteure sowie Begutachter solcher Formate kommen zu Wort und erweitern die wissenschaftliche um eine praxisnahe Sicht. Generell ähneln sich die Artikel des ersten Teiles, da immer wieder gleiche Formate betrachtet werden – wobei vor allem Germany’s next Topmodel und Deutschland sucht den Superstar die Sendungen des Interesses sind. Auf diese Weise ist der Neuigkeitswert der aufeinanderfolgenden Artikel nicht immer gegeben.

Der zweite Teil des Buches zeigt, welche methodischen Herangehensweisen an die Erforschung der Medienrezeption, vor allem bei Jugendlichen, existieren. Die erhobenen qualitativen Daten, in Form von Interviews, verdeutlichen den Handlungsbedarf – die Förderung der Medienkompetenz – im Bereich der Medienpädagogik, ohne jedoch Lösungsansätze zu liefern.

Ein herausstechender Gegenstand bei der Rezeption solcher Formate ist die Darstellung der Frau. Innerhalb der Artikel erscheint dies als ständige Schnittmenge und mündet in dem sich konkret diesem Problemfeld widmenden Artikel “Neucodierung der Weiblichkeit” von Ulrike Prokop und Anna Stach. Er fasst die Bandbreite der gesellschaftlichen Wahrnehmungen sehr präzise zusammen. Weiterhin beinhaltet er eine Kritik an der Methodik zur Erforschung der Wahrnehmung und bietet zugleich eine neue methodische Herangehensweise.

Es verwundert, dass das Themenfeld des Frauenbildes nicht deutlicher als Gegenstand medienpädagogischer Betrachtungen präsentiert wird, da es dem Format selbst als inhärent zu sein scheint, wie dies auch Ulrike Prokop und Anna Stach in ihrem Artikel mit folgenden Worten beschreiben: “In beiden Sendungen [Germany’s next Topmodel und Die Super Nanny, Anm. der Autorin] sind es Frauen, die im Wesentlichen von Frauen zu einem Optimierungsprozess angeleitet werden” (193). Der Fakt, dass die Zielgruppe von Casting- und Coachingsendungen mehrheitlich Frauen sind und dass bei Deutschland sucht den Superstar zwar eine von Männern dominierte Jury (in der aktuellen 10. Staffel gar eine reine Männer-Jury) auftritt, diese in ihren Kommentaren aber die Weiblichkeit der Kandidaten stets zum Gegenstand macht, verdeutlicht deren Relevanz innerhalb der medienpädagogischen Betrachtung. Augenscheinlich wird dies in den Verharmlosungen der Rezipienten, die kaum Kritik üben und Argumentationsmuster der Jury in die eigenen aufnehmen (vgl. 172).

Der Sammelband vereint verschiedene theoretische Perspektiven auf Casting- und Coachingsendungen und bietet somit einen breit gefächerten Zugang in die Thematik. Zu empfehlen ist das Werk sowohl für Einsteiger, als auch für wissenschaftlich Fortgeschrittene, sowie für die Einbindung in die Lehre. Der strukturelle Aufbau des Buches, sowie der verwendete Sprachstil, sind für den Leser nachvollziehbar und leicht verständlich. Generell ist der Fokus auf die Medienrezeption von Castingshows durch Jugendliche zwar nicht neu, aber durch die Vielfalt und den Umfang der Betrachtungsweisen bereichert der Sammelband die wissenschaftliche Community.

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Über das BuchDaniel Hajok, Olaf Selg, Achim Hackenberg (Hrsg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Reihe: Alltag, Medien und Kultur, Band 10. Konstanz [UVK] 2012, 272 Seiten, 29,- Euro.Empfohlene ZitierweiseDaniel Hajok, Olaf Selg, Achim Hackenberg (Hrsg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. von Weller, Anja in rezensionen:kommunikation:medien, 4. Mai 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/12391
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