Astrid Zipfel: Wirkungstheorien der Medien- und-Gewalt-Forschung

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert von Jörn Ahrens

Einzelrezension
Medien wirken. Über diesen Umstand sind sich alle einig. Aber was das bedeutet, was für Konsequenzen Medienwirkung zeitigt, wie sie zu beurteilen ist und ob sie überhaupt gemessen werden kann, daran scheiden sich die Geister. Das Verhältnis von Medien und Gewalt ist schon lange Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und regelmäßig auch Thema öffentlicher, teilweise sehr breitenwirksamer Debatten. Einen wichtigen Strang nimmt hier die sogenannte Medienwirkungsforschung ein, die sich mit der Wirkung von Medieninhalten auf deren Rezipienten befasst, wobei die Auseinandersetzung mit Inszenierungen von Gewalt in den verschiedenen Medienformaten sicher einen prominenten Platz einnimmt.

Wenngleich nicht durchwegs, so ist doch ein maßgeblicher Grund für das Aufkommen einer solchen Medienwirkungsforschung ein nicht unerhebliches Misstrauen gegenüber einer medialen Einflussnahme auf die verschiedenen Publika gewesen. Wenn unter Bedingungen massenmedialer Kommunikation Medieninhalte ihre Rezipienten mit voller Wucht treffen, tendenziell isoliert und unter Bedingungen eines nicht kontrollierten Konsums, dann ist eine begleitende Forschung aufgerufen, diese Wirkungen auszuloten und zu evaluieren. Mit einer zuweilen erstaunlich wirkenden Kontinuität liegt dabei das Interesse darauf, mögliche negative Einflüsse des Medienkonsums auf die Aggressionsbereitschaft der Einzelnen zu untersuchen.

Längst ist die Medienwirkungsforschung ein gut ausgebauter, etablierter Wissenschaftszweig, der insbesondere in Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Kriminologie beheimatet ist. In diesem Feld ist Astrid Zipfel seit langem als eine der führenden Expertinnen, mindestens im deutschsprachigen Wissenschaftsraum, ausgewiesen, die das ganze Forschungsgebiet regelmäßig einer Überprüfung unterziehen. Ihre gemeinsam mit Michael Kunczik verfasste, in vielen Auflagen erschienene Studie zu Gewalt und Medien dürfte einer der Klassiker für eine Beschäftigung mit der Beziehung von Medien und Gewalt sein.

Nun hat Zipfel mit einer eigenen Bestandsaufnahme nachgelegt, die der Leserin einen profunden Überblick zur Medienwirkungsforschung an die Hand gibt. Mit größter Sorgfalt legt Zipfel hier die Forschungslage dar, stellt konkurrierende Ansätze vor, beleuchtet deren Vor- und Nachteile und diskutiert ausgesprochen luzide mögliche Stärken und Schwächen der Validität von Forschungsergebnissen, gerade auch durch die Laborbedingungen, unter denen sie entstanden sind, und arbeitet so insgesamt das Bild einer in sich weit verzweigten Forschungslandschaft heraus. Insofern wird auch diese ebenso solide, profunde wie informative Einführung in das Feld ganz sicher und zu Recht rasch zu einem viel zitierten Referenzwerk werden.

Allerdings liegt hier auch der besonders interessante Aspekt des Buches. Denn es fällt durchaus auf, dass die Medienwirkungsforschung, deren experimentelle Anlage auf die Erzielung sehr konkreter Ergebnisse ausgelegt ist, eins gerade nicht hervorbringt: eindeutige Ergebnisse. Immer wieder macht Zipfel deutlich, dass die Befunde enorm abhängig sind von weiteren Faktoren – sei es die Experimentalanordnung selbst, seien es die sozialen, kulturellen, mentalen Bedingungen des Untersuchungsfeldes oder der Probanden, von der technologischen Dimension der einzelnen Medienformate ganz zu schweigen.

Was insofern an einem Überblick zur Medienwirkungsforschung am stärksten auffällt, ist die völlige Abwesenheit der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung zum Thema. So fehlen ganze Forschungslandschaften zur Medienwissenschaft, zu Emotion, Affekt und Performanz, zur kulturellen Einbettung und Rezeption von Gewalt. Allein im Sinne einer kultursoziologischen Gewaltforschung fehlen Namen wie Angela Keppler, Trutz von Trotha, Randall Collins, Thomas Hausmanninger oder Rainer Leschke.

Deren Forschung aber könnte sehr instruktiv die von der Medienwirkungsforschung vorgelegten Befunde ergänzen, oftmals korrigieren und präzisieren. Denn was so natürlich fehlt, ist eine epistemologische Perspektive auf den Gegenstand und das gesamte Feld der Medienwirkungsforschung. Zunächst einmal wäre dies die bloße Annahme, dass Medien auf ihr Publikum einwirken und daraus Probleme entstehen können. Aber diese Publikumswirkung war, mindestens seit der antiken Tragödie, schon immer vorhanden und sie war (und ist) durchaus auch gewollt. Nur für problematisch wurde sie nicht erachtet, sondern galt vielmehr als Bestandteil der Gattung selbst.

Die Perspektive der Problematisierung ist jüngeren Datums und kann vom Aufkommen der modernen Massenmedien nicht abgelöst werden. Diese Reflexion, auch die Einbeziehung dieses Umstands in Forschungsdesigns, fehlt aber in der Medienwirkungsforschung offenbar gänzlich. Was so nämlich schlicht und komplett ausgeblendet wird, ist die Ebene der Mediensprache und der medialen Form. Diese wäre aber ganz sicher zentral für einen angemessenen Nachvollzug von Medienwirkung, da schon jede Genrelogik das Rezeptionsverhalten auch normativ steuert und dafür spezifische Ästhetiken und Dramaturgien bereitstellt. All dies berücksichtigt die Medienwirkungsforschung jedoch gar nicht, womit ihr ein erhebliches Wissen über Medien überhaupt nicht zur Verfügung steht. Dabei wird vor allem immer wieder die auffällige Begrenztheit der nach wie vor in Konjunktur befindlichen modernen Kognitionsforschung offensichtlich, die in letzter Konsequenz abgekoppelt bleibt von den Kontexten und Bedingungen ihrer Untersuchungsgegenstände.

Es mag unangebracht erscheinen, eine solche, in eine grundlegende Richtung weisende Kritik an einem Forschungsfeld anhand eines Einführungsbandes zu formulieren, der lediglich eine Übersicht über das Feld gewährleisten soll. Andererseits bietet sich genau diese Reflexion gerade anlässlich eines solchen Bandes an, der in seiner kompakten Übersichtlichkeit und profunden Kennerschaft ganz sicher ein selten umfassendes und erschöpfendes Bild der Forschungslandschaft zeichnet. In diesem Sinne sollte man den Überblick nicht zu stark immanent gerichtet verstehen, sondern vielmehr als Einladung zu einer ganz sicher enorm produktiven Ausweitung der Versuchszone in Richtung einer interdisziplinären Anreicherung der Medienwirkungsforschung.

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Über das BuchAstrid Zipfel: Wirkungstheorien der Medien- und-Gewalt-Forschung. Reihe: Konzepte. Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 20. Baden-Baden [Nomos] 2019, 220 Seiten, 26,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseAstrid Zipfel: Wirkungstheorien der Medien- und-Gewalt-Forschung. von Ahrens, Jörn in rezensionen:kommunikation:medien, 17. Mai 2019, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21827
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