Benedikt Feiten: Jim Jarmusch: Musik und Narration

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Rezensiert von Hannes Wesselkämper

Einzelrezension
In der jüngeren Geschichte des Kinos finden sich nur wenige RegisseurInnen, deren Stil sich als derart dicht, aber gleichzeitig brüchig beschreiben ließe, wie jener des Amerikaners Jim Jarmusch. Sein Gesamtwerk ist von stilistischen wie inhaltlichen Brüchen geprägt, aber es sind vor allem die Filme im Einzelnen, die jene Brüchigkeit in sich tragen, ja sogar reflexiv verhandeln. Down by Law (1986), Jarmuschs früher Achtungserfolg in Europa, verbindet etwa Zitate des amerikanischen Film Noir und des Gefängnisfilms mit absurden und antiklimaktischen Erzählformen, während sich der Ort der Handlung, New Orleans, mit seiner kulturellen Vielschichtigkeit prominent in das filmische Geschehen einschreibt.

In seiner Dissertationsschrift spürt Benedikt Feiten jenen Bruchstücken auf produktive Weise nach. Ihm ist nicht daran gelegen, sich Jarmuschs Oeuvre als inter- wie intrakulturelles Puzzle zu nähern und dabei die einzelnen Stücke mit fachmännischer Geste auseinanderzunehmen. Auch, und damit unterscheidet sich Jim Jarmusch: Musik und Narration von anderen einschlägigen Werken der Jarmusch-Rezeption, wiederholt Feiten nicht jenes Narrativ des Independent-Filmemachers als schlichtes Gegenkino: Es sei nicht konstruktiv, die Analyse von Jarmuschs Filmen “ausschließlich auf ihre Abweichung vom Hollywood-Kino zu stützen“ (11). Darüber hinaus sei oft unklar, was der Begriff des Independent-Kinos genau umreiße, sogar der Filmemacher selbst hinterfrage dieses Label kritisch (23).

Benedikt Feiten definiert Musik und Narration der Filme sowie deren mannigfaltige Überschneidungspunkte als Leitlinien seiner Analyse von sechs zentralen Jarmusch-Filmen. Beide fußen auf kurzen theoretischen Einordnungen, die jedoch breiter gestaffelt sein könnten. Feiten begrenzt seine Ausführungen zu sehr auf die Schilderungen von Konventionen und ihren Brüchen, um aus der von ihm kritisierten Perspektive des einfachen Gegenkinos auszubrechen. Zentral für die Analyse ist sein Konzept der ‘zirkulären Erzählung‘, die musikalische sowie erzählerische Elemente unter dem poetischen Prinzip von Wiederholung und Variation vereint. Dieses richte sich nach “rhythmisierten, musikalischen, visuellen und thematischen Motive[n, die] das narrative Grundprinzip“ von Jarmuschs Filmen bildeten (49). Weiter spricht Feiten von einem ‘Schwebezustand‘, der die Filme in der stetigen Neuverhandlung dieser Motive präge (ebd.).

Jene ‘zirkuläre Erzählung‘ findet in der Beschreibung der beweglich angeordneten – und sich beständig neu ordnenden – Motive immer wieder zu Metaphern des Räumlichen und der Dauer. Umso verwunderlicher sind die wenigen Zeilen, die Henri Bergsons Konzept der verräumlichten Zeiterfahrung und der Dauer in Zeit und Freiheit oder Gilles Deleuzes Bergson-Kommentare im Kontext des Bewegungsbildes gewidmet werden (vgl. Bergson [1889] 1994; Deleuze [1983] 1989). Auch ein stärker filmästhetisch orientiertes Konzept zu komplexen Relationen von Bild und Ton, wie etwa Michel Chions Prozess des ‘audio-viewing‘, hätte die durchweg gelungenen Analysen der Studie noch prägnanter unterfüttern können (vgl. Chion 2009).

Die Stilmittel der ‘zirkulären Erzählungen‘ in Jarmuschs Filmen arbeitet Benedikt Feiten unter der Maßgabe der ‘Transnationalität‘ heraus. Dies ermöglicht seinen Analysen, einen Referenzraum der Filme auszuformulieren, in den sich kulturelle Bezüge auf verschiedene Weise einschreiben, aneinander reiben, vermischen. Feiten gelingt es dabei, eine Form der Leitmotivik zu beschreiben, die die filmische Erzählung durch narrative wie musikalische Mittel strukturiert, ohne sich schablonenhaft darüberzulegen. Diese Strukturierung besticht “dadurch, dass sie immer wieder Grundthemen variiert, anstatt vom zuletzt erreichten Zustand auszugehen“ (62).

So gestalten sich die vorgelegten Fallbeispiele nachvollziehbar in ihrer analytischen Herangehensweise, ohne die angesprochenen werkinternen Brüche und individuellen ästhetischen Ausformungen einzufrieden. Feiten erarbeitet Schaubilder, die wichtige (musikalische) Motive des jeweiligen Films darlegen und im Spiel von Wiederholung und Variation als strukturgebend anschaulich machen. Diese Motive und Variationen macht Feiten in der Analyse sowohl auf der Mikro- wie auch der Makroebene des Films produktiv.

In Stranger than Paradise lässt sich so die Bedeutung des Screamin‘ Jay Hawkins-Song ‘I put a spell on you‘ nachvollziehen. Drei Mal spielt die Protagonistin Eva diesen Song von einem tragbaren Kassettenspieler ab, was dem Film je eine neue Dynamik verleihe, so Feiten. Selbst als der Song ein viertes Mal ertönt, im Abspann des Films, sei er Teil der Schlusspointe und wichtiger Ausdruck des reflexiven Verständnisses des Films. Eva tanze – durchaus passend – einen Walzer zum exaltierten Rhythm’n’Blues-Stil des Songs, verbinde damit ihre ungarische Herkunft mit dem Traum von den USA, mache einen hybriden Bedeutungsraum auf, so Feiten in seiner Analyse. Auf bildgestalterischer Ebene zeige sich dann eine Spannung zwischen den leeren statischen Räumen und der raumgreifenden Musik, die zudem intradiegetisch motiviert sei, also nicht ‘über‘ dem gezeigten liege (vgl. 98f.).

Neben dem Spiel aus makrofilmischer Struktur der Motive und der konkreten Verortung in den Szenen der Filme, eröffnet sich durch einen transnationalen Fokus der Analyse eine weitere Ebene. Feitens Perspektive auf die gestalterischen Mittel in ihrer Funktion als intertextuelle Verweise verschiedener kultureller Provenienz liefert einen wichtigen Beitrag in der Wahrnehmung von Jarmuschs Werk. Jene oben angerissenen Genrezitate in Down by Law sowie die Verortung im kulturell vielfältigen New Orleans lassen sich folglich nicht nur als bloße Staffage verstehen. Sie tauchen nicht (nur) als spielerische Haltung eines ‘auteurs‘ auf, sondern sind zentrale, vielschichtige und veränderliche Pfeiler der Ästhetik von Jarmuschs Filmen. Feitens Analysen liefern damit selbst einen wichtigen und strukturierenden Beitrag in der breit gefächerten bis unübersichtlichen Jarmusch-Rezeption.

Literatur:

  • Bergson, H. Zeit und Freiheit. Hamburg [Europäische Verlagsanstalt] 1994.
  • Chion, M.: Film, a Sound Art. New York [Columbia University Press] 2009.
  • Deleuze, G.: Das Bewegungsbild. Kino 1. Frankfurt a. M. [Suhrkamp] 1989.

Links:

Über das BuchBenedikt Feiten: Jim Jarmusch: Musik und Narration. Transnationalität und alternative filmische Erzählformen. Bielefeld [transcript] 2017, 208 Seiten, 32,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseBenedikt Feiten: Jim Jarmusch: Musik und Narration. von Wesselkämper, Hannes in rezensionen:kommunikation:medien, 7. Juni 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21265
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