Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg.): Journalistische Genres

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Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

Einzelrezension
Im deutschen Sprachgebrauch meint “journalistisches Genre“ die Textsorte und/oder Darstellungsweise, wie ein Thema in den Medien gestaltet und von ihnen übermittelt wird. Klassisch ist etwa die Nachricht mit ihrem ursprünglich festen Leadstil, daneben sind Bericht, Reportage oder Kommentar mit weniger fixierten Formen gängig. Beschrieben oder auch vorgegeben werden sie von sprachlich bzw. rhetorisch ausgerichteten Einführungen in den Journalismus, entweder als Deskription oder auch als normative Setzung: Wie man eine Nachricht schreibt, gehörte lange zum elementaren Curriculum von Journalistenschulen. Im Angelsächsischen – so Christin Fink in ihrer Einleitung des vorliegenden Readers – ist der Begriff hingegen ungleich weiter gefasst, indem er die “unterschiedlichen methodisch-konzeptionellen Herangehensweisen an die journalistische Arbeit“ (9) fast grundsätzlich bezeichnet, und damit etwas gänzlich Neues und gewiss Interessantes. In der modernen Medienforschung sind diese Perspektiven weitgehend in die Konzepte des Framing und Priming integriert.

36 solch verschiedene Haltungen, Herangehensweisen, Methoden und Konzepte des journalistischen Arbeitens porträtieren die zahlreichen Beiträger/innen. Die dafür vorgeschlagenen Bezeichnungen sind ungewöhnlich, längst noch nicht hinreichend eingeführt und viele ihrer Ansätze, Intentionen und Funktionen überschneiden sich auch. Unterteilt sind sie in vier Bereiche: in die Themenfindung (“Thema und Story“), die Recherche, in “Schreiben und Darstellen“ und “Geschäftsmodelle“, worunter aber nur der so genannte “Non-profit Journalismus“ rubriziert ist. Der findet aber auch Erwähnung als “Public/Civic Journalism” (Bürgerschaftlicher Journalismus) unter “Thema und Story“ sowie als “Citizen Journalism” (Bürgerjournalismus) unter “Schreiben und Darstellen“; ebenso grenzt der “Participatory Journalism“ (Partizipativer Journalismus) daran und der ebenfalls vorgestellte “Interactive Journalism“ ist auf die Online-Beträge von Bürgern/Laien fokussiert.

Ähnlich verhält es sich mit “Muckracking“, dem journalistischen Wühlen im Sumpf amerikanischer Großstädte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das mindestens als Vorläufer, wenn nicht gar als drastisches Synonym für den investigativen Journalismus gilt. Daher darf schon gefragt werden, warum die Herausgebenden, die hier nur als Fachjournalisten-Verband firmieren, die Differenzierung und Aufteilung so weit getrieben haben und was sie damit bezwecken wollen, zumal sie ihr grundlegendes Anliegen darin sehen, experimentelle Wege aus der unterstellten “Krise des (Print-)Journalismus“ aufzuzeigen. Aber lässt sich diese Krise auf ein Genre-Problem begrenzen, auch wenn es hier als journalistische Haltung definiert wird? Oder kommen da nicht auch strukturelle Verwerfungen hinzu?

Zur gegenwärtigen Krise sicherlich zu rechnen wäre auch schon ein so genannter “Bandwagon Journalism“, übersetzt als inzwischen weit verbreiteter “Mitläuferjournalismus“, bei dem Journalisten die Berichterstattung ihrer Kollegen weitgehend übernehmen, auch der “Churnalism“, bei dem auf die Recherche aus Bequemlichkeit – oder wohl auch aufgrund ökonomischer Restriktionen – verzichtet wird und stattdessen vorhandene Nachrichten ‘aufgeschäumt’ werden, oder auch der “Checkbook Journalism“, der seine Informanten bezahlt, schließlich auch der “Embedded Journalism“, bei dem die Journalisten in die jeweils vorherrschende militärische (Propaganda-)Strategie eingebunden werden – alles Haltungen und Konzepte, die die hehren Ziele des integren, unabhängigen und seriösen, letztlich ‘objektiven‘ Journalismus konterkarieren, aber durchaus heutige Praxis sind und sicherlich verstärkt zur besagten Krise beitragen. Warum die beiden erstgenannten, die ja nicht selten sind und wohl auch probate Geschäftsmodelle markieren, nur in der Einleitung erwähnt werden, bleibt ebenfalls unerklärt.

Löblich ist gewiss, dass die Beiträge die inzwischen fast unüberschaubaren Varianten von journalistischen Herangehensweisen exploriert und dargestellt haben. Recht unterschiedlich gründlich und gehaltvoll fallen die einzelnen Artikel aus: Gemeinhin beschreiben sie knapp die Entwicklung der jeweiligen Herangehensweise, zeigen ihre Funktionen und Intentionen auf, stellen markante Beispiele in verschiedenen Medien heraus und räsonieren am Ende ihre künftigen Trends und Chancen.

So couragiert manche Beiträge durchaus Innovationen und “Grenzüberschreitungen“  (18) beschreiben, wie es sie im Journalismus ähnlich häufig wie in allen anderen kreativen Prozessen gegeben hat und sicherlich weiterhin gibt und wie sie nicht zuletzt den medientechnischen Entwicklungen geschuldet sind: Sie werden nur dann die Krise mit überwinden helfen, wenn besagte strukturelle Fragen – etwa die ausschließlich privatrechtliche Eigentumsstruktur der Presse, ihre anteilige Finanzierung aus Werbung, die offenbar unaufhaltsame Konzentration im Online-Sektor, die neoliberale Zurückhaltung bei der staatlichen Förderung eines kulturellen Gutes etc. – ebenfalls gelöst werden. Gleichwohl darf man gespannt sein, ob und wie sich diese weiten Bezeichnungen journalistischer Genres hierzulande durchsetzen werden.

Links:

Über das BuchDeutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg.): Journalistische Genres. Köln [Herbert von Halem] 2016, 422 Seiten, 59,- Euro.Empfohlene ZitierweiseDeutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg.): Journalistische Genres. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 17. Januar 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20887
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