Ulrich Teusch: Lückenpresse

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Rezensiert von Sebastian Köhler

Einzelrezension
In Zeiten von Datenüberfluss scheint es besonders schwierig, Aufmerksamkeit zu wecken. Hier sollen oft so genannte Buzzwords helfen, um wahrgenommen zu werden. Erst recht, wenn sie kreativ sind und dennoch einen Wiedererkennungswert haben. Lückenpresse hat der Frankfurter Westend Verlag daher eine Publikation genannt, die Debatten um ,Lügenpresse‘ aufgreift und doch weit komplexere Probleme thematisiert: Es geht in dieser Streitschrift um nicht weniger als das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten. Und wir sollten keine Angst davor haben. Dem Politikwissenschaftler und Journalist Ulrich Teusch ist ein in vielerlei Hinsicht lesenswertes Buch gelungen. Er schafft eine konstruktive Kritik der journalistischen Vernunft unserer Jahrzehnte – bis heute und für morgen.

Das Buch ist mit seinen 27 Artikeln sinnvoll gegliedert und folgt einer passenden Dramaturgie des Aufsteigens vom Konkreten zum Abstrakten. Hierbei entwickelt Teusch immer wieder originelle Argumente. Der journalistische Mainstream, genauer gesagt: der Mainstream im Mainstream, werde sich zwar weiterhin so nennen, aber er werde es nicht mehr sein (S. 203f.). Diesen Journalismus erwartet laut Teusch das gleiche Schicksal wie die so genannten „Volksparteien“: Sie würden sich noch als solche bezeichnen, seien es aber ebenfalls nicht mehr. Wenn Macht zu groß und einseitig werde, bilde sich Gegenmacht: „Wenn die ,vierte Gewalt‘ versagt, tritt die ,fünfte Gewalt‘ auf den Plan“ (ebd.).

Im Anschluss an die britischen Medienkritiker David Edwards und David Cromwell fordert Teusch einen integrierenden Journalismus als „compassionate journalism“ (S. 209): Dieser solle als gesellschaftliches Frühwarnsystem fungieren. Dafür müsse Journalismus „das Spektrum erweitern, er muss Menschen, die ganz anders sind – anders leben, anders denken, anders handeln –, mit Neugier und Empathie begegnen, auch den Verlierern, den Ausgegrenzten, den Stigmatisierten“ (ebd.). Die Pointe von Teuschs Darlegungen lautet: Guten Journalismus werde es künftig wahrscheinlich sogar mehr denn je geben. „Aber er wird anderswo stattfinden“ als im Mainstream (S. 210). Wie kommt Ulrich Teusch darauf und dahin?

Mit etlichen seiner Schritte wirft er neue Fragen auf: Warum schalten viele Journalisten anscheinend lieber die Kommentarfunktion ab, als ein wenig nachzudenken (S. 14)? Warum dämonisieren sie Staaten oder Politiker, Parteien oder gesellschaftliche Entwicklungen und wundern sich über ernste Glaubwürdigkeitskrisen (S. 15)? Was sollte schlimm daran sein, dass erstmals in der Journalismusgeschichte Nutzer „wirklich massiv kritisch nachfragen“ (S. 35)? Teusch findet den Begriff „Vertrauen“ in diesem Kontext „noch problematischer“ als den der „Glaubwürdigkeit“ (S. 69). Aber auch hier ist er überzeugend: Geistig reif seien Menschen, die Angeboten begründet misstrauten. „Als Journalist will ich doch nicht, dass Menschen mir vertrauen. Ich will, dass sie mich ernst nehmen, mich für kompetent halten und mir abnehmen, dass ich es ehrlich meine“  (ebd.). Das genüge völlig. Ansonsten wünsche er sich, „dass sie sich konstruktiv mit dem auseinandersetzen, was ich ihnen biete. Ich will, dass sie mich kontrollieren und kritisieren, meine Texte überprüfen und mit anderen vergleichen“ (S. 70). Gut wäre jedenfalls statt naiven Glaubens „ein offener, medienkritischer Diskurs, der nicht alles Porzellan kurz und klein“ schlage, sondern es auf den Tisch stelle und ruhig sowie sachlich begutachte: „Doch dazu müssten beide Seiten abrüsten“ (S. 35).

Gelungen sind auch Teuschs Zusammenfassungen seiner Debatten mit dem langjährigen Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks, Johannes Grotzky. Beide entwickeln einen Begriff von „vermeintlichem Journalismus“ (Para-Journalismus). Dieser schmiege sich oft implizit an die Interessen politischer und wirtschaftlicher Eliten an und erscheine immer wieder verflachend, plakativ und tendenziös (S. 39). Neuartig auch seine Herleitung, dass und warum „Alpha-Journalisten“ der jeweils herrschenden Politik so gut wie nie in den Arm fielen (S. 65).

Ulrich Teusch kommt ferner zu dem Punkt, warum sich Journalisten viel zu häufig mit Allzumenschlichem beschäftigen – oder eben auch ablenken lassen (ein Beispiel dafür: „die Chemie“ zwischen Merkel und Macron stimme, schrieb wie viele andere die WAZ Ende Mai 2017, siehe Trump und der neue Westen – Europa braucht neuen Schwung). In Redaktionen gebe es kaum „Fachidioten“ – vielmehr wirken Journalisten oft wie „Idioten in allen Fächern“ (S. 60). Das klingt provokant, hat aber durchaus Erklärungskraft.

Was den Vorwurf von Machtambitionen seitens der Journalisten angeht, hat Teusch eine überzeugende Antwort: Das passiere kaum autonom, sondern sie schlössen sich meist existierenden machtvollen Strömungen an und ergriffen zu deren Gunsten Partei (S. 141). Dies zeigte sich kürzlich sowohl am medialen Hype um Martin Schulz Anfang 2017 als auch im spiegelbildlichen Abrücken von ihm Mitte des Jahres nach verlorenen Landtagswahlen.

Das Buch ist in weiten Teilen stilistisch gelungen. Ironie trägt zur Lesbarkeit bei, auch Sprachspiele liefert Teusch einige Male auf ansprechende Weise („Der Mainstream weckt in aller Regel keine schlafenden Hunde; und er unternimmt […] so einiges, um die noch wachen, quirligen Hunde zu beruhigen und schnellstmöglich ins Körbchen zu befördern“, S. 38). Oft schreibt Teusch erfrischend genau, zum Beispiel, wenn er treffend „Vergesellschaftung“ (von Konzernen) formuliert und nicht nur „Verstaatlichung“ (S. 173).

Manche Formulierung ist allerdings auch zu bemängeln: Wenn Teusch „saubere Arbeit“ schreibt, sollte er besser von ‚professioneller Arbeit‘ der Journalisten reden (S. 70). Wenn er notiert: „Merkt er nicht, für was er sich da einspannen lässt?“, dann liest sich ‚wofür er sich einspannen lässt‘ gewiss besser (z.B. S. 85). Der Erste Weltkrieg ist, wie noch jeder Krieg bisher, nicht „ausgebrochen“, sondern von Menschen mit bestimmten Interessen begonnen worden (S. 134). Ärgerlich, dass auch Teusch „Migrationsströme“ benennt, als wären diese Phänomene ein Naturereignis oder eine Naturkatastrophe (S. 183).

Selten aber gibt es in der deutschen Journalistik solche klaren Worte zur Eigentumsfrage journalistischer Medien: „Wir bräuchten Medien, die tatsächlich der Gesellschaft gehören und verpflichtet sind“ (S. 172). Denn hier seien die Schaltstellen im Mediensystem, und Journalisten wirkten dabei eher als „Rädchen im Getriebe“ (S. 177). Ulrich Teusch zeigt sich als demokratischer, sozial und ökologisch orientierter Kapitalismuskritiker: Die Krise des Kapitalismus führe zu sozialem Zerfall, zu Desintegration und Polarisierung (S. 182). Dabei erweist er sich wohl eher als Realist denn als Pessimist: „Je interessanter die Zeiten werden, desto geschlossener wird sich der Mainstream präsentieren“ (S. 186f.). Immerhin stand das Buch auf der Shortlist der Friedrich-Ebert-Stiftung für deren Preis Das politische Buch 2017. Insofern mag es Hoffnung geben, dass Mainstream und Alternativen sich nicht (weiter) verselbstständigen. Trotz aller Lücken, der unvermeidbaren wie der vermeidbaren.

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Über das BuchUlrich Teusch: Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten. Frankfurt/M. [Westend], 2016, 224 Seiten, 18,- Euro.Empfohlene ZitierweiseUlrich Teusch: Lückenpresse. von Köhler, Sebastian in rezensionen:kommunikation:medien, 12. Juni 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20240
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