Barbara Thomaß (Hrsg.): Migration und Vielfalt im öffentlichen Rundfunk

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Rezensiert von Petra Herczeg

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Die Anthologie von Barbara Thomaß hat ihre Grundlage in einem Studierendenprojekt an der Ruhr-Universität Bochum. Wie die Professorin für Mediensysteme im Vorwort beschreibt, ging es dabei um ‘Diversity in den Medien’ und ‘Diversity Management’. Die Studierenden haben also für das Thema „Feuer gefangen“ und ihre Abschlussarbeiten zum Thema ‘Diversity’ verfasst. Die Artikel des daraus entstandenen Sammelbandes befassen sich mit der übergeordneten Fragestellung, welchen Beitrag Medien in sechs europäischen öffentlichen Rundfunkanstalten leisten können, um kulturelle Vielfalt zu fördern.

Thomaß betont, dass es für dieses Projekt wichtig war, dass die Autorinnen und Autoren unterschiedliche theoretische und methodische Zugänge wählten, um Programmbeispiele zu untersuchen sowie das Selbstverständnis und die Personalpolitik der Sender zu analysieren. Öffentlich-rechtliche Sender hätten – so auch die Argumentation der Herausgeberin – die Aufgabe, Pluralität im Programm sicherzustellen und ‘Diversity Mainstreaming’ auf verschiedenen Ebenen im Unternehmen zu fördern (vgl. S. 20). Thomaß verortet in ihrer Einführung stellvertretend für alle Beiträger den Begriff ‘Diversity’ theoretisch, indem sie diesen sowohl normativ als auch pragmatisch auffasst. Zudem geht sie darauf ein, inwiefern Differenz als tragfähiges Konzept zu verstehen ist und welche Faktoren – wie etwa Vielfalt als Normalität – damit zu verbinden sind. Mit dieser Einführung endet bereits der Diskurs; denn – um die Kritik vorwegzunehmen – in allen Beiträgen wird so gut wie gar nicht auf theoretische Zugänge eingegangen, wenig Literatur verwendet und zitiert, kaum ein Forschungsstand skizziert und zum Teil sehr salopp mit der Formulierung von Forschungsfragen und Hypothesenbildungen umgegangen. Trotzdem ist es ein interessanter Band geworden, der wichtige Forschungseinblicke liefert.

Anika Keil befasst sich in ihrem Beitrag „Entdecke die Vielfalt“?! – Migranten im Westdeutschen Rundfunk mit der Frage, ob der WDR als „Vorreiter und Musterbeispiel im Umgang mit dieser Thematik“ (S. 36) gelten kann. In der Inhaltsanalyse werden die verwendeten Kategorien, auf Basis welcher Merkmale Migranten „ermittelt“ (S. 40) wurden, nicht reflektiert. Die Autorin schreibt nur, dass „die meisten Akteure m. M. [mit Migrationshintergrund] anhand von visuellen, das bedeutet physiognomischen Merkmalen, wie der Hautfarbe“ (S. 40) klassifiziert wurden. Keil hätte in ihrer Arbeit zumindest auf die Problematik dieses Vorgehens eingehen können, dass Migranten auf bestimmte Eigenarten reduziert werden, die wiederum als Differenzkriterien ‘Wir und die Anderen’ wahrgenommen werden. Sie stellt dem WDR in ihrer Analyse durchweg ein positives Zeugnis aus und resümiert, dass der WDR (abgesehen von einigen Defiziten) „zu Recht als ‘Musterknabe’ unter den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gilt“ (S. 52).

Irini Kapouniaridou knüpft an diese Untersuchung an und befasst sich mit Diversity-value im ZDF – Zwischen assimilierender Whiteness und der Integration kultureller Vielfalt (S. 56-78). Die Autorin analysiert die diesbezügliche Datenlage und führt anschließend eine Formatanalyse der ehemaligen Samstagabendshow Wetten, dass..? durch. Die Analyse erfolgt auf einer sehr deskriptiven Ebene, ohne dass dabei auf das zuvor angerissene Modell der interkulturellen Integration und auf das Whiteness-Konzept näher eingegangen wird. Die Studie besitzt so explorativen Verweischarakter und liest sich eher wie ein Essay statt wie ein wissenschaftlicher Artikel. Die Auswahl der einzelnen „Wetten, dass..?“-Ausgaben wird nicht begründet; es wird nur darauf verwiesen, dass mehrere Sendungen einbezogen worden sind, die es ermöglichen sollen, „regelmäßig wiederkehrende und ausgabenübergreifend eingesetzte bedeutungsstiftende Einheiten ausfindig zu machen“ (S. 69). Insgesamt werden zehn Sendungen aus den Jahren 2012 bis 2014 als Belegbeispiele angeführt. Auch wenn einzelne kulturelle hegemoniale Zuschreibungen im Sinne des Whiteness-Konzeptes von der Autorin identifiziert werden, dominiert doch ein ideenarmer Zugang.

Francina Herder befasst sich in ihrem Beitrag mit der kulturellen Vielfalt im britischen öffentlichen Rundfunk. Zu Beginn sind einige Ausführungen zu redundant, indem etwa zweimal auf die Gründung der BBC verwiesen wird (vgl. S. 81; S. 84). Für die durchgeführte Inhaltsanalyse werden keine Forschungsfragen und Hypothesen aufgestellt; stattdessen wird die Darstellung ethnischer Minderheiten in der BBC am Beispiel der erfolgreichen Soap Opera EastEnders beschrieben. Die personelle Quotenregelung bei der BBC wird als ein positives Beispiel im Umgang mit kultureller Vielfalt gewertet (vgl. S. 97).

Thomas Gruppes Beitrag, der den etwas lapidaren Titel Niederlande trägt, ist die gekürzte Version der Masterarbeit des Autors. Sie hätte besser redigiert werden sollen, da sich im Text etliche grammatikalische Fehler finden (vgl. S. 105). Nach einer kurzen historischen Bestandsaufnahme zu Migration und in weiterer Folge zu Migranten und Migrationspolitik wird das niederländische Rundfunksystem beschrieben. Für eine Inhaltsanalyse wurde der Sender NOS ausgewählt, der unterschiedliche Formate von aktueller Berichterstattung bis zu Sportsendungen in seinem Portfolio hat. Die Ergebnisse zeigen, dass Migranten nicht zu Wort kommen, häufiger negativ bewertet werden und dass die Bewertung der Herkunftsländer hierarchisch strukturiert ist, etwa ob es sich um Osteuropäer oder Afrikaner handelt. Auch hier müsste besser differenziert werden, welche unterschiedlichen afrikanischen Länder in den analysierten Beiträgen genannt worden sind. Die diskutierten Ergebnisse werden darüber hinaus nicht an die bestehende Forschungsliteratur rückgebunden. Es wird lediglich erwähnt, dass sich der Autor an der Studie von Heinz Bonfadelli et al. zu Migration, Medien und Integration (2008) orientiert hat.

Unter dem Titel Vielfältig beitragen – Migranten im öffentlichen Rundfunk der Schweiz liefert Kathrin Langen eine Analyse der Personalpolitik und der Nachrichtenberichterstattung am Beispiel der Formate Tagesschau und 10vor10 – so der Untertitel. Dieser Beitrag (S. 128-151) ist ebenfalls angelehnt an Bonfadellis Inhaltsanalyse und untersucht den zeitlichen Verlauf der Migrationsberichterstattung. Auch hier erfolgt, ohne dass auf weitere Studien detailliert eingegangen wird, eine Darstellung der Ergebnisse. Sie verdeutlichen einerseits, dass vor allem über Ausländerpolitik und Kriminalität berichtet wird. Andererseits zeigen sie, dass auf der Ebene der Personalpolitik zwar eine Sensibilität für das Thema Migration besteht, aber keine strategischen unternehmenspolitischen Maßnahmen gesetzt werden.

Ricarda Lalla widmet sich in ihrem Artikel Migration und Vielfalt im ORF. Dabei fokussiert sie ihre Analyse auf ein fiktionales Fernsehformat: die Darstellung von Migranten im österreichischen Tatort (S. 152-182). Ausgehend von einer quantitativen Inhaltsanalyse „von sieben für die Fragestellung relevanten Tatort-Ausstrahlungen“ (S. 167) wird eine Bestandsaufnahme der Rollenverteilung und Rolle von Migranten im Kriminalfall, deren Auftreten als Täter oder Opfer sowie ihr sozioökonomischer Status erhoben. Auf dieser Basis vergleicht die Autorin die gesellschaftliche Wirklichkeit mit Daten aus dem Migrations- und Integrationsbericht 2013. Diese Vorgangsweise mutet ein wenig eigen an, gelten doch für fiktionale Formate andere ästhetische und dramaturgische Mittel, die auch auf Grund ihres Charakters gar nicht den Anspruch erheben, die Wirklichkeit zu repräsentieren. Leider werden keine weiteren wissenschaftlichen Quellen herangezogen, um eine Kontextualisierung der Forschungsarbeit vorzunehmen. Nicht diskutiert wird zudem die prinzipielle Bedeutung von Fernsehunterhaltung und Integration. Dies wäre jedoch der Rahmen gewesen, um die Arbeit theoretisch zu untermauern.

Bei Sabela Losada Barros Beitrag Repräsentation und Darstellung ethnokultureller Vielfalt im spanischen öffentlichen Fernsehen. Inhaltsanalyse einer Programmwoche der Sendern [sic!] „La 1“ und „La 2“ wäre ein sorgfältiges Redigieren des Beitrags wünschenswert gewesen, damit sich nicht bereits im Titel Fehler einschleichen. Untersuchungsgegenstand ist das Wochenprogramm von zwei spanischen öffentlichen Vollprogrammen, um der Frage nachzugehen wie „ethnokulturelle Vielfalt durch Eigenproduktionen von TVE generiert wird“ (S. 183, TVE steht für die Unternehmenssparte Televisión Española). Nach der Vorstellung des öffentlichen Rundfunks in Spanien folgt eine Analyse der zwei spanischen öffentlichen Sender, in welcher der Frage nachgegangen wird, wie Medienschaffende, die zu ethnokulturellen Minderheiten gehören, im Programm präsentiert werden (vgl. S. 189). Die Auswahlkriterien, die angewendet werden, um die Zugehörigkeit von Medienschaffenden und migrantischen Akteuren zu benennen, wird überhaupt nicht kritisch reflektiert, obwohl diese Kriterien auch als diskriminierend eingestuft werden können. Zu ihnen gehören Familienname, Aussehen, Akzent „oder explizite Erwähnung ihrer ethnischen Zugehörigkeit“ (S. 190).

Bedenklich erscheint der sehr saloppe Umgang mit Feststellungen wie „Die meisten Medienschaffenden sind aufgrund ihrer Familiennamen als Angehörige ethnokultureller Vielfalt identifiziert worden und sprechen akzentfrei“ (S. 195). Dies ist eine eindeutige Bewertung, die auch als Vorurteil gewertet werden kann. Denn warum sollten Angehörige ethnokultureller Gruppen nicht akzentfrei sprechen? Die Auseinandersetzung mit Frames, die in diesem Kontext eine große Rolle spielen, kommt nicht mal ansatzweise vor. Es wird vor allem auf einer deskriptiven Ebene von unterschiedlichen Gruppenbeziehungen geschrieben, ohne dass eine theoretische Kontextualisierung vorgenommen worden ist.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Schwächen all der kritisch bewerteten Beiträge insbesondere darin liegen, dass zum großen Teil theoretische Diskurse und Darstellungen von Forschungsergebnissen fehlen, ebenso wie die wissenschaftliche Praxis, dass Behauptungen mit Quellenverweisen belegt werden. Die einzelnen Texte sind zwar prinzipiell interessant, werden aber dem Titel der Publikation nicht gerecht. Die Länderberichte sind engagierte Beschreibungen, weiterführende Auseinandersetzungen fehlen aber. Allein die von Herausgeberin Barbara Thomaß vorgenommene Einführung bringt eine wohltuende und differenzierte Sichtweise auf die Thematik.

Vergleichende Perspektiven sind wichtig und notwendig – darauf verweist Thomaß in ihrer abschließenden Kommentierung der einzelnen Artikel. Aber auch wenn die herangezogenen Fallbeispiele vielfältig sind, so sind Vergleiche nur in begrenztem Rahmen möglich bzw. in der vorliegenden Publikation dokumentiert.

Links:

Über das BuchBarbara Thomaß (Hrsg.): Migration und Vielfalt im öffentlichen Rundfunk. Analysen aus sechs europäischen Ländern. Bochum [Westdeutscher Universitätsverlag] 2016, 234 Seiten, 19,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseBarbara Thomaß (Hrsg.): Migration und Vielfalt im öffentlichen Rundfunk. von Herczeg, Petra in rezensionen:kommunikation:medien, 20. Oktober 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19509
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