Uwe Krüger: Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen

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Rezensiert von Guido Keel

Uwe Krüger: Mainstream (C.H.Beck)Essay
Deutschland hat ein Problem mit seinem Journalismus. Von dieser Feststellung ausgehend, nimmt sich der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger der Frage an, woran es liegt, dass in den vergangenen Jahren die Bevölkerung gegenüber den Medien offenbar immer misstrauischer und kritischer geworden ist. Und zwar nicht nur bei denen, die laut über die „Lügenpresse“ schimpfen, sondern quer durch das politische Spektrum.

Nachdem Krüger 2013 in seiner Dissertation den Einfluss von Elite-Netzwerken auf die Alpha-Journalisten in Deutschland untersucht und angeprangert hat, widmet er sich in seinem neuen Buch Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen (2016) der Frage, wie und vor allem weshalb die Meinungsvielfalt in den deutschen Medien kleiner geworden zu sein scheint. Ob die Vielfalt wirklich kleiner geworden ist, untersucht er allerdings nicht. Vielmehr zitiert der Autor dazu eine Studie aus den Neunzigerjahren und illustriert den Befund, dass Leitmedien bezüglich Themenwahl und Bewertung weitgehend übereinstimmen, anhand der Berichterstattung über ausgewählte Ereignisse – allen voran die Ukraine-Krise, die Krüger als Kristallisationspunkt für das Misstrauen gegenüber den Medien sieht. Zudem beruft er sich auf verschiedene Meinungsumfragen, die immer wieder zeigen, wie das Vertrauen des Publikums in die Medien und vor allem in deren Unvoreingenommenheit abnimmt.

Ausgehend von der Feststellung, dass der Journalismus deshalb ein existenzielles Glaubwürdigkeitsproblem hat, macht sich Krüger auf die Suche nach den Ursachen dieser „Gleichschaltung“ (S. 7) der Leitmedien. Er findet sie auf mehreren Ebenen, wobei der Einfluss der Elite-Netzwerke erneut ein Thema ist. Daneben sieht Krüger Beweggründe für das Phänomen des Medien-Mainstreams in der Berichterstattung (vgl. S. 27) einerseits in den immer prekäreren redaktionellen Produktionsbedingungen, andererseits in der Herkunft und der beruflichen Sozialisation von Journalisten, die sich zunehmend aus einem bestimmten sozio-kulturellen und ökonomischen Milieu („liberal-intellektuell“, S. 79) rekrutieren und entsprechende Haltungen und Netzwerke repräsentieren. Krüger kommt dabei zum alarmierenden Schluss, dass sich Medien und Journalisten damit allmählich selbst überflüssig machen, weil sie sich zunehmend von ihrem Publikum entfremden und so ihrer Kernaufgabe, der Information und Orientierung der Gesellschaft, nicht mehr nachkommen können.

Wie sich diese Entwicklung stoppen lässt, stellt er in seinem abschließenden Appell dar (S. 140-144): Unter der treffenden Kapitelüberschrift „Entspannungsübungen“ wendet er sich darin sowohl an die Journalisten als auch an das Publikum: Auf der einen Seite müssten sich Journalisten stärker mit der Ambivalenz auseinandersetzen, die ihre – durchaus sinnvolle – Nähe zu Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik mit sich bringt. Zudem fordert Krüger die Journalisten auf, sich nachhaltiger mit den Konsequenzen zu befassen, die eine durch Social Media veränderte öffentliche Kommunikationswelt für ihren Beruf mit sich bringt. Dies bedeutet auch, sich deutlicher dem Dialog mit dem Publikum zu stellen und ihm dabei mehr Vertrauen entgegenzubringen. Auf der anderen Seite erwartet Krüger vom Publikum, dass es mehr Interesse und Verständnis für die Produktionsbedingungen zeigt, unter denen Journalismus heute entsteht, und für das Umfeld, in dem er sich behaupten muss.

Thematisch bleibt der Autor mit Mainstream in der Nähe seiner Dissertation. Formal handelt es sich bei seinem neuen Werk jedoch um eine ganz andere Buchform. Mainstream ist eine spannend erzählte Abhandlung über eine Entwicklung im Journalismus, die sich nicht primär an ein wissenschaftliches Fachpublikum richtet, sondern auch für interessierte Nicht-Wissenschaftler gut verständlich und erhellend sein dürfte. Gleichzeitig stützt sich der 38-Jährige immer wieder auf akademische Erkenntnisse, die seinem Buch Relevanz verleihen und es so zu mehr als einer persönlichen Betrachtung machen. Die unprätentiöse Einflechtung von Literatur und Forschungsergebnissen, aber auch von konkreten Fallbeispielen aus den Medien, trägt zur Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft seiner Arguemente bei, ohne den Lesefluss zu behindern. So illustriert er seine Überlegungen u.a. durch die Berichterstattung zur Affäre Wulff oder das Freihandelsabkommen TTIP, das Versagen der Wirtschaftspresse im Vorfeld der Immobilien- und Wirtschaftskrise 2008 oder der auffällig großen Amerika-Nähe von führenden deutschen Journalisten. Dank dieses gelungenen Brückenschlags zwischen Wissenschaft und Aktualität ist Krügers Buch mehr als nur die hunderste Wiederholung von Vorurteilen und subjektiven Eindrücken eines empörten Zeitgenossen.

Er liefert somit seinen Beitrag zur aktuellen Diskussion über die Medien in einer Form, die man vor allem aus der angelsächsischen Welt kennt, die aber im deutschsprachigen Raum leider noch viel zu selten ist. Zudem schafft es der Autor, eine klare Botschaft zu vermitteln, ohne dabei übermäßig simplifizierend oder moralisierend zu wirken. Seine Argumente sind zwar bisweilen von einer Heftigkeit geprägt; beispielsweise wirft er ARD und ZDF explizit vor, im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise wiederholt und vor allem bewusst „deutlich tendenziös“ (S. 119) berichtet zu haben, oder beschreibt die Entwicklung in Deutschland als „Regression“ (S. 127) in Richtung Konsensjournalismus, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg schon einmal praktiziert wurde. Dennoch zeigt er durchaus Verständnis für solche problematischen Entwicklungen und bleibt in seiner Darlegung konstruktiv. Hierbei weist er auch auf Dilemmata hin, in denen sich Journalisten in ihrer täglichen Arbeit befinden: Soll man zum Beispiel dem Publikum immer alle Informationen vermitteln oder verantwortungsvoll abwägen, welche Informationen einen Sachverhalt zu verstehen helfen und welche eher zu Fehlschlüssen oder Überinterpretationen führen?

Indem sich Krüger von der starren und oft schwer zugänglichen Form akademischer Texte löst, bietet er auch Angriffsflächen. So muss man seine Sichtweisen, wonach in der Ukrainekrise die russische Perspektive absichtlich vernachlässigt wurde oder die Verantwortlichen für das finanzielle Desaster in Griechenland in den deutschen Medien übermäßig negativ dargestellt worden seien, nicht zwingend teilen. In mancher Hinsicht ergeben sich auch Widersprüche, etwa wenn er einerseits davon schreibt, dass Journalisten ihre Rolle zunehmend als angepasste Informationsvermittler ohne Ambitionen auf Kritik und Kontrolle interpretieren (S. 39), später aber kritisiert, dass sie sich zu sehr in der Verantwortung sehen würden, die Welt in Gut und Böse einzuteilen (S. 105f). Dem Autor ist jedoch zugute zu halten, dass er sich aus dem Elfenbeinturm gewagt hat und diesen Angriffen aussetzt, zumal sie die Eindringlichkeit seiner Hauptargumente nicht schmälern.

Diese Rezension bezieht sich auf die im März 2016 erschienene Erstauflage des Buches. Im August ist eine durchgesehene und aktualisierte Auflage erschienen.

Links:

Über das BuchUwe Krüger: Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. München [C.H. Beck] 2016. 170 Seiten, 14,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseUwe Krüger: Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. von Keel, Guido in rezensionen:kommunikation:medien, 27. August 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19355
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