Stephanie Warnke: Stein gegen Stein. Architektur und Medien im geteilten Berlin 1950 – 1970

Einzelrezension
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Rezensiert von Stefanie Gerke

Stein gegen Stein2_onlineEinzelrezension
Das wissenschaftliche Interesse an deutscher Nachkriegsarchitektur wächst. Zahlreiche aktuelle Publikationen widmen sich den spezifischen Entstehungsbedingungen und formalen Aspekten zwischen 1950 und 1970 entstandener Bauten. Das Thema hat vermutlich deshalb Konjunktur, weil bei vielen dieser Gebäude heute eine Entscheidung ansteht: Sanierung oder Abbruch? Als Aufhänger dienen vielen Untersuchungen die vermeintlich durchgängig kritischen Stimmen der Öffentlichkeit. So sei eine Revision der Nachkriegsarchitektur schon allein deshalb angebracht, weil sie von einem Großteil der Bevölkerung pauschal als unansehnlich und problematisch kritisiert würde – oftmals zu Unrecht.

Lange fehlte jedoch eine eingehende wissenschaftliche Untersuchung der Stimmen in der medialen Öffentlichkeit, die diesen rezeptionsästhetischen Debatten mehr Substanz verleihen könnten. Die Historikerin Stephanie Warnke schließt diese Lücke mit ihrer an der ETH Zürich bei Vittorio Magnago Lampugnani eingereichten Dissertation Stein gegen Stein – Architektur und Medien im geteilten Berlin 1950-1970.

Warnke stellt die klar formulierte und relevante Frage danach, wie die Berliner Architektur dieser Jahre auf beiden Seiten der Sektorengrenze in den Massenmedien diskutiert wurde. Sie unterteilt das Verhältnis der Medien zur Architektur in drei Kategorien: Einerseits machten sie sich zum Sprachrohr für Propaganda, andererseits fungierten sie als Plattform für Kritik. Und nicht zuletzt verfestigten und verbreiteten sie “konsumierbare Stadt-Images” (9). Entsprechend dieser Themen gliedert die Autorin ihre Analyse in die drei Hauptkapitel Architektur als Propaganda, Architekturkritik und kritische Öffentlichkeit und Konsumierbare Architektur und urbane Identität. Deren thematische Überblickshaftigkeit unterfüttert sie durch gut gewählte Beispiele.

Die Autorin versäumt es dabei an keiner Stelle, den Lesern Orientierung zu verschaffen. So legt sie zunächst die historischen Basisfakten zur Rolle Berlins im Kalten Krieg und die Ausmaße der Zerstörung der Stadt, die den Wiederaufbau so unabdingbar machten, spannungsreich dar und gibt den Lesern somit das Rüstzeug in die Hand, um die in der Folge analysierten Objekte und Ereignisse entsprechend ins Zeitgeschehen einordnen zu können. Den gewählten Untersuchungszeitraum begründet sie sowohl architekturhistorisch als auch gesellschaftspolitisch: So stünden die Jahre zwischen 1950 und 1970 einerseits für die “Phase der den Wiederaufbau dominierenden Nachkriegsmoderne” (13) und andererseits für die Hochphase der Systemkonkurrenz, die mit dem Mauerbau 1961 ihren (traurigen) Höhepunkt erlebt.

Besonders hoch ist Warnke anzurechnen, dass sie in ihrer Publikation mit einigen Klischees aufräumt. So seien die politischen Systeme architekturhistorisch nicht so eindeutig zu kategorisieren wie man vermuten könnte: Die Planungs- und Aufbaueuphorie habe in Ost und West utopische Elemente beinhaltet und entsprechende architektonische Früchte getragen, und die Autorin versteht es eindrücklich zu vermitteln, dass nicht nur die DDR mit ihren Bauten “Propaganda” betrieb, sondern auch die West-Berliner Architektur “nicht ohne symbolische Politik” auskam – und dazu gehöre “eine entsprechende semantische Besetzung des gebauten Stadtraums” (42). Durchweg vermeidet Warnke mit Präzision und klugem Aufbau eine plumpe Ost-West-Dichotomie und überrascht stattdessen lieber mit unerwarteten, aber überzeugenden Gewichtungen.

So startet das erste Kapitel Architektur als Propaganda nicht mit den Repräsentationsbauten der DDR, wie man vermuten könnte, sondern mit den West-Berliner Bauprojekten der Alliierten, die sich vor allem auf Bildungsbauten konzentrierten – ganz im Sinne einer ‘Erziehung’ des neuen demokratischen Deutschlands. Warnke untersucht hierfür den Henry-Ford-Bau der Freien Universität in Dahlem, die Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg und die Kongresshalle im Tiergarten, in deren medialer Rezeption sie vorrangig die Betonung von Licht, Transparenz und Großzügigkeit ausmacht. Damit hätten die amerikanischen Repräsentationsbauten erfolgreich “Wiederaufbaupropaganda” (87) betrieben, wenngleich oder gerade weil die Bauten in der Ost-Berliner Presse verschwiegen wurden – was Warnke wiederum als Aussage wertet.

Um ihre drei Hauptfaktoren – Propaganda, Kritik und Konsum-Images – zu untersuchen, analysiert Warnke zahlreiche Meldungen aus 21 Zeitschriften und Zeitungen sowie elf Spielfilme und Wochenschauen. Darunter befinden sich vorrangig die Berliner Zeitung, Neues Deutschland und Wochenpost aus der DDR und Berliner Morgenpost, Bild, BZ, Der Spiegel, Die Welt, Die Zeit, Stern und Welt am Sonntag für die BRD, sowie Fachzeitschriften wie Deutsche Architektur und Bauwelt. Besonders das letzte Kapitel beruft sich zudem auf die in Spielfilmen verbreiteten Bilder der jeweiligen Konsumwelten – ein nicht zu unterschätzendes Thema nach Jahren der Verknappung.

Warnke geht dabei gründlich und kritisch vor und holt einige gern übersehene Fakten aus den Pressearchiven: Dass beispielsweise die Ost-Berliner “Aufbau-Versprechen und Realisierungen” tatsächlich ein enormes Potential zur “positiven Identifikation” entfalteten und die sich hier manifestierende Moderne der 60er Jahre einen erheblichen Beitrag dazu leistete, dass “die DDR im Westen als ernstzunehmender gesellschaftspolitischer Konkurrent und Nachbar wahrgenommen und schließlich überschätzt wurde” (350), und dass im Gegenzug manche West-Berliner der ihnen vorgesetzten Moderne schon sehr früh skeptisch gegenüberstanden, sind nur zwei der unzähligen Revisionen gängiger Meinungen, die Warnke in ihrer Dissertationsschrift formvollendet vorführt.

Mit ihren insgesamt 390 Seiten mag die im campus Verlag erschienene Publikation zunächst recht umfangreich erscheinen. Doch dank des gut leserlichen Layouts, der in den Text eingearbeiteten, anschaulichen Bilder und des herausragend guten Schreibstils liest sie sich flüssig. An einigen Stellen hätte man gerne mehr Details über die einzelnen Presseartikel erfahren, die Warnke oft überblickend zusammenfasst. Doch tröstet die Tatsache, dass die Autorin ihre Analyse auf diese Weise in eine spannende Nacherzählung damaliger Ereignisse einbettet. Stein gegen Stein ist damit nicht nur (Architektur-)Historikern und Medien-, Kultur- und Kunstwissenschaftlern zu empfehlen – sondern auch allen Berlinern.

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Über das BuchStephanie Warnke: Stein gegen Stein. Architektur und Medien im geteilten Berlin 1950 - 1970. Frankfurt [campus] 2009, 388 Seiten, 39,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseStephanie Warnke: Stein gegen Stein. Architektur und Medien im geteilten Berlin 1950 – 1970. von Gerke, Stefanie in rezensionen:kommunikation:medien, 9. Mai 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/12968
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