Lutz Mükke: Journalisten der Finsternis

Einzelrezension
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Rezensiert von Andrea Czepek

Einzelrezension
Krisen, Kriege, Krankheiten, Korruption, Kriminalität und Katastrophen, – die “großen K” dominieren nach wie vor die Themen, über die in Deutschland aus Afrika berichtet wird. Dass Afrika in der deutschen Medienberichterstattung marginalisiert und, wenn überhaupt, negativ dargestellt wird, ist lange bekannt. Umso erschütternder ist es, wenn Lutz Mükke in seiner Studie feststellt, dass sich die Vernachlässigung Afrikas in den letzten zwei Jahrzehnten eher verschärft als verbessert hat. Nach dem Ende des Kalten Krieges sei das Interesse an Afrika noch geringer geworden; Verlage und Sendeanstalten haben massiv Korrespondentenbüros und –stellen abgebaut.

Lutz Mükke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Leipzig, hat unter anderem in Uganda studiert und war selbst als Kriegs- und Krisenreporter in Afrika unterwegs. Für die vorliegende Studie hat er mit Unterstützung der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig und einem DAAD-Stipendium die Berichterstattung über Afrika der Frankfurter Allgemeinen, Süddeutschen Zeitung und der dpa in den Jahren 2002-2004 inhaltsanalytisch untersucht. In Südafrika und Kenia hat er 23 der insgesamt nur 26 im Jahr 2006 in Afrika tätigen deutschen Afrika-Korrespondenten und sieben Redakteure in den Heimatredaktionen befragt. Inhaltsanalyse und Befragung decken sich vom Zeitraum und den untersuchten Medien her nicht, können also nur bedingt direkt verglichen werden. Theoretisch bezieht sich Mükke auf die Gatekeeperforschung, die Nachrichtenwerttheorie sowie Überlegungen aus der Ökonomik (hierbei hebt er besonders die Bedeutung der Knappheit von Ressourcen für die journalistische Leistung hervor).

Im Durchschnitt ist ein einzelner Korrespondent in Afrika für 33 Länder zuständig, und das in Regionen, die schwer zugänglich sind, mit geringen Reisebudgets und Sprachkenntnissen. Natürlich geht das gar nicht, ohne auf die Hilfe von freien Mitarbeitern und in erheblichem Maße auch auf die Berichterstattung anderer Medien zurückzugreifen. Die Korrespondenten müssen sich ihr Wissen über Afrika meist selbst über Learning-by-doing aneignen; manche hatten vor ihrer Tätigkeit dort den Kontinent noch nie betreten. Die Inhaltsanalyse offenbart, dass trotz differenzierter Bemühungen der Korrespondenten die veröffentlichten Berichte Stereotypen wiederspiegeln, die teilweise auf jahrhundertealte Klischees zurückzuführen sind.

Zwar hat Mükke die Ergebnisse der Inhaltsanalyse nicht mit Studien über die  Nachrichtenberichterstattung insgesamt verglichen. Seine Studie gibt aber trotzdem Hinweise darauf, dass das vermittelte Afrika-Bild besonders negativ ist: Zum Beispiel tauchen relativ häufig (in 15 Prozent der untersuchten Artikel) “namenlose afrikanische Massen” als Nebenakteure auf, in der Regel in aussichtslosen Lagen – hungernd, flüchtend, leidend, rückständig, wahlweise mordend oder bedroht (117).

Die Befragung stellt gegenüber der Inhaltsanalyse ein interessantes Korrektiv dar: So wird daran deutlich, dass in den Berichten zwar häufig Regierungsvertreter als Quellen genannt werden, die Korrespondenten jedoch selten tatsächlich mit diesen sprechen, sondern häufig aus Pressemitteilungen zitieren. Die tatsächliche Bedeutung von afrikanischen Quellen werde dagegen unterschätzt, weil sie in den kurzen Meldungen nicht mehr genannt werden.

Mükkes Studie arbeitet eine Fülle von interessanten Aspekten heraus. Ein weiteres Beispiel: Die meisten deutschen Afrikakorrespondenten sehen sich nicht als investigative Reporter. Eine kritische Kontrolle der afrikanischen Regierungen oder der deutschen Aktivitäten in Afrika hielten die meisten nicht für ihre zentrale Aufgabe – und das, obwohl sich die Berichterstattung ansonsten sehr stark auf Deutschland bezieht und viele Aspekte der Entwicklungszusammenarbeit und der Aktivitäten von Hilfsorganisationen durchaus kontrovers diskutiert werden könnten.

Vielmehr weist Mükke auf die Abhängigkeiten hin, die teilweise bei Korrespondenten und freien Mitarbeitern von Hilfsorganisationen bestehen. Internationale Hilfsorganisationen unternehmen umfangreiche PR-Aktivitäten, um Unterstützung für ihre Ziele in Afrika zu erreichen. Dabei sind sie daran interessiert, die jeweilige Situation möglichst dramatisch und die eigenen Projekte möglichst positiv dargestellt zu sehen. Es ist deshalb problematisch, wenn Korrespondenten wegen knapper Budgets darauf angewiesen sind, sich Reisen von Hilfsorganisationen bezahlen zu lassen.

Mükke hat auch fünf afrikanische freie Mitarbeiter der Korrespondenten befragt. Ihre Leistung für die Berichterstattung sei oft essenziell, sie fühlten sich aber als billige Arbeitskräfte ausgenutzt und haben trotz ihrer Kenntnisse und Kontakte wenig Einfluss auf Themenwahl und Berichterstattung. Hier unterscheiden sich die deutschen Medien stark von britischen und französischen Agenturen: AFP und Reuters arbeiten mit einem größeren Netz von afrikanischen Mitarbeitern, was eine authentischere Berichterstattung ermöglicht. Deutsche Korrespondenten, auch der dpa, griffen daher häufig auf das Material der anderen Agenturen und Sender wie BBC und CNN zurück. Durch die Digitalisierung und das Internet hat der Druck der Redaktionen zugenommen, mehr und schnellere Berichte zu liefern, und die Versuchung, im Internet vorhandenes Material zu kopieren, sei gestiegen. Die Augenzeugenschaft habe abgenommen, so Mükke: Korrespondenten reisten relativ selten in die Berichtsgebiete; hauptsächlich werde nur noch gereist, um vor-organisierte Filmaufnahmen zu machen. Leider hat Mükke die Fernsehberichterstattung nicht inhaltsanalytisch untersucht. Viele der befragten Korrespondenten arbeiten fürs Fernsehen, daher wäre im Hinblick auf das Bild, das von Afrika vermittelt wird, auch die visuelle Darstellung interessant gewesen.

Auch wenn Mükke theoretisch etwas oberflächlich bleibt und keine tiefe Analyse der Strukturen vornimmt, wird in seiner detailreichen Beschreibung deutlich, wie Nachrichtenauswahl, -produktion und -vermittlung funktionieren und welche Mechanismen die Berichterstattung bestimmen, was Rückschlüsse auf den Nachrichtenjournalismus generell zulässt. Das Buch ist deshalb nicht nur für Afrikanisten relevant. Wünschenswert wäre eine größere Aufmerksamkeit von Redaktionen für die in dem Buch geschilderten Probleme. Das Buch regt zu einer kritischeren Betrachtung der Quellen, Abhängigkeiten, Erwartungen und Muster der Berichterstattung an und könnte dadurch auch zur (Selbst-)Reflexion der Arbeit in Redaktionen beitragen.

Links:

Über das BuchLutz Mükke: Journalisten der Finsternis. Akteure, Strukturen und Potenziale deutscher Afrika-Berichterstattung. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2009, 557 Seiten, 34,50 Euro.Empfohlene ZitierweiseLutz Mükke: Journalisten der Finsternis. in rezensionen:kommunikation:medien, 20. August 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/5903
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  1. […] der Finsternis” vorgelegt, der im r:k:m-Journal von Andrea Czepek in einer lesenswerten Rezension besprochen wird. Journalisten der Finsternis sind Journalisten, die über die K-Themen […]

  2. […] an und könnte dadurch auch zur (Selbst-)Reflexion der Arbeit in Redaktionen beitragen. r:k:m, August […]

  3. […] der Finsternis herausgearbeitet, dass das deutsche Afrikabild nach wie vor von den negativen K-Themen (Krisen, Kriege, Krankheiten, Korruption, Katastrophen) dominiert wird. Mükke hat auf die geringe […]