Jacob Johanssen: Die Mannosphäre

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Rezensiert von Kathrin Kirschner

Einzelrezension

Wer kennt sie nicht: Kommentare im Internet, sei es in Sozialen Medien oder in Foren, die einen frauenfeindlichen und anmaßenden Klang haben. Viele von ihnen stammen aus der “Mannosphäre”. Die Mannosphäre ist eine “lose Ansammlung von Blogs, Reddit-Themen, traditionellen Webforen und Accounts auf sozialen Medien” (30), also keine greifbare, abgrenzbare Gruppe mit festen Regeln. Ihren Mitgliedern ist Frauenhass, Gewaltverherrlichung und eine queerfeindliche Haltung gemein. All das sind Themen, die dieses Buch für mein Forschungsgebiet, die Gender Studies, interessant machen.

Incels, Rote Pille, Fight Club – Begrifflichkeiten, die in der Mannosphäre immer wieder vorkommen. Doch was genau verbirgt sich dahinter? Jacob Johanssen widmet sich in Die Mannosphäre. Frauenfeindliche Communitys im Internet der Forschungsfrage, wie sich Frauenhass in den mannigfaltigen Communitys der Mannosphäre äußert. Das Buch ist “eine psycho-soziale Analyse von Frauenhass und fokussiert die sozio-historischen Faktoren und die subjektiv-psychischen Dimensionen, die diesen Hass ermöglichen und verstärken.” (23)

Jacob Johanssen bezieht sich auf Klaus Theweleits erstmalig 1977/1978 veröffentlichtes Buch Männerphantasien. Theweleit untersucht darin, wie faschistische Männlichkeit durch Angst vor weiblicher Sexualität und Kontrollverlust entsteht – etwas, das die Männer der Mannosphäre ebenso fürchten. Anhand von Tagebüchern, Briefen und Memoiren von Freikorpskämpfern im Ersten Weltkrieg beschreibt Theweleit die psychischen Strukturen dieser Männer, die nach dem Krieg in paramilitärischen Einheiten kämpften und später oft Teil der NS-Bewegung wurden. Er verbindet Psychoanalyse, Marxismus, Feminismus und Literaturanalyse um zu zeigen, wie das “faschistische Subjekt” konstruiert wird. Die Psychoanalyse ist für die Gender Studies sowohl theoretisches Werkzeug als auch Gegenstand der Kritik. Besonders die Konstruktion von Geschlecht, Begehren und Subjektivität steht im Zentrum der Auseinandersetzung. Der psychoanalytische Zugang ist nach wie vor relevant, um mögliche Ursachen und Wirkungen zu verstehen. Diese Meinung teile ich mit Johanssen.

Die Mannosphäre. Frauenfeindliche Communitys im Internet, im englischen Original 2021 unter dem Titel Fantasy, Online Misogyny and the Manosphere. Male Bodies of Dis/Inhibition erschienen, ist gegliedert in Vorwort (von Klaus Theweleit), Einleitung, sieben Inhalts- und ein Fazitkapitel. Daran schließt ein Glossar der wichtigsten Begriffe der Mannosphäre an. Johanssen richtet das Buch zum einen sozio-strukturell (Kapitel 1 bis 4) und zum anderen psychologisch-subjektiv (Kapitel 5 bis 7) aus. Kapitel 8 kann als Fazit gesehen werden.

Kapitel 1: Faschistische Männerkörper – damals und heute
In diesem Kapitel führt Johanssen den Begriff der Ent/Hemmung ein, der sich als roter Faden durch das Buch zieht. Er postuliert: “Sexualität funktioniert immanent auch durch Ent/Hemmung, durch Zurückhaltung und Freisetzung, welche zu Orgasmen und anderen Lusterfahrungen führen kann. Auf psycho-sozialer Ebene ist Ent/Hemmung ein Phänomen, mit dem man bestimmte Männerfantasien und Begehren analysieren kann.” (82)

Kapitel 2: Die sexuelle Revolution, die Mannosphäre und der (Post)Feminismus
Sexuelle Revolution, Feminismus, sich verändernde Männlichkeiten sind ein “wichtiger Hintergrund” (112) für die Debatten “die Mannosphäre in ihrer heutigen Form prägten.” (112) Jahrhunderte Patriarchat sind verantwortlich für die gegenwärtigen Fantasien der Männer der Mannosphäre – Johanssen “möchte zeigen, wie Frauenfeindlichkeit heute von bestimmten Männern über das Internet artikuliert wird.” (113)

Kapitel 3: Gegenreaktion auf die sexuelle Revolution auf YouTube
Die sexuelle Revolution ist, wie Johanssen im vorangegangenen Kapitel darstellt, für Männer der Mannosphäre “die Wurzel allen Übels” (141). Auf ihre fehlende Anpassung an die feministische Emanzipation der Sexualität reagieren sie mit Hass auf Frauen. Durch die Männer der Mannosphäre “wird eine bestimmte Weltanschauung artikuliert, die antifeministisch, frauenfeindlich und zuweilen faschistisch ist.” (142)

Kapitel 4: Incels – Fantasien der Zerstörung und des Begehrens
Incels – Männer, die sich selbst “involuntary celibate”, also unfreiwillig sexuell enthaltsam bezeichnen – “sind zutiefst frauenfeindlich” (177). Sie “bedienen sich häufig einer Terminologie und Bildsprache, die von der Alt-Right populär gemacht wurde” (177). Diese Nähe zum rechtsextremen politischen Spektrum ist allen Auswüchsen der Mannosphäre gemein. Incels begehren und hassen Frauen zugleich. Sie fantasieren zum einen von einem misogynistischen Idealbild der Frau und wie sie Frauen dazu bringen, mit ihnen Geschlechtsverkehr zu haben, und zum anderen von ihrem eigenen Idealbild, das besonders anziehend auf Frauen wirken soll. Dies kann als neoliberalistische Fantasie “der Verwandlung des Einzelnen von einem Niemand in ein erfolgreiches, begehrtes Subjekt” (178) bezeichnet werden.

Kapitel 5: Men Going Their Own Way (MGTOW) – Frauen sollen (nicht) existieren
MGTOW haben eine gewisse Nähe zu Incels, sind aber nicht mit ihnen gleichzusetzen. Beide Gruppen der Männer der Mannosphäre teilen „die Welt in Gut und Böse ein – ein grundlegendes manisches Merkmal der Alt-Right im Allgemeinen.“ (207) Johanssens Ent/Hemmung zeigt sich in Incels wie MGTOW durch eine zugrundeliegende Angst, die Frauen gleichzeitig begehrt und sich von ihnen abwendet (vgl. 209).

Kapitel 6: Die Manifeste der Mörder und der abwesende Vater
Anders Breivik und Elliot Rodger, beides Amokläufer, die vorwiegend Frauen getötet haben, “haben beide faschistische und totalitäre Gesellschaften imaginiert, in denen Frauen von Männern kontrolliert und beherrscht werden.” (237) Sie stellen die endgültige Manifestation eines Mannes der Mannosphäre dar, in welcher “Frauen als symbolische und reale Ziele für Hass und Gewalt fungieren.” (238) Johanssen postuliert, dass diese Männer “in einer Matrix der Ent/Hemmung gefangen sind“ (238) und als Folge dessen „versuchen, Frauen aus ihrem Leben zu verbannen.” (238)

Kapitel 7: NoFap – Masturbation, Pornos und phallische Fragilität
NoFaps, Männer die auf Masturbation und Konsum von Pornografie verzichten, sind “am Rande der Mannosphäre angesiedelt.” (277) Im Gegensatz zu Incels, MGTOW oder Mördern wie Breivik und Rodger sehnen sie sich nach Nähe und Zuwendung von Frauen. Allerdings glauben sie auch, “in einer perversen Kultur zu leben, in der sie vom Feminismus in einem perversen Pakt zur Unterstützung der Gleichberechtigung und der Stärkung der Frauen vereinnahmt worden sind.” (279)

Kapitel 8: Von der Ent/Hemmung zur Anerkennung – ein Hoffnungsschimmer?
Dieses Kapitel dient Johanssen als Fazit seines bislang 281 Seiten starken Buches. Er stellt fest, dass es einfach ist “die Männer der Mannosphäre zu kritisieren und ihre Narrative zu dekonstruieren.” (283) Johanssens Konzept der Ent/Hemmung “entfernt sie sowohl von ihrem Unterbewusstsein und bringt es ihnen näher.” (287) Das bedeutet, dass Menschen durch bestimmte Online-Praktiken oder -Diskurse einerseits den Zugang zu ihrem Unterbewusstsein verlieren (sie entfernen sich davon), andererseits aber gerade dadurch unbewusste Inhalte unkontrolliert zum Vorschein kommen. Es ist keine selbstständige aktive Auseinandersetzung der Männer der Mannosphäre mit ihrem Unterbewusstsein. Die Fantasien der Männer der Mannosphäre sind eine Reaktion auf die Rolle der Frau und des Feminismus in der Gesellschaft. Die Männer sind nicht in der Lage, sinnvolle Objektbeziehungen im Sinne der Psychoanalyse herzustellen. (vgl. 289) Die “Fantasien der Männer in sich selbst [sind] widersprüchlich und durchlässig” (302), nicht vielleicht auch deshalb, weil sie diese Fantasien über die von ihnen verhassten Frauen konstruieren, weil sie sich in ihrem Unbewussten, in ihrer Ent/Hemmung nach Anerkennung sehnen? (vgl. 303)

Leider kommt Johanssens Ent/Hemmung im deutschen Titel nicht so sehr zum Ausdruck wie im englischen Original. Allerdings ein kleines Detail, das ob des exzellenten Inhalts des Buches vernachlässigbar ist. Wie Klaus Theweleit im Vorwort schreibt, ist es Jacob Johanssen durchaus gelungen “Breschen ins Dickicht zu schlagen auf Feldern, deren Übersichtlichkeit nicht gerade zunimmt.” (19) Abschließend bleibt mit Johanssens Worten zu sagen: “Eines Tages wird die Mannosphäre Geschichte sein”. (308) Das ist sehr zu hoffen.

Links:

Empfohlene ZitierweiseJacob Johanssen: Die Mannosphäre. von Kirschner, Kathrin in rezensionen:kommunikation:medien, 13. Mai 2025, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/25476
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