Zum Technikdeterminismus des Social Media Marketing

Essay
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Rezensiert von Axel Maireder

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“Markets are conversation” – Die zentrale Botschaft des cluetrain manifesto, formuliert in den späten 90er Jahren, erscheint aktuell wie nie zuvor. Spätestens seit auch Unternehmen erkannt haben, dass Facebook oder Twitter nicht nur von technikaffinen Teenagern genutzt werden, sondern sich Menschen aller Altersgruppen online  – auch –  über Freud und Leid mit Produkten und Dienstleistungen ihres Alltags austauschen, wollen sie diese Plattformen für sich nutzen. Sie wollen an den Konversationen teilnehmen, für sie positive anstoßen und für sie negative ausbremsen. Social Media Marketing erscheint so aktuell als das Non-Plus-Ultra der Marktkommunikation, und damit selbst als Markt, um den unzählige Social Media BeraterInnen, Agenturen, Magazine, Weblogs und Bücher wetteifern. Allein in den letzten Monaten sind dutzende einschlägige Werke erschienen, die auch den Marketingdamen und –herren jener kleinen und mittleren Unternehmen, die das Web 2.0 bisher geflissentlich ignoriert hatten, den Einstieg in die Welt der Social Media erklären und ermöglichen sollen. Dabei bleibt, zumindest in den beiden Werken aus dem O’Reilly Verlag, die für diese Rezension herangezogen wurden, die Auseindersetzung mit Social Media in einer aus sozialwissenschaftlicher Sicht problematischen Weise oberflächlich, wie auch hinter den eigenen Ansprüchen zurück.

So ist Social Media Marketing für Tamar Weinberg zwar nicht nur ein “Schlagwort”, sondern eine neue “Lebensweise und Überlebensstrategie” (15), die vor allem auf gegenseitiger Kommunikation – Konversation – mit den KundInnen besteht. Durch den impliziten Technikdeterminismus, der sich durch beide Bücher zieht, werden sie dieser Sichtweise jedoch kaum gerecht. Denn es sind zu allererst die Beschreibungen der technischen Werkzeuge, deren Funktionsweisen und kommunikativen Potentiale, die die Textstruktur prägen und auf denen die Argumentation aufbaut. Die Diskussion der neuen “Lebensweise”, nennen wir es besser “unternehmerische Kommunikationskultur”, bleibt zurück. Sie wird bei Weinberg nur dann – und zumeist sehr knapp – aufgegriffen, wenn es die auf konkrete Werkzeuge bezogenen Handlungsanweisungen gerade verlangen. Zarella verzichtet auf eine solche Diskussion vollends.

Die beiden AutorInnen sind mit ihrer Konzentration auf Technik und technikbezogener Praxis nicht alleine. Auch ein Gutteil der einschlägigen Blogs zum Thema widmet sich zwar eingehend jeder noch so kleinen technischen Neuerung der Social Web Applikationen und publiziert stets neue Listen mit konkreten Handungsanweisungen zur Optimierung bestimmter Kennzahlen, z. B. der Zahl der Follower bei Twitter, setzt sich mit den grundsätzlichen Fragen nach der Beschaffenheit des Kommunikationsraumes jedoch kaum auseinander. Durch die Strukturierung der beiden Bücher und vieler Blogs nach einzelnen Social Media Anwendungen ergeben sich zwei weitere Probleme: Zum einen wird der Umstand ignoriert, dass Konversationen im Netz häufig kanalübergreifend stattfinden, also beispielsweise Facebook, Youtube und eine Unternehmenswebsite durch die Relationen zwischen Kommunikationselementen in ein und denselben Konversationsstrang miteinbezogen werden. Zum anderen wird die Chance vergeben, sich mit Aspekten der Kommunikationskultur im Social Web in einer Perspektive auseinanderzusetzen, die über die einzelnen Plattformen hinausgeht.

Bedürfnisse erkennen?

So mangelt es an einer Auseinandersetzung mit der Praxis der Kommunikation in Social Media und deren Hintergründen, sowohl auf KundInnen- als auch Unternehmensseite. Die Motive der NutzerInnen für die Nutzung von Social Media, die Bedürfnisse die sie durch die Nutzung von Social Media – um mit “Uses and Gratifications” zu argumentieren – zu befriedigen suchen, werden kaum erörtert. Dies erscheint verwunderlich, zielt doch Marketing klassischerweise darauf ab, Bedürfnisse zu schaffen und auf Angebote für die Befriedigung dieser Bedürfnisse hinzuweisen. Wollen Unternehmen mit ihren Botschaften von den potentiellen KundInnen über Social Media wahrgenommen werden, erscheint eine Auseinandersetzung mit diesen Hintergründen für die Nutzung der Kommunikationsräume und den kommunikativen Dynamiken die daraus resultieren, notwendig.

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So wäre es für die Planung der Kommunikationsstrategie eines Unternehmens in Social Network Services (SNS) beispielsweise lohnend, auf einem Verständnis für die Handlungen der NutzerInnen im Kontext ihrer Selbstrepräsentationsarbeit aufzubauen. Denn Menschen müssen sich mit Unternehmen und deren Nachrichten in der einen oder anderen Form identifizieren können, um mit diesem in einer konstruktiven Art und Weise zu kommunizieren. Eine solche Auseinandersetzung zöge freilich tiefgreifendere, aber unter Umständen gewinnbringendere Fragen über die Rolle eines Unternehmens in diesen Kommunikationsräumen nach sich als die klassischen nach der möglichst breiten Diffusion von Markenimage und Produktinformation. Zum Beispiel jene nach einer Strategie, durch die Unternehmen Bedeutung für diese Selbstrepräsentation von Individuen erlangen können. Schaffen Unternehmen dies, dann – und wohl nur dann – könnten sich jene “echten Beziehungen” zwischen KundInnen und Unternehmen entwickeln, von denen unter anderem Weinberg gerne spricht.

Konversationen führen?

Genau diese Beziehungen, und die vielbeschworenen Konversationen auf denen sie beruhen, werden trotz ihrer laufenden Betonung nur sehr spärlich thematisiert. Dies wäre jedoch notwendig, denn tatsächlich kommen Konversationen als ‘gepflegte Unterhaltungen auf Augenhöhe’ zwischen einer zumeist als Kollektiv auftretenden Firma und den Individuen, die für diese in erster Linie einen Absatzmarkt darstellen,  nur sehr schwierig zustande. Hier besteht ein für Konversationen ungeeignetes kommunikatives Ungleichgewicht, dessen Auflösung in der Logik der Social Media zwar wünschenwert, aber kaum möglich erscheint. Der Vorschlag Weinbergs (und anderer), als “Community Manager” einer Firma ein persönliches Profil zu entwickeln, um zumindest ein unpersönliches Auftreten zu vermeiden, ist sicherlich hilfreich.

Damit KundInnen jedoch tatsächlich eine konstruktive Beziehung zu einer Firma, beziehungweise der Person die diese repräsentiert, aufbauen, ist es notwendig für die KundInnen von Bedeutung zu sein: von Bedeutung für das tägliche, persönliche Leben und Erleben in der Konsumgesellschaft und dadurch von Bedeutung für die Kommunikation über dieses Leben. So – und nur so –  können Unternehmen nachhaltig Teil jener Konversationen werden, die tagtäglich über Facebook, Twitter und andere Plattformen geführt werden.

An Beispielen von Unternehmen, die dies geschafft haben, mangelt es in den beiden Werken jedenfalls nicht. Woran es aber leider mangelt sind einerseits Details in den Beschreibungen dieser Beispiele, die es anderen Unternehmen ermöglichen würden aus den Erfahrungen der Vorreiter zu lernen. Andererseits – und vor allem – fehlt es an einer fallübergreifenden Analyse bzw. einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Form der Kommunikation, die es einem Unternehmen eben ermöglicht an den relevanten Konversationen teilzuhaben. Wiederum ist es der Fokus auf die einzelnen Werkzeuge, mit dem sich die AutorInnen die Möglichkeit nehmen, Zusammenhänge und Strategien zu beschreiben, die über die praktische Anwendung spezifischer Technik hinausgehen.

Eine neue Kommunikationskultur?

“Zu viele Marketingexperten sehen Social Media”, wie Weinberg schreibt, “nur als Mittel zum Zweck” (63) – die beiden Werke sind dabei jedoch kaum eine Ausnahme. Denn obwohl sowohl Zarella wie – deutlich umfassender – Weinberg auch auf Gesamtstrategien eingehen, bleibt der Blick auf die Zusammenführung von Einzelaktivitäten vor dem Hintergrund konkreter Erfolgsmessungen im Sinne eines “Return on Investment” beschränkt. Genau diese auf kurzfristige, messbare Ziele verengte Perspektive ist es jedoch, die der durch Social Media notwendig gewordenen aber nur langsam voranschreitenden Veränderung unternehmerischer Kommunikationskultur entgegensteht. Denn mit KundInnen auf Basis von Konversationen in eine neue Form von Beziehung zu treten die auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen beruht, fordert Kernelemente der Unternehmensorganisation wie Hierarchien, Bürokratien und die damit verknüpften klassischen Einweg-Kommunikationsstrategien in einem hohen Maße heraus. Zwar weist Weinberg in ihrem Buch gleich zu Beginn darauf hin, dass Unternehmen lernen müssen mit dem Kontrollverlust über ihre Botschaften umzugehen. Die Frage, wie Unternehmen mit dieser voranschreitenden Verschiebung kommunikativer Macht hin zu den KonsumentInnen und der damit einhergehenden Veränderung ihrer Rolle im Rahmen des Gesamtzusammenhangs der Marktkommunikation umgehen lernen können, bleibt jedoch unbearbeitet.

Weinbergs und Zarellas Bücher zu Social Media Marketing erscheinen als passende Einführungen in die Werkzeuge als auch Best-Worst-Practice Sammlungen, wobei Weinberg im Gegensatz zu Zarella zumindest im konkreten Anwendungsbereich Analysen und weiterführende Gedanken anbietet. Die Chancen, Risiken und Herausforderungen, die auf Unternehmen durch die notwendig erscheinende Entwicklung einer neuen integrierten und diversifizierten Kultur der Unternehmenskommunikation zukommen, lassen sie aber bestenfalls erahnen.

Links:

Über das BuchTamar Weinberg: Social Media Marketing. Strategien für Twitter, Facebook & Co. Köln u.a. [O'Reilly] 2010, 408 Seiten, 29,90 Euro.
Dan Zarella: Das Social Media Marketing Buch. Beijing u.a. [O'Reilly] 2010, 248 Seiten, 17,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseZum Technikdeterminismus des Social Media Marketing. von Maireder, Axel in rezensionen:kommunikation:medien, 1. April 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2461
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Ein Kommentar auf “Zum Technikdeterminismus des Social Media Marketing
  1. Tim Krischak sagt:

    Vielen Dank für die Rezension. Ich kenne beide Bücher und teile Deine Einschätzung. Beide Autoren kommen kaum über die Beschreibung von Werkzeugen hinaus. Allerdings finde ich die Überschrift dieser Rezension irreführend.
    Sie erweckt bei mir den Eindruck, als würdest Du dem Social Media Marketing grundsätzluch “Technikdeterminismus” unterstellen. Das kann aber nicht auf der Grundlage von zwei Büchern, die nicht einmal einen wissenschaftlichen Ansoruch verfolgen, sondern als Überblick für Einsteiger gedacht sind.

1 Pings/Trackbacks für "Zum Technikdeterminismus des Social Media Marketing"
  1. […] und Tamar Weinberg zu rezensieren. Das Ergebnis ist weniger Rezension als Essay, dass zuerst auf rezensionen:kommunikation:medien, 1. April 2011, erschienen […]