Christian Wessely, Theresia Heimerl (Hrsg.): Weltentwürfe im Comic/Film

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert von Jörn Ahrens

Einzelrezension
Der von Christian Wessely und Theresia Heimerl herausgegebene Band über Weltentwürfe im Comic/Film versammelt Beiträge zu zwei Konferenzen plus einigen weiteren Texten. Das merkt man ihm an; zu disparat sind seine thematisch lose zusammengehaltenen Artikel. Das Dilemma ist schon im Vorwort formuliert; dort heißt es, der Band enthalte eine “Kompilation der aus Sicht der Herausgeber derzeit spannendsten Teilfragen” (9). Die Herausgeber versäumen aber anzugeben, auf welche Thematiken sich diese Fragen beziehen sollen.

Zum Auftakt versucht sich Christian Wessely am Entwurf einer Theorie des Comic. Weitgehend unbelastet vom bisherigen Stand der Diskussion begreift er diesen als mit Bildern arbeitendes, weltbildvermittelndes Medium. Bezeichnend, und gewissermaßen stellvertretend für den ganzen Band, ist der Umstand, dass Wessely zwar eine Menge grundsätzlich interessanter Punkte anschneidet, diese aber nicht wirklich ausführt, vielleicht nicht einmal sieht, dass Klärungsbedarf besteht.

So etwa bei der in der Tat essentiellen Klassifizierung des Comic als Unterhaltungsmedium. Medienhistorisch und ästhetisch kann dieser nur adäquat eingeordnet werden, wenn berücksichtigt wird, dass es sich um ein erstklassiges Produkt der modernen Massengesellschaft handelt. Die spannendste, sich an der Filmtheorie abarbeitende These des Aufsatzes, der Comic scheine der “physischen“ Realität näher als der Film (36), bleibt unausgeführt. Die These von der Ausrichtung des Mediums auf eine genuin weltbildgestaltende “Funktion“ scheint allzu sehr auf das Interesse hin konstruiert, speziell Bibel-Adaptionen im Comic zu thematisieren.

Überhaupt fällt bei vielen Beiträgen auf, dass die Verbindung von Comic/Film und Religion äußerst schnell hergestellt wird, in aller Regel, um deren religiösen Gehalt zu demonstrieren. Das geht oftmals zu Lasten einer intensiveren kultur- und medienhistorischen, epistemologischen oder diskursanalytischen Auseinandersetzung mit den diskutierten Medien. Was bleibt, sind schnelle Analogieschlüsse, die oberflächenorientiert argumentieren. Etwa wenn Rainer Gottschalg mit Ghost in the Shell einen japanischen Anime im Sinne christlicher Theologie interpretiert. Wohl wissend, dass dessen christlich überbordende Symbolsprache vor allem von der Exotik inspiriert ist, die diese Religion für ein japanisches Publikum ausmacht und damit eine theologische Lektüre eher konterkariert.

Ähnlich christianisiert Fabian Löckener konsequent Superman. Fragt man sich zunächst, ob er die gesamte Diskussion um den jüdischen Hintergrund der Entstehung der US-amerikanischen Superhelden schlicht ignoriert, bringt Löckener schließlich das Paradox fertig, zu argumentieren, die “stark christologische“ Aufladung der Figur resultiere daraus, “dass viele der ersten Zeichner und Autoren der Comics jüdisch oder jüdischer Abstammung waren“ (286). Hingegen interessiert er sich nicht im Geringsten dafür, ob die Zitate christlicher Religion in Superman Comics und Verfilmungen überhaupt (noch) religiös gedeutet werden können. Oder ob es sich nicht vielmehr um eine Aneignungsstrategie im Rahmen von Massenkultur handelt, die mit der religiösen Wunderkammer verfährt, wie insgesamt mit dem Kramladen der Kulturgeschichte, nämlich radikal eklektisch, synkretistisch und ästhetisierend. Ebenso nimmt Peter Häcker in seinem ansonsten gut informierten Text die oberflächlich religiösen Bilder der Comics und Filmadaptionen gern und ohne weitere Fragen als Ausdruck religiöser Tiefenaussagen. Mit dieser anti-hermeneutischen, anti-diskursiven Grundanlage scheitern die Beiträge daran, aus dem Material wirklich interessante Fragen an den Comic, an den Film, an Comic-Verfilmungen zu entwickeln, die durchaus deren weltbildvermittelnde Kompetenz oder die Attraktivität ausgerechnet christlich-religiöser Emblematiken in den Mittelpunkt rücken könnten.

Die meisten Beiträge referieren schlicht Storylines und häufen Daten an, die nicht weiter genutzt und interpretiert werden. Das führt Martin Frenzel in seinem Beitrag zum Holocaust im Comic vor. Das Feld an einschlägigen Comics kennt er auf beeindruckende Weise, belässt es aber dabei, einmal hindurch zu flanieren. So werden immer wieder Zusammenhänge entweder gar nicht hergestellt oder beckmesserisch übertrieben. Etwa wenn Gerold Wallner vorrechnet, wo Goscinnys Asterix nicht historisch korrekt aussieht. Als sei Asterix selbst eine historische Tatsache und nicht etwa eine Comicserie, deren vornehmste Aufgabe darin besteht, ihr Publikum zu unterhalten – unter anderem indem es ihr gelingt, in der Fiktion historische Kohärenz zu suggerieren. Dass es sich bei Asterix nicht um einen Beitrag zur kritischen Philologie handelt, muss also eigens betont werden. Insgesamt krankt der Band unter dem tendenziell zusammenhanglosen Sammelsurium seiner Beiträge. Das Thema Religion, wenn es das verbindende Element sein sollte, wirkt teilweise extrem konstruiert oder, wie im Beitrag von Theresia Heimerl, geradezu angeklebt.

Zwei lesenswerte Ausnahmen zieren diesen Band. Das wäre zum einen Barbara Eders Auseinandersetzung mit gnostischen Einflüssen in Robert Crumbs Robert Crumbs Genesis, Will Eisners Ein Vertrag mit Gott und Marjane Satrapis Persepolis, worin sie versucht, dem Umstand nachzuspüren, inwieweit sich einzelnen Comics religionswissenschaftlich genähert werden kann und wie sehr das gnostische Motiv des sich seine falsche Welt schaffenden, bösen Demiurgen gerade mit den Mitteln des Comic umsetzen lässt. Wiewohl zweifellos diskutiert werden kann, inwieweit Persepolis, das (wenn überhaupt) für eine islamische Gnosis stehen soll, ohne weiteres mit Fällen einer christlichen Gnosis amalgamiert werden kann. Patrick Bahners wiederum zeigt in seiner Lektüre der Barks-Geschichte “Donald, der Herr über alle Geschöpfe“ mit einer ebensolchen, sanften Ironie, wie er sie Carl Barks und Erika Fuchs bescheinigt, welche Tücken die Verkultung des Bildungsbürgertums bereithält. Wenn das Bildungsstreben “die Gestalt einer Bildungsreligion“ (242) angenommen hat, wird es substanzlos. Dass gerade diese zwei Beiträge die Ausnahmen in vorliegendem Sammelband bilden, verweist auch auf dessen ansonsten größte Schwächen: Bildungsbeflissenheit und die eilige Zuweisung religiöser Qualitäten an Comics und Filme, die sich in Oberflächenphänomenen und Aufzählungen erschöpft.

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Über das BuchChristian Wessely, Theresia Heimerl (Hrsg.): Weltentwürfe im Comic/film. Mensch, Gesellschaft, Religion. Reihe: Religion, Film und Medien, Bd. 2. Marburg [Schüren] 2018, 372 Seiten, 29,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseChristian Wessely, Theresia Heimerl (Hrsg.): Weltentwürfe im Comic/Film. von Ahrens, Jörn in rezensionen:kommunikation:medien, 11. Oktober 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21501
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