Amy Shore: Suffrage and the Silver Screen

Einzelrezension
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Rezensiert von Katarina Saalfeld

Suffrage and the Silver ScreenEinzelrezension
Die feministische Filmwissenschaft wird vorrangig assoziiert mit Schriften, die in den 1960er und -70er Jahren im Kontext der zweiten Welle der Frauenbewegung entstanden. Amy Shores Studie  Suffrage and the Silver Screen, erschienen in der von Frank Beaver herausgegebenen Schriftenreihe Framing Film. The History & Art of Cinema, wirft einen Blick auf Filme der 1910er Jahre, die innerhalb der US-amerikanischen Suffragetten-Bewegung produziert wurden, und rückdatiert somit die Wurzeln der feministischen Filmwissenschaft. In acht ausführlichen Kapiteln untersucht Shore mittels der Methode der historischen Diskursanalyse die Verquickungen zwischen der Organisation der politischen Bewegung und der dabei genutzten visuellen Kultur mit Fokus auf das Medium Film. Indem sie die kinematografischen Arbeiten der Suffragetten-Bewegung als integralen Bestandteil der Tradition des feministischen Filmemachens ausweist, positioniert sie sich in einem erst seit Kurzem prosperierenden Forschungsfeld: der feministischen Filmhistoriografie.

Die Studie skizziert chronologisch die Parallelen der Suffragetten-Bewegung und der darin entstandenen kinematografischen Werke. Nachdem sie in Kapitel eins die Ursprünge der Suffrage-Filme als Anti-Suffrage-Filme charakterisiert, verortet sie im zweiten Kapitel die Genese von Pro-Suffrage-Filmen in der Nutzung von prä-kinematografischen Formen wie Lichtbildvorträgen und Performances, die im lokalen Umfeld der Suffragetten-Bewegung innerhalb der New York City Woman Suffrage Party (WSP) entstanden. Nach Analyse dieser medialen Darbietungen schlussfolgert Shore, dass die Poltik der WSP durchdrungen ist von viktorianischen Idealen um Weiblichkeit und Domestizität, die vorwiegend zur Identifikation mit ‘heiligen’ Suffrage-Figuren (“movement saints” [23]) einlädt.

Im dritten Kapitel stellt sie der traditionellen von der WSP proklamierten Frauenpolitik die eher auf Militanz angelegten Adressierungsstrategien der Women’s Political Union (WPU) gegenüber. Das kinetophonische Werk Votes for Women (1913) der WPU, welches zur damaligen Zeit nicht nur eine technologische Attraktion ausmachte, brach mit kinematografischen Traditionen: So wurden weibliche Figuren beispielsweise nicht als Spektakel ausgestellt und das Zuschauerpublikum zuweilen direkt adressiert.

Nachdem die Autorin die Anfänge der Suffrage-Bewegung rekonstruiert hat, widmet sie sich im vierten Kapitel der weiteren medial vermittelten Politik der Suffrage-Organisationen, die potentielle Befürworter_innen des Frauenwahlrechts nun nicht nur auf lokaler, sondern auf nationaler Ebene zu adressieren versuchte. Diese Übergangsperiode fällt nach Shore zusammen mit einer Veränderung in den Organisationsstrukturen der sozialen Bewegung (Zetralisierung) und den Entwicklungen, die innerhalb der kinematografischen Techniken genommen wurden (vom Film als Spektakel zum Film als narrativem Artefakt). Mit Rekurs auf Benedict Andersons Konzept der Imagined Communities deutet die Autorin die in die medialen Artfekate eingeschriebenen Verfahren der Adressierung von nationalen Suffrage-Identitätsschablonen.

Das sich in den 1910/20er Jahren in Hollywood entwickelnde Starsystem beeinflusste auch die kinematografischen Werke der Suffragetten-Bewegung. Im fünften Kapitel stellt Shore die Hauptdarstellerinnen des Suffrage-Melodrams Votes for Women (1912) – Anna Shaw und Jane Addams – als Starpersönlichkeiten vor, die in ihren Rollen als Aktivistinnen und Schauspielerinnen zu Identifikationsfiguren der Suffrage-Bewegung avancierten.

Im sechsten Kapitel legt die Autorin Analysen zu zwei Suffrage-Filmen vor (Suffrage and the Man [1912], 80 Million Women Want ____? [1913]), indem sie zunächst die Produktionsbedingungen der Filme innerhalb der Organisationsstrukturen der sozialen Bewegung kontextualisiert und schließlich subversive Momente auf narrativer, gattungsspezifischer und ästhetischer Ebene ermittelt. Die beiden Filme können als Ausdruck der Veränderung im politischen Organisationsgefüge verstanden werden, in dem viktorianische Ideale von Weiblichkeit und militant-politische Ziele gleichermaßen ausgelotet werden. Diese Veränderungsimpulse schlagen sich filmästhetisch in Suffrage and the Man und 80 Million Women Want ____? nieder in der Transformierung des Genres der Suffrage-Komödie bzw. des Suffrage-Melodrams und der Verwendung eines aktiven weiblichen Figurenlicks.

Im nächsten Kapitel setzt Shore die Analyse von exemplarischen Suffrage-Filmen (hier: der Propagandafilm Your Girl and Mine [1914])) als “organizing tool[s]“ (189) der Bewegung fort. Your Girl and Mine kann als Film beschrieben werden, der den Zenit der Suffrage-Bewegung widerspiegelt. Der Film reflektiert, so schlussfolgert die Autorin nach Sichtung der Rezeption des Films in Zeitschriften und Zeitungen, die komplexen Veränderungen in den Produktionsbedingungen der Bewegung – während der Entstehung des Films standen die beiden führenden Suffrage-Organisationen in Rivalität zueinander –, indem er sein politisches Anliegen vor allem mit dem Außen der Bewegung, in dem Falle potentielle männliche Befürworter des Frauenwahlrechts, kommuniziert. Das abschließende Kapitel wirft einen Blick auf die Zeit nach der Suffrage-Bewegung und skizziert, inwieweit die Wirksamkeit der Filme den Weg für den modernen, identitätsbasierten Feminismus ebnete.

Die Dissertation von Amy Shore besticht nicht nur durch die gelungene Bündelung verschiedener Diskursebenen (soziale und kulturelle Produktionsbedingungen, Filmästhetik und Filmrezeption), sondern vor allem durch die Erweiterung des Forschungsfeldes der Filmgeschichtsschreibung auf eine bisher lediglich rudimentär entwickelte gender-basierte Filmhistoriografie. Die Studie ist damit sowohl für Filmwissenschaftler wie für Historiker und Geschlechterforscher gleichermaßen interessant und relevant.

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Über das BuchAmy Shore: Suffrage and the Silver Screen. Reihe: Framing Film, Band 16. New York u.a. [Peter Lang] 2014, 242 Seiten, 70,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseAmy Shore: Suffrage and the Silver Screen. von Saalfeld, Katarina in rezensionen:kommunikation:medien, 22. April 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/17447
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