Johanna Haberer, Friedrich Kraft: Evangelische Publizisten

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Rezensiert von Johanna Kallies-Bothmann

Einzelrezension
Johanna Haberer und Friedrich Kraft ermöglichen in ihrem 2016 herausgegebenen Buch einen Überblick über 19 evangelische Publizisten vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart: Martin Luther, August Hermann Francke, Johann Hinrich Wichern, August Hermann Hinderer, Focko Lüpsen, Hanns Lilje, Adolf Sommerauer, Robert Geisendörfer, Liselotte Nold, Bernhard Klaus, Eberhard Stammler, Jörg Zink, Gerhard Meier-Reutti, Gerd Albrecht, Walter Schricker, Paul Rieger, Gerhard E. Stoll, Kurt Rommel und Michael Schibilsky. Mit der Auswahl der porträtierten Theologen in der beachtlichen Zeitspanne von 500 Jahren werden unterschiedliche Phasen und Arbeitsfelder veranschaulicht sowie die Vielfältigkeit des Publizierens verdeutlicht.

Einige Porträts seien besonders hervorgehoben: Den Auftakt der Beiträge bildet Walter Jens mit einem Porträt Martin Luthers. Jens zeigt die Vielseitigkeit in Luthers schreibender Tätigkeit. Er stellt zum einen Luthers apokalyptische, introspektive sprachliche Inszenierungen dar, die Todesfurcht, Anfechtungen und Niedrigkeit thematisieren, zum anderen die starke Adressatenbezogenheit und klaren Handlungsanweisungen. Die Dichtung diene der Theologie und verfolge keinen Selbstzweck: Luther habe sich selbst kaum als Poet verstanden. So sieht Jens in Luther nicht den einen Schriftsteller, sondern viele vereint: den Polemiker, den Satiriker, den Psalmisten, den Balladendichter, den Übersetzer, den Bearbeiter, den Rhetor und Epistolographen, den Disputator, den Prediger (vgl. 29ff.). Er versteht es in imposanter Weise, die unterschiedlichen Facetten Luthers couragierter publizierender Tätigkeit abzubilden und mit zahlreichen Originaltextstellen anschaulich und lebendig darzustellen. Dieser vielseitige Blick auf Luthers Schaffen und Wirken ist ein Gewinn für den Leser – insbesondere ein Jahr vor dem großen Reformationsjubiläum 2017.

Volker Lilienthals Porträt des jahrzehntelangen Chefredakteurs des Evangelischen Pressedienstes (epd), Focko Lüpsen, lohnt es näher zu beleuchten. Er sticht als schillernde Figur aus der Reihe der Beiträge heraus. Denn die Berichterstattung des epd war nicht frei von NS-Propaganda, Lüpsen selbst durchaus in antisemitischem Gedankengut verhaftet und an das NS-Regime angepasst. Dennoch beschreibt ihn Lilienthal mit Fug und Recht als eine der großen Gestalten der christlichen Publizistik des 20. Jahrhunderts. Lüpsen machte Karriere als epd-Chefredakteur, als Direktor des Evangelischen Pressverbandes für Westfalen und Lippe sowie zeitweise für ganz Deutschland und war Mitbegründer des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik. Deutlich wird an diesem Beispiel auch, wie sehr das Publizieren den Umständen der Zeit unterliegt. So betrafen die geforderten Papiereinsparungen der Kriegswirtschaft auch den epd. Vielleicht überrascht es deswegen kaum, dass Lüpsen im Sinne des NS-Regimes publizierte… ob aus strategischen Gründen oder aus innerer Zustimmung heraus vermag auch Lililenthal nicht abschließend zu beurteilen (vgl. 75).

Durchaus lesenswert ist zudem der Beitrag von Sandra Zeidler. Sie verdeutlicht die Pionierrolle der Liselotte Nold: Diese war mit ihrem öffentlichen Fernsehauftritt im Jahr 1969 die erste Frau, die das “Wort zum Sonntag“ sprach, sowie die erste Frau in der bayrischen Landessynode. Sie sei nicht etwa lautstark oder protestierend aufgetreten, sondern mit dezenter Zurückhaltung. Nold selbst war keine ausgebildete Theologin, sondern Pfarrfrau und statt Akademikerin eher eine Frau der Praxis. Sie dient als Beispiel dafür, dass auch Sensibilität und defensives Auftreten große Wirkung entfalten können: So engagierte sie sich unter anderem im Bayrischen Mütterdienst, machte sich um die Verhältnisbestimmung von Frauen in der Kirche verdient sowie um Herausforderungen der Ökumene und weltweiten Gerechtigkeit. Das Publizieren wurde zu einem Schwerpunkt ihres Schaffens.

Es folgen Beiträge zu zeitgenössischen Publizisten. Hier sei der Beitrag “Lichterlohe Erfahrungen” über Jörg Zink besonders hervorgehoben, da er durch große Vielfältigkeit auffällt. Matthias Morgenroth bildet die Fülle von Zinks mystischen, politischen, pazifistischen, visionären und betont erfahrungsbezogen Publikationen ab, die von Gebeten, Andachten und Bibelübersetzungen über Bildbände bis hin zu Rundfunk- und Fernsehansprachen reichen. Morgenroth nimmt den Lesenden mit hinein in die belebte und teils tragische Biographie von Zink – er wuchs auf einem ländlichen Bruderhof auf, verlor früh seine Eltern, überlebte einen Flugzeugabsturz über dem Atlantik und überstand die französische Kriegsgefangenschaft, um nur einige Einblicke zu geben. Die intensiven Lebenserfahrungen finden Eingang in Zinks Publikationen, die gleichermaßen auf Individualitäts- und Weltbezug zielen. Als einem der großen Sprecher der Friedens- und Ökologiebewegung geht es ihm nicht nur um authentisches, sondern auch verantwortungsvolles Christsein.

Der große Rundumblick über die Bedeutung des Publizierens in 500 Jahren Theologiegeschichte ist insofern gut gelungen, als Leben, Werk und Wirkung aller Publizisten beschrieben, historisch eingebettet und durchaus auch kritisch beleuchtet werden. An sämtlichen Beiträgen lässt sich erkennen, dass Theologen auf das Publizieren angewiesen sind, um das Evangelium zu verkünden. Dabei werden Herausforderungen, Besonderheiten und Chancen der jeweiligen Zeitumstände einbezogen. Der Leserschaft wird ein guter Überblick über 500 Jahre evangelische Publizistik ermöglicht – ein sehr lesenswertes Buch!

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Über das BuchJohanna Haberer, Friedrich Kraft (Hrsg.): Evangelische Publizisten. Porträts. Erlangen [Christliche Publizistik Verlag] 2016, 235 Seiten, 24,- Euro.Empfohlene ZitierweiseJohanna Haberer, Friedrich Kraft: Evangelische Publizisten. von Kallies-Bothmann, Johanna in rezensionen:kommunikation:medien, 28. August 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20562
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