Vorgestellt von Martin Gehr
Wer soll denn das alles lesen? Rund 90.000 B�cher erscheinen laut B�rsenverein des deutschen Buchhandels pro Jahr in Deutschland. Die Wahl des Mediums ist dabei offenbar weniger relevant als der Inhalt: E-Books haben sich trotz aller Unkenrufe etabliert, das klassische Buch aber nicht verdrängt. Und wer lieber hören statt lesen will, kann parallel zu vielen Neuerscheinungen auf die Hörbuch-Version zur�ckgreifen.Dem Erlebnis des Erzählens tragen auch die Autoren Rechnung: Manche Schriftsteller treten nicht mehr nur zu konventionellen Lesungen an, sondern inszenieren ihre B�cher mitunter als Leseshow (darunter Volker Kl�pfel und Michael Kobr mit den Kluftinger-Krimis und Thriller-Experte Sebastian Fitzek).
B�chermärkte und Literaturfestivals haben entsprechend Konjunktur. So finden im Mai 2017 u.a. die Comicmesse in Köln, das Literaturfest in Salzburg, die Criminale in Graz sowie das Jugend- und Kinderliteraturfestival in Darmstadt statt. Letzteres zieht nicht nur zum siebten Mal das Publikum an, sondern ist auch kein Wunder: Die junge Generation hat das Lesen in der Post-Harry-Potter-Ära wiederentdeckt. Nach einer österreichischen Studie aus dem Jahr 2015 kommt Lesestoff abseits digitaler Kurznachrichten auch bei Jugendlichen wieder in Mode. Leseförderung ist in, Stadtb�chereien werden wieder zu Treffpunkten, und B�cherblogs im Internet sind in den vergangenen Jahren zu Tausenden entstanden (siehe die Auflistung des Blogs Lesestunden.de). Dazu ist es mittlerweile auch Hobbyliteraten möglich, sich �ber E-Book- und Selfpublishing-Verlage den Traum vom eigenen Buch zu erf�llen oder sich alternativ als Autor von Fanfiction zu probieren.
Diese Aspekte zeigen, dass die neue Lust auf Literatur auch wirtschaftliche Ursachen hat. Die zunehmende Leserbindung sowie die crossmediale Vermarktung von Publikationen tragen im Mainstream maßgeblich dazu bei: Viele Romane kommen nicht mehr als abgeschlossene Einzelwerke, sondern als einflussreich beworbene Reihen auf den Markt und werden wenig später ebenso präsent f�rs Kino verfilmt.
Dar�ber hinaus erlebt die mediale Selbstreflexivität in der fiktionalen Literatur erstmals seit Michael Endes Unendlicher Geschichte (1979) eine auffällige Renaissance, indem das Medium Buch zum Thema eigener Romane wird – zuletzt etwa in Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (Robin Sloan, 2012), Die Seiten der Welt (Kai Meyer, 2014), Ein Buchladen zum Verlieben (Katarina Bivald, 2014), Die Sehnsucht des Vorlesers (Jean-Paul Didierlaurent, 2015) oder aktuell in Das Buch der Spiegel (E.O. Chirovici, 2017).
Daher widmet sich das rkm-Journal im Monatsschwerpunkt Mai der literarischen Selbstreflexivität. Unter dem Titel Ich lese, also bin ich befassen wir uns in den kommenden Wochen mit folgenden wissenschaftlichen Publikationen:
- Terry Eagleton: Literatur lesen. Eine Einladung (Reclam Verlag)
- Asterix und andere Superhelden: Die neue Reihe 100 Seiten (Reclam Verlag)
- Stephanie Bung, Jenny Schrödl (Hrsg.): Phänomen Hörbuch. Interdisziplinäre Perspektiven und medialer Wandel (transcript Verlag)
- Tobias Heinrich: Leben lesen. Zur Theorie der Biographie um 1800 (Böhlau Verlag)
- Hans Dieter Gelfert: Was ist ein gutes Gedicht? Eine Einf�hrung in 33 Schritten (C.H. Beck Verlag)