Angela Schwarz (Hrsg.): „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?”

Einzelrezension
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Rezensiert von Jeffrey Wimmer

Einzelrezension
Virtuelle Erlebniswelten haben in den letzten Jahren an Popularität gewonnen und sich zu einem bedeutenden Teil der Unterhaltungsbranche entwickelt. Games, ob online oder offline gespielt, ziehen inzwischen nicht nur Kinder und Jugendliche in ihren Bann, sondern zunehmend auch Erwachsene. Mehr noch: Computerspielen ist mittlerweile ein allgegenwärtiges, gar globales Phänomen von großer sozialer, kultureller, technologischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Auch aus Forschungsperspektive kann man inzwischen nicht mehr von einem “Hype”, sondern vielmehr von einer “Normalisierung” sprechen, d. h. nicht nur in der Kommunikations- und Medienwissenschaft, sondern auch in anderen Geistes- und Sozialwissenschaften werden die technologischen, sozialen und kulturellen Kontexte von Computerspielen und deren Prägkraft auf Gesellschaft und Kultur vermehrt analysiert. Der von Angela Schwarz (Siegen) herausgegebene Sammelband reiht sich daher auf den ersten Blick in die immer zahlreicher erscheinenden und in ihrer Gesamtheit nicht mehr rezipierbaren Analysen der (populär-) kulturellen Bedeutung von Computerspielen ein.

Das Buch verspricht aber die aktuelle Diskussion zu erweitern, da die einzelnen Beiträge das Vermittlungspotential von Computerspielen hinsichtlich ihres Geschichtsbildes analysieren. Es wird damit eine geschichtswissenschaftliche Tagung im Dezember 2008 an der Universität Siegen zum Thema “Computerspiele – Geschichte – Wissenschaft” dokumentiert.

In der Einleitung führt Schwarz den großen Forschungsbedarf gerade aus der Sicht der Geschichtswissenschaft an. Diese Relevanz werde noch durch den noch genauer zu erforschenden Umstand gesteigert, dass Computerspiele durch die direkte und interaktive Beteiligung der Spieler einen wirkmächtigeren Einfluss auf das individuelle Geschichtsbild besäßen, als traditionelle Orte und Räume der Geschichtsvermittlung wie ein Museum oder Schulbesuch. Eine Heuristik der Charakteristika der Geschichtsrepräsentation in Computerspielen – Linearität/Determinismus vs. Offenheit, Position des Subjekts, Grad der Genauigkeit und Differenziertheit, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen – soll helfen die einzelnen Beiträge zu strukturieren; auch wenn diese Kontextualisierung durch die Herausgeberin naturgemäß nicht alle Autoren aufnehmen und damit einige Beiträge nicht so ergiebig wie andere ausfallen.

Im ersten Beitrag widmet sich Jan Pasternak (Siegen) am besonderen Beispiel von Empire Earth dem Potential epochenübergreifender Strategiespiele für eine publikumswirksame Geschichtssensibilisierung. Mit Hilfe einer interpretativen Analyse ausgewählter Spielregeln wie der spielinternen Verwendung von Ressourcen oder der Funktion bestimmter Gebäude möchte er aufzeigen, wie einem unangemessenen Geschichtsbild des Publikums entgegengewirkt werden kann. Sein Fazit bleibt ambivalent, da für ihn das Potential bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist, gerade auch wegen der stark militärisch orientierten inhaltlichen Ausrichtung des Genres. Thomas Kubetzky (Hannover) beschäftigt sich am Beispiel Civilization III auf heuristischer Weise mit der Eignung von sogenannten Aufbauspielen für den Lehrkontext. Wie in der vorangegangenen Analyse zeigt sich aufgrund grundlegender Spielmechaniken und der inneren Logik des Spiels eine überaus lineare und deterministische Abfolge bzw. Repräsentation von Technologie- und Entwicklungsstufen im Gameplay, die auf einer grundlegenderen Ebene auf die stereotypen (Geschichts-) Vorstellungen der Game Designer zurückzuführen sind. Ohne es dezidiert geprüft zu haben, widerspricht der Autor abschließend einer an den Cultural Studies angelehnten Perspektive, dass die Spieler diese medialen Verkürzungen der historischen Zusammenhänge kritisch dekonstruieren können.

Heiko Brendel (Mainz) widmet sich der Frage, inwieweit der Spielspaß hochkomplexer Strategiespiele wie Europa Universalis, die weniger Wert auf Grafik als auf Detailliertheit legen, auf ihr Potential für kontrafaktische Geschichtsschreibung – also der interessanten Frage “was wäre geschehen,  wenn…” – zurückzuführen ist. Seine “Schlussüberlegungen”, die eine dreiteilige Spielertypologie “Kriegsspieler”, “Historiker” und “Uchronisten” (Liebhaber alternativer Geschichtsschreibung) beinhalten, erfahren leider keine empirische Prüfung, öffnen aber den Raum für weiterführende Forschung. Steffen Bender (Tübingen) untersucht, inwieweit die populären First-Person-Shooter-Spielreihen Call of Duty und Medal of Honor eine individualisierte und historisch orientierte Kriegserfahrung simulieren können. An diesem Beitrag zeigt sich exemplarisch, dass die Stärke des Bandes – die primär geschichtshistorische Perspektive – zugleich dessen größte Schwäche ist.

Aktuelle Ansätze, Analysemethoden sowie Erkenntnisse aus den sogenannten Game Studies oder auch aus der Kommunikations- und Medienwissenschaft werden (naturgemäß) wenig reflektiert und nur vereinzelt in der Analyse berücksichtigt. Zentrale Fragen, die die Autoren stellen, z. B. ob die angebotenen Deutungsmuster von den Spielern überhaupt angeeignet werden und in welcher Weise – müssen so offen bleiben. Dieses Manko zeigt sich auch in der Analyse des Spiels Peacemaker durch Annette Vowinckel (Potsdam), da hier die Erkenntnisse der schon länger anhaltenden Debatte um die sogenannten Serious Games nur am Rande einbezogen werden. Etwas aus der Reihe fällt in diesem Kontext der Beitrag von Benedikt Schüler et al. (Düsseldorf), allesamt Mitarbeiter von Ubisoft Deutschland, einem großen Publisher, der u. a. Anno 1404 oder Die Siedler in seinem Portfolio hat. Hier wird aus der Perspektive der Industrie klar aufgezeigt, wie sehr sich  (pseudo-) historische Zusammenhänge als Aufhänger für Spielideen aber auch für die Optimierung von Verkaufsstrategien eignen.

Der Sammelband liefert insgesamt gesehen viele Anregungen auch für die weiterführende kommunikationswissenschaftliche Forschung wie z. B. die Analyse der Repräsentation weiblicher Geschlechterrollen von Sebastian Knoll-Jung (Stuttgart). Die geschichtswissenschaftliche Annäherung bleibt dabei allerdings zu oft auf die Analyse des militärischen Geschichtsbildes reduziert, andere historische Perspektiven finden sich weniger. Dieses überrascht nicht, da die Computerspiele mit dem größten Publikumserfolg gerade in den hier untersuchten Genres Strategie und First-Person-Shooter zu finden sind. Wie schon angedeutet, bleiben einige Beiträge hinter den Erwartungen des Rezensenten zurück, da sie mitunter allein heuristisch erscheinende (Inhalts-) Analysen der Spiele ohne intersubjektiv nachvollziehbare Darlegung der Analysekriterien darstellen. Die dabei getätigten Aussagen über die Produktionshintergründe der Spiele und das oft postulierte starke Wirkpotential sollten daher ohne eine solide Medienangebots- und/oder Publikumsforschung noch stärker als Thesen formuliert werden. In ihrem abschließenden Fazit stellt die Herausgeberin den starken Bedarf an der Geschichtswissenschaft an fundierten Analysen der Aneignungsprozesse fest. Die Kommunikationswissenschaft steht für die Zusammenarbeit bereit!

Links:

Über das BuchAngela Schwarz (Hrsg.): „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?" Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel. Reihe: Medienwelten, Band 13. Münster [LIT Verlag] 2010, 240 Seiten, 19,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseAngela Schwarz (Hrsg.): „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?”. von Wimmer, Jeffrey in rezensionen:kommunikation:medien, 13. Februar 2012, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/8052
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