Denise Sommer: Nachrichten im Gespräch

Einzelrezension
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Rezensiert von Sebastian Köhler

Einzelrezension
Denise Sommers Buch Nachrichten im Gespräch will “Wesen und Wirkung” dessen nachspüren, was in der empirischen Sozialforschung “Anschlusskommunikation” heißt.  Das Zwischenmenschliche als das intersubjektiv Teilbare und Erfahrbare menschlichen Verkehrens überhaupt und insbesondere von menschlicher Kommunikation steht im Mittelpunkt der Arbeit – es zieht sich von Klassikern wie Paul Watzlawick bis hin zu den Ergebnissen dieser Untersuchung selbst als gleichsam “Roter Faden” durch den Text. Methodisch beobachtet die Autorin die Anschluss- kommunikationen ihrer Probanden nach der Rezeption von bestimmten TV-Nachrichten. Dabei soll diese Anschluss- kommunikation die Rezeptionsprozesse operationalisieren, insofern diese im Gespräch verbalisiert werden (106). Allerdings bleiben damit Fragen nach der Rolle nonverbaler Aspekte dieser zwischenmenschlichen Kommunikation, generell nach dem “Wie” der Kommunikation, wie die Autorin selber unterstreicht (121).

In bestimmter Weise empirisch also, anhand von TV-Nachrichten bezüglich Migrationsfragen, begibt sich Denise Sommer auf die Spuren dessen, was in der Rezeptionsforschung “Anschlusskommunikation” heißt. Das ist nicht ganz neu, der Anspruch hier aber ist, eine integrative Studie zu leisten, die sich diesem Fokus ausdrücklich und umfassend widmet (16ff.). Auch Sommer gilt dabei – trotz aller neueren Medien – das Fernsehen weiter als erste Informationsquelle für politische Themen (97) aufgrund von Glaubwürdigkeits- und Reichweitenvorteilen.

Sommer definiert Anschlusskommunikation als eine Schnittmenge von interpersonaler und massenmedialer Kommunikation. Von dieser hat sie sozial interaktive Merkmale, von jener ihre hier interessierenden Inhalte als Gegenstände. Diese können sowohl Bedingung als auch Ergebnis dieser Anschlusskommunikation sein (26ff.).

Originell erscheint der Ansatz Sommers, insofern eine funktionale Komplementarität und damit Integrativität dieser beiden Arten kommunikativen Handelns angenommen und untersucht wird (35). Ihre Arbeit unterstützt in der Tendenz Annahmen, denen zufolge bei Themen mit sehr großer oder auch sehr kleiner Aufmerksamkeit interpersonale Kanäle für die Informationsübermittlung (Diffusion) wichtig sind, während Massenmedien diese zentrale Rolle vor allem bei Themen von mittlerer Aufmerksamkeit spielen (41f.). Im Anschluss an Arbeiten u. a. von Michael Schenk geht die Autorin davon aus, dass politische Anschlusskommunikation hauptsächlich in überschaubaren Netzwerken (von oft drei Menschen) stattfindet, wobei sich die soziale Homogenität solcher Netzwerke als relativ hoch erweist. Während massenmedial tendenziell Themen gesetzt werden, geht es interpersonal oft um Einordnung und Bewertung. In dieser Hinsicht bezieht sich Sommer immer wieder auf Forschungen von Everett M. Rogers zur Diffusionsfrage, die dieser über Jahrzehnte bis Anfang der 2000er-Jahre vorgelegt hat.

Für Journalisten und andere selbst produzierende Nutzer ist typisch, dass auch auf ihrer “Seite” der Kommunikationsflüsse (und nicht nur bei den traditionell Rezipienten genannten) interpersonaler Austausch stattfindet, womit diese Kommunikation erklärungskräftig als “Basisaktivität” (46) gelten kann.

Ausführlich bezieht sich die Autorin auf Erinnerungsstudien nicht zuletzt ihres Doktorvaters Georg Ruhrmann zur äußerst selektiven Wahrnehmung und Verarbeitung gerade von TV-Nachrichten (99ff.). Auch Sommer geht davon aus, dass die Verarbeitung von Fernsehnachrichten nicht systematisch erfolgt, sondern heuristisch – in Abhängigkeit von den gezeigten Inhalten, aber zumindest genau so abhängig von “Personen- und Situationsmerkmalen” (100).

Die Nutzer sollen in ihrer “Alltagsrationalität” (Hans-Bernd Brosius) angesprochen werden. Ihre Aktivierung gerade mit ansprechenden Visualisierungen und Emotionalisierungen spielt eine wichtige Rolle dabei, wie groß Aufmerksamkeit und Medienwirkung sind.

Mittels zweier verschiedener Untersuchungsmethoden geht die Autorin ihren Forschungsfragen nach: zum einen nutzt sie Daten einer Publikumsbefragung mit 501 Teilnehmenden, die im Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes erhoben wurden. Zum anderen beobachtet sie anschlusskommunikative, jeweils etwa zehnminütige Gespräche von Experimentalgruppen in Laborsituationen nach der TV-Nachrichten-Rezeption (129ff., 227).

Sommer findet heraus, dass persönliche Gespräche zwar nicht so häufig wie TV, Radio oder Tageszeitung Quelle aktueller Information sind, aber doch auch relativ häufig dafür genutzt werden. Noch wichtiger freilich scheint ihre Rolle als Grundlage von Bewertungen solcher Informationen zu sein, was wiederum ziemlich genau Sommers Annahmen entspricht (168ff.). Gerade bei politischen Themen erkennt sie “eine eindeutige Präferenz für vertraute Gesprächspartner” (170).

Die Komplementarität von massenmedialer und interpersonaler Kommunikation mit Blick auf die Nutzer resümiert Sommer mittels deren funktionalen Unterschiedes: Während Einzelpersonen vorwiegend auf Fakten fokussierten, stehe in der Interaktion die Diskussion von Hintergrundinformationen und die Bewertung von Informationen im Vordergrund (194), als “Reflexionsfunktion” (215). Gruppengespräche unterstützen damit auch das Erinnern (231).

Spannend für die Gesamt-Gesellschaft ist Sommers Fortentwickeln der Wissenskluftannahmen: Wer kaum Gelegenheit zu interaktiver Anschlusskommunikation findet, kann informationell noch weiter abgehängt werden: Die Wissenskluft zwischen interpersonal kommunizierenden und lediglich einzeln rezipierenden Nutzern dürfte so noch mehr wachsen, als ohnehin – im einfachen Modell mit Bezug auf die Klüfte vor allem in der formalen Bildung – angenommen (238). Das scheint mir der sozial relevanteste Aspekt der Studie zu sein: Hinsichtlich gelingender gesellschaftlicher Kommunikation fordert auch Sommer, nach Kompensationsmöglichkeiten für fehlende Anschlusskommunikation zu suchen, nicht zuletzt, indem Folgegespräche angeregt und gefördert werden.

Denise Sommer bilanziert und reflektiert ihre Arbeit abschließend (238ff.). Sie übt in Maßen auch Selbstkritik, zum Beispiel an der Laborsituation als solcher im Vergleich zur angestrebten Alltäglichkeit. Sie unterstreicht die Erträge ihrer Arbeit und weist ausblickend auf  Anschlussmöglichkeiten ihres insgesamt sehr erklärungskräftigen Buches. Die Kommasetzung und gelegentlich die Ausdrucksvarianz hätten ein etwas besseres Lektorat verdient gehabt – insgesamt ist der Text ansprechend niedergeschrieben und zu lesen.

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Über das BuchDenise Sommer: Nachrichten im Gespräch. Wesen und Wirkung von Anschlusskommunikationüber Fernsehnachrichten. Reihe: Rezeptionsforschung, Band 20. Baden-Baden [Nomos] 2010, 290 Seiten, 29,- Euro.Empfohlene ZitierweiseDenise Sommer: Nachrichten im Gespräch. von Köhler, Sebastian in rezensionen:kommunikation:medien, 5. November 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/6758
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