Klaus Arnold: Qualitätsjournalismus

Einzelrezension
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Rezensiert von Vinzenz Wyss

Einzelrezension
Um es gleich vorweg zu nehmen: Klaus Arnold legt mit seinem Werk einen Meilenstein, der in der künftigen Qualitätsforschung der Journalistik nicht übersehen werden kann. Der Privatdozent habilitierte 2008 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mit dieser herausragenden Arbeit, die sowohl in der Journalismus- forschung als auch in der Medienpraxis einen Nerv der Zeit trifft. Der Autor geht davon aus, “dass es bald weniger Zeitungsverlage geben wird, die nur noch einen kleineren Teil der Bevölkerung erreichen werden” (14). Da interessiert natürlich sowohl Wissenschaft als auch Praxis die Frage, ob die Tageszeitung trotz überholter Finanzierungsmodelle und in Konkurrenz mit neuen Medien bestehen kann, indem sie auf Qualitätsjournalismus setzt? Diese Frage kann freilich so auch Arnold nicht beantworten. Man erfährt aber, wie journalistische Qualität definiert und operationalisiert werden kann und ob theoretisch fein säuberlich hergeleitete Qualitätskriterien auch vom Publikum der Tageszeitung als relevant erachtet werden.

Das umfangreiche Werk ist in vier Hauptteile gegliedert, die alle mehr als 100 Seiten schwer sind. Der Autor setzt zunächst eine historische Brille auf und verdeutlicht, dass der Diskurs über Zeitungsqualität so alt ist wie das Medium selbst. Arnold startet bei den frühen Traditionen der vorwissenschaftlichen Zeitungskunde, in der sich die Pressekritik bereits auf die soziale Verantwortung und auf den Publikumsnutzen bezogen hat. Ganz der Historiker führt uns der Autor mit sorgfältig ausgewählten Fundstellen etwa vor Augen, wie im Ethikdiskurs des frühen 18. Jahrhunderts bereits Qualitätskriterien thematisiert wurden, die auch heute als zentrale Standards gelten. So soll der Sprachwissenschaftler Kaspar Steiler bereits 1695 in seinem Werk Zeitungs Lust und Nutz Wahrheit, Relevanz Vielfalt, Verständlichkeit, Neutralität und Aktualität als Anforderungen an eine Zeitung identifiziert haben, wobei damals nichts gedruckt werden sollte, “was gegen Glauben, den Fürsten oder die Sitten war” (25). Weitere Normen wie Objektivität, Richtigkeit, Vollständigkeit, Ausgewogenheit, Unabhängigkeit Transparenz, Partizipation, Achtung oder Schutz der Privatsphäre stehen bereits bei den Vorläufern der eigentlichen Qualitätsforschung auf den Listen der journalistischen Qualitätskriterien.

Als Take-Off der kommunikationswissenschaftlichen Qualitätsforschung sieht Arnold den allgemeinen Diskurs über Medienqualität in den 1990er Jahren. Der Autor zeichnet lückenlos die verschiedenen Forschungslinien nach, in denen Qualitätskriterien herausgearbeitet, begründet und in empirischen Studien überprüft wurden. Hier öffnet sich eine Fundgrube, in der mit Akribie der Stand der Qualitätsforschung zusammengetragen wurde. Allerdings mit dem Nachteil, dass sich manches wiederholt und wiederholt. Der Grund für diese Redundanz ist wohl, dass fast alle Studien die gleichen fundamentalen Qualitätskriterien thematisieren.

Die eigentliche Leistung der Habilitationsschrift kommt im zweiten Teil zum Tragen. Hier folgt Arnold einem alten Postulat Ulrich Saxers für ein möglichst komplexes, integrales, kohärentes, transparentes und operationalisiertes Qualitätsmodell. Er entwickelt ein “integratives Qualitätskonzept” (ab S. 133) und unterscheidet dabei eine funktional-systemtheoretische Perspektive von einer normativ-demokratietheoretische und einer publikumsbezogene-handlungsorientierten Sichtweise. Der systemtheoretische Zugang über die Funktion des Journalismus in der Gesellschaft (Selbstbeobachtung und Synchronisation) scheint am meisten zu versprechen, zumal die normativen Zugänge insbesondere Anforderungen des Politik- bzw. Rechtssystems beinhalten und als solche ebenfalls aus einem systemtheoretischen Zugang zu begründen wären. Auch die publikumsbezogene Sichtweise müsste sich aus der journalismustheoretischen ableiten lassen, weil ja Journalismus ohne Publikum schwer denkbar ist.

Trotz des Integrationsanspruchs bleibt Arnold aber dabei, drei – kaum trennbare – Perspektiven zu unterschieden und sie geschickt im Rahmen der akteurszentrierten Differenzierungstheorie nach Schimank wieder zu verbinden. Er will mit dem scheinbar multiperspektivischen Zugang vermeiden, “journalistische Qualität aus einem einseitigen Blickwinkel zu betrachten und damit letztendlich einer – zwar wissenschaftlich untermauerten – Qualitätsideologie zu verfallen” (18). Zweifellos gelingt es Arnold auch, Praktiker Lügen zu strafen, die noch immer behaupten, journalistische Qualität sei nicht bestimmbar. Leider ist es aber kaum wahrscheinlich, dass sich Nicht-Wissenschaftler mit den fruchtbaren, theoretischen Ausführungen Arnolds beschäftigen werden. Zur Beruhigung sei aber gesagt, dass auch die komplexen theoretischen Herleitungen die gleichen Qualitätskriterien identifizieren, wie sie in manchen Ethikdiskursen oder Kodices schon thematisiert sind.

Im dritten Teil fokussiert Arnold auf die aktuellen Probleme der Tageszeitung sowie auf die doch recht hilflosen Versuche der Zeitungshäuser, Qualität zu sichern oder Maßnahmen zu ergreifen, um Reichweiten und Umsätze zu steigern. Wenig ersprießlich ist der von Arnold aufgearbeitete Forschungsstand zu den Publikumsvorstellungen von Zeitungsqualität. Der Autor bleibt aber nicht verlegen und kann im vierten Teil schließlich eine eigene Publikumsstudie vorlegen. Die Studie soll vor allem Antworten auf die Fragen liefern, welche Qualitätskriterien für das Publikum der Tageszeitung überhaupt eine Rolle spielen und wie diese hierarchisiert werden.

Neben einer standardisierten Repräsentativbefragung (1250 Interviews) stützt Arnold seine Erkenntnisse auch auf 40 Leitfadengespräche, die vorwiegend durch Journalistikstudenten geführt wurden. Die Publikumsstudie fördert allerdings wenig Unerwartetes zu Tage: so kritisieren die Befragten etwa mangelnde redaktionelle Unabhängigkeit und wollen zugleich, dass Journalisten vermehrt heiße Eisen anpacken (429). Solchen banalen Befunden kann auch das statistische Verfahren der Faktorenanalyse (multiple Regressionsrechnung) nicht mehr Brisanz verleihen. Immerhin kann Arnold damit aber sechs Qualitätstypen identifizieren, die sich in ihren Erwartungen an eine Zeitung unterscheiden: Weltoffene, Glokale, Lokal- und Unterhaltungsinteressierte, Beliebige, Gewohnheitsleser und Desinteressierte. Zu bedenken ist aber auch die vom Autor gemachte Feststellung, dass es für die meisten Befragten schwierig war, sich zu qualitativen Erwartungen gegenüber der Zeitung zu äußern (439). So hallt auch in dieser Studie der der Ruf nach mehr Media Literacy nach, weil der Erfolg des Qualitätsjournalismus auch ein Qualitätsbewusstsein beim Publikum voraussetzt.

Links:

Über das BuchKlaus Arnold: Qualitätsjournalismus. Die Zeitung und ihr Publikum. Forschungsfeld Kommunikation, Band 28. Konstanz [UVK] 2009, 599 Seiten, 59,– Euro.Empfohlene ZitierweiseKlaus Arnold: Qualitätsjournalismus. von Wyss, Vinzenz in rezensionen:kommunikation:medien, 26. März 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/630
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