Caroline Meyer: Der Eidophor

Einzelrezension
6157 Aufrufe

Rezensiert von Joachim Paech

Einzelrezension
Während des Films von Frank Tashlin Will Success Spoil Rock Hunter? [Sirene in Blond] aus dem Jahr 1957 kommt es zu einer Unterbrechung. Tony Randall tritt vor einen Vorhang (im Film) und wendet sich an die Zuschauer (im Kino). Er führt ihnen vor, wie es aussehen würde, wenn sie ihn, Tony Randall, jetzt auf einem der winzigen, grauen Fernsehbildschirme sehen müssten, die dabei sind, dem Kino Konkurrenz zu machen. Dann geht es weiter im CinemaScope-Film in Farbe mit der bildfüllenden Jayne Mansfield, die man(n) so nur im Kino erleben kann. In dieser Szene artikulierte sich der Ärger Hollywoods über das Fernsehen, das sich seit den 1950er Jahren mit staatlicher Unterstützung überaus erfolgreich in den privaten Haushalten durchsetzte. Weniger bekannt ist, dass auch die Enttäuschung darüber eine Rolle gespielt hat, dass die Kinobranche daran gehindert wurde, ein eigenes ‘Kinofernsehen’ zu betreiben, das alternativ zum privaten kleinen, grauen Heimfernsehen mit einer elektronischen Großprojektion in Farbe als ‘public service’ im Kino hätte auftreten können. Die technischen Voraussetzungen dafür waren mit dem Eidophor, der Schweizer Erfindung eines Großbildprojektionssystems, Ende der 1950er Jahre Realität.

Seit 1939 und einem Patent von Fritz Fischer gab es konkrete Planungen, ein elektronisches Gerät für den Empfang und die Projektion von Fernsehbildern (nicht nur) im Kino zu entwickeln. Mit dem Beginn der regulären Ausstrahlung von Fernsehprogrammen zuerst in den USA und nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Europa sollte es möglich sein, sowohl Fernsehprogramme als auch Kinofilme, Sportübertragungen, Varieté-Progamme etc. in angeschlossenen Kinos zu zeigen. Sehr interessiert an einem derartigen Kinofernsehen mit der Eidophor-Großbildprojektion zeigten sich einige Hollywood-Studios (zum Beispiel die Twentieth Century-Fox), die hofften, das Filmgeschäft in den Kinos auf das Fernsehen ausdehnen zu können. Aus einer Reihe von Gründen haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt, u. a. weil die Studios ihre Kinoketten nach dem Anti-Trust-Gesetz Ende der 1940er Jahre aufgeben mussten; weil sie mit dem CinemaScope-Format einen dermaßen hohen Standard für den Kinofilm einführten, dem auch der Eidophor letzten Endes nicht gerecht werden konnte und weil das Fernsehen von Anfang an ausschließlich als Heimfernsehen etabliert werden sollte, das vor jeder Konkurrenz, die den Absatz für private Fernsehgeräte gefährden könnte, durch die Verweigerung von Frequenzen geschützt wurde. Sogar Gaststätten wurde die öffentliche Vorführung des Fernsehprogramms mit Großbildprojektionen untersagt, so dass am Ende, als der private Fernsehempfang weit verbreitet war, nur noch für Großereignisse wie Fußballweltmeisterschaften Sonderkonzessionen für den öffentlichen Einsatz des Eidophor gewährt wurden. Das Argument, dass für die Vielen, die sich das Heimfernsehen nicht leisten konnten, in den Kinos ein öffentlicher Fernsehempfang angeboten werden müsste, war bereits überholt, die Fernsehgeräte waren in den Haushalten bald allgegenwärtig.

Nachdem der Traum vom Kinofernsehen (vorläufig) ausgeträumt war, wurde der Eidophor kleiner und beweglicher, was seinen Einsatz als ‘closed circuit television’ in Industrie und Handel, auf Kongressen und in Forschung und Lehre (für die sog. Unterrichtsmitschau) ermöglichte. Eidophor wurde zum Inbegriff für jegliche (analoge) Form der Großbildprojektion. Das Ende für diese qualitativ hoch stehende analoge Technik kam, als seit den 1990er Jahren die Digitalisierung ganz neue Anforderungen an die ‘Beamer-Technik’ stellte. Die digitalen Großprojektionen von Fernsehprogrammen im ‘public viewing’ setzen fort, was am Beginn der Geschichte des öffentlichen Fernsehens mit dem Eidophor begonnen hatte.

Bei der Geschichte des Eidophor geht es nicht nur um eine apparative Technik, um Niederlagen und Erfolge bei ihrer Entwicklung und Durchsetzung auf dem Markt. Als ein Zwischenschritt zwischen der (mechanischen) Kinematographie und dem elektronischen Fernsehen hat das (erhoffte) ‘Kinofernsehen’ einige Formen wiederholt, die auch die Kinematographie in ihrer frühen Geschichte angenommen hat, zum Beispiel Versuche mit dem Gaststättenkino, ebenso gab es Pläne für die Verbindung von Film, Fernsehen und Varieté-Theater im Kino, etc. Als problematisch hat sich u. a. das Nebeneinander unterschiedlicher Programmstrukturen des Fernsehempfangs und der Filmprojektion im selben Kinoprogramm erwiesen. Heute gehört der Eidophor zur Vorgeschichte der digitalen Filmprojektion in den Kinos (E-Cinema), zumal wenn auch wieder darüber nachgedacht wird, unterschiedliche Programme des Fernsehens, der Übertragung von sportlichen oder gesellschaftlichen Großereignissen und der digitalen Filmprojektion zu verbinden. Vielleicht gelingt es diesmal besser, Programme des Fernsehens und des Kinos zu vereinbaren, hier kann aus den Erfahrungen mit dem Eidophor gelernt werden.

Das Buch von Caroline Meyer, dem eine Dissertation in Zürich, wo auch der Eidophor an der ETH erfunden wurde, vorangegangen ist, ist eine kompetente Darstellung technisch-apparativer Entwicklungen. Technische Entscheidungen werden von ihr im Kontext sozialer, kultureller und ökonomischer Bedingungen diskutiert und mediengeschichtlich eingeordnet. Das Buch ist als Geschichte einer folgenreichen Erfindung im Übergang von der kinematographischen zur digitalen Großbildprojektion gut und kenntnisreich geschrieben. Es ist die erste umfassende Darstellung dieses Themas, das durch die gegenwärtige Digitalisierung des Kinos (und den Einzug des Projektors auch ins Heimfernsehen) wieder an Aktualität gewonnen hat.

Links:

Über das BuchCaroline Meyer: Der Eidophor. Ein Großbildprojektionssystem zwischen Kino und Fernsehen 1939-1999. Reihe: Interferenzen, Band 15. Zürich [Chronos Verlag] 2009 (zugl. Diss. Universität Zürich 2008), 37,50 Euro, 416 Seiten.Empfohlene ZitierweiseCaroline Meyer: Der Eidophor. von Paech, Joachim in rezensionen:kommunikation:medien, 15. September 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/5335
Getagged mit: ,
Veröffentlicht unter Einzelrezension