Finanzwirtschaft im Spiegel der Medien

Sammelrezension
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Rezensiert von Christoph Moss

Sammelrezension
Es ist ein typisches Phänomen von Wirtschaftskrisen, dass auch das Handeln von Journalisten und Medien diskutiert wird. Das war 2001 so, als die Internetblase platzte und alle Welt den Finanzjournalisten mangelnde Distanz zu Analysten und Investoren vorwarf. Und das war und ist aktuell so, da eine weltweite Finanzkrise immer wieder tiefe Verwerfungen verursacht. Wirtschaftsmedien spielen eine wichtige Vermittlerrolle zwischen Märkten und Publikum. Aber können Journalisten auch Aktienkurse bewegen? Wie groß ist der tatsächliche Einfluss der Medien auf die Finanzmärkte? Und woher beziehen Anleger ihr Wissen über Geldanlage und ökonomische Zusammenhänge? Die Wissenschaft tut sich traditionell schwer damit, dies aufzuklären. Zwei Bücher versuchen nun, diese Fragen zu beantworten: Bertram Scheufele und Alexander Haas gehen in Medien und Aktien gezielt auf das Verhältnis von Berichterstattung und Börsenentwicklung ein. Pia Krisch untersucht in Alltag, Geld und Medien, ob und wie sich eine monetäre Identität kommunikativ konstruieren lässt.

Beide Bücher berühren damit den Erkenntnisgegenstand der Wirtschaftsjournalistik, eine Disziplin, die sowohl in ihrer praktischen Ausübung wie auch in ihrer theoretischen Fundierung ein Schattendasein fristet. Die Berichterstattung über Unternehmen, Branchen und Märkte zählt dazu genauso wie die journalistische Betrachtung des Menschen in seiner Eigenschaft als Arbeiter, Unternehmer, Konsument oder Investor. Wirtschaft ist damit ein Querschnittsthema – in der täglichen Arbeit der Journalisten und in der wissenschaftlichen Theorie. Die drei Autoren widmen sich mit ihren Untersuchungen einer Form des Journalismus, die in der besonderen Rolle der Wirtschaft als Teilsystem der Gesellschaft begründet ist. Diese Besonderheiten sind vor allem die herausragende Bedeutung der Wirtschaft für Rezipienten und Gesellschaft, die Komplexität und Unsicherheit des Teilsystems Wirtschaft und die weitgehende Kongruenz des Gegenstands der Wirtschaftsberichterstattung mit einer entwickelten wissenschaftlichen Disziplin, mit der Wirtschaftswissenschaft.

Gerade in Deutschland scheint es eine nur schwer überwindbare Grenze zwischen Kommunikationsforschung und Wirtschaftswissenschaft zu geben. Bertram Scheufele und Alexander Haas gehören zu den wenigen, die diese mit ihrer Studie überwunden haben. Journalismus soll Öffentlichkeit herstellen, eine Öffentlichkeit, die politisches und soziales Handeln kontrolliert. Die Sammlung und Auswahl der Informationsangebote folgt vor allem dem Aktualitätsprinzip. Gegenstandsbereich der Wirtschaft ist also das Wirtschaftssystem, dem in der Theorie sozialer Systeme alle auf Bedürfnisbefriedigung gerichteten Handlungen zugerechnet werden, die der Produktion und der Bereitstellung von Gütern dienen. Der englische Ökonom Arthur Cecil Pigou hat einmal gesagt, dass Wirtschaft alles umfasse, was auf den Maßstab des Geldes gebracht werden kann. Und das ist eine ganze Menge. Kaum vorstellbar, dass es Tagesschau-Nachrichten gäbe, die nicht auf den Maßstab des Geldes gebracht werden könnten.

Scheufele und Haas tragen mit ihrer Arbeit der Tatsache Rechnung, dass Wirtschaft ein äußerst komplexes System ist, vor allem, weil alle ökonomischen Größen letztlich untrennbar und undurchschaubar voneinander abhängen. Es besteht die generelle Interdependenz aller ökonomischen Variablen. Im Wirtschaftskreislauf sind die Produktion von Gütern und die Entstehung und Verwendung des Einkommens untrennbar miteinander verbunden. Über die Arbeitsteilung und den Tausch wird die Interdependenz aller Preise begründet. Und über das Geld als allgemeines Tauschmittel wird wiederum die Trennung von Produktion und Konsum überwunden. In den Betrieben ist der Wirtschaftsablauf komplex und arbeitsteilig organisiert. Zahlreiche ökonomische Institutionen kanalisieren das Handeln der Menschen. Diese Interdependenzen können nur schwer transparent gemacht werden. In der Wirtschaft heutiger Prägung herrscht der Markt, der Wettbewerb, der Preismechanismus. Und dies ist journalistisch schwer zu vermitteln – vor allem, wenn es um ‘den Markt der Märkte’, also die Börse geht.

Die beiden Autoren beleuchten in ihrer Untersuchung Medien und Aktien das Verhältnis von Börsenberichterstattung und Aktienentwicklung. Medienberichterstattung, so die zentrale Erkenntnis ihrer vorliegenden Arbeit, kann nicht flächendeckend und systematisch Kurse beeinflussen. Die Forscher beschränken sich in ihrer Untersuchung auf Aktien unterschiedlicher  Branchen in den Jahren 2000 und 2005. Zunächst untersuchen sie im Rahmen einer Inhaltsanalyse, wie Printmedien, TV-Börsensendungen und Finanz-Portale über die Unternehmen und deren Aktien berichteten. Dann stellen sie einen zeitlichen Zusammenhang her zwischen Aktienkursen, Handelsvolumina und Berichterstattung.

Der Weg, den Scheufele und Haas gewählt haben, ist in jeder Hinsicht originell. Ihre Arbeit ist klar strukturiert, theoretisch sauber fundiert und recherchiert. Auch wenn sie das Medienspektrum nicht vollständig ausschöpfen, begründen sie sehr eindeutig, warum etwa Printprodukte wie Wirtschaftswoche, Financial Times Deutschland oder Handelsblatt nicht im Mediensample enthalten sind.

Das Buch ist relevant für den Erkenntnisgegenstand der Wirtschaftsjournalistik, auch wenn die Ergebnisse ernüchternd sind für all diejenigen, die glauben, Medienberichterstattung könne flächendeckend und systematisch Kurse beeinflussen. Wenn es einen Effekt gibt – so die Wissenschaftler – dann betrifft er einzelne Anleger. Und selbst dieser eher seltene Fall wird häufig überkompensiert – entweder durch die übrigen Marktmechanismen oder aber durch eine andere simple Tatsache: Der Anteil an Aktien, den medial beeinflusste Anleger halten, ist gar nicht groß genug, um Kurse zu bewegen.

Diese Erkenntnis allein ist schon wertvoll – sie kann aber erst am Anfang eines umfangreichen Aufklärungsprozesses stehen. Tatsächlich lässt sich in der Praxis immer wieder beobachten, dass einzelne Aktien zum Teil sehr heftig auf mediale Berichterstattung reagieren. Es bleibt also die Frage, wie sich Finanzjournalismus vor allem auf Außenseiteraktien in ganz besonderen Situationen auswirkt – und damit auf Wertpapiere, die in engen Märkten mit geringen Umsätzen gehandelt werden. Dies zu erforschen ist extrem aufwendig – aber hilfreich, um funktionierenden Finanzjournalismus zu verstehen.

Schließlich sollen Medien ja Öffentlichkeit herstellen. Nur so können Journalisten das politische und soziale Handeln kontrollieren. Kaum jemand wird bestreiten, dass Wirtschaft ein wesentlicher Teil dieses sozialen Handelns ist. Und dieses Handeln setzt bei den ökonomischen Alltagsentscheidungen jedes Einzelnen an. Was ist sicherer, die Aktie oder das Sparbuch? Soll und darf ich mich verschulden? Und wenn ja, wer informiert mich über die Sinnhaftigkeit dieses Tuns?

Sammelrezension
Die Deutschen sind kein Volk, bei dem ökonomische Bildung eine große Rolle spielt. Die theoretischen Kenntnisse zum Thema Geldanlage sind eher schwach ausgeprägt, was zu Fehlentscheidungen bei sensiblen Themen wie Altersvorsorge oder Versicherung führen kann. Pia Krisch will mit ihrer Arbeit untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Umgang mit Geld und der medialen Berichterstattung gibt. Anders als Scheufele und Haas fundiert sie ihre Untersuchung nicht auf finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen sondern verankert den Begriff des “Geldhandelns” in der Dialektik von subjektiver Sinnhaftigkeit und gesellschaftlichem Wissen. Dabei arbeitet sie das Konzept der Rahmenanalyse als praktikables Mittel für ihr weiteres Vorgehen heraus.

Ihre empirische Untersuchung besteht im Kern aus einer qualitativen Interviewstudie unter 30 Probanden. Das Sample gliedert sich nach Alter und Geschlecht sowie nach Einkommen. Etwa je zur Hälfte verfügen die Befragten über ein Haushaltsnettoeinkommen, das entweder unterhalb oder oberhalb der Grenze von 3.000 Euro liegt. Insbesondere die letztgenannte Gruppe übertrifft damit deutlich den Durchschnittswert von 2.370 Euro in Westdeutschland und 1.880 Euro im Osten.

Krisch zeigt anhand der Auswertung der Interviews, wie die Individuen innerhalb von kommunikativen Episoden ihre identitätsstiftenden Orientierungen gewinnen. Menschen, so das Ergebnis, wollen ihr monetäres Handeln und ihre darauf bezogenen Wertvorstellungen miteinander in Einklang bringen. “Die Eigenständigkeit monetären Handelns, die Ausstattung mit individuellen Handlungsoptionen, der Grad der Orientierung auf wirtschaftliche Effizienz, Geldhandeln als moralische Kategorie und Geld im Horizont der Beziehung stellen thematische Perspektiven des Monetären dar, auf die der Mensch Neues bezieht und einordnet” (338). Wissen ist Ausdruck einer monetären Identität, die kommunikativ konstituiert ist. Und die Medien liefern die relevanten Themen. Sie sind die Agenten sekundärer Sozialisation.

Die Leistung dieser Untersuchung besteht darin, die intellektuelle Ebene hinter dem direkt geäußerten Gedanken der Probanden zu ergründen. Krisch ist damit in ihrem Vorgehen nicht minder kreativ als Scheufele und Haas. Sie forscht aber vor allem qualitativ und fundiert ihre Arbeit soziologisch. Dieser Weg ist anspruchsvoll und abstrakt zugleich. Sie animiert den Leser, darüber nachzudenken, welche Handlungsoptionen für die Wirtschaftsberichterstattung aus dieser Untersuchung folgen.

Die Tatsache, dass der Wirtschaftsjournalismus unter massiven Strukturveränderungen leidet, kann vor diesem Hintergrund nicht zur Beruhigung beitragen. Der sensible und kompetente Umgang mit Finanzthemen setzt Unabhängigkeit, Wissen, Mut, Einfühlungsvermögen und Vermittlungskompetenz voraus. Beide Arbeiten, Medien und Aktien sowie Alltag, Geld und Medien zeigen, dass sowohl in der Wissenschaft als auch in der journalistischen Praxis noch sehr viel Auf- und Erklärungsbedarf bei der Frage nach der richtigen Vermittlung von Wirtschaftsthemen besteht.

Links:

Über das BuchBertram Scheufele; Alexander Haas: Medien und Aktien. Theoretische und empirische Modellierung der Rolle der Berichterstattung für das Börsengeschehen. Wiesbaden [VS Verlag] 2008, 327 Seiten, 44,90 Euro.

Pia Krisch: Alltag, Geld und Medien. Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität. Wiesbaden [VS Verlag] 2010, 367 Seiten, 39,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseFinanzwirtschaft im Spiegel der Medien. von Moss, Christoph in rezensionen:kommunikation:medien, 25. Dezember 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/3086
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