Jörg Helbig, Rene Schallegger (Hrsg.): Digitale Spiele

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert von Florian Lippuner

Einzelrezension
In der Reihe Klagenfurter Beiträge zur visuellen Kultur erscheinen Sammelbände, die im Rahmen des interfakultären Forschungsschwerpunktes “Visuelle Kultur” an der Universität Klagenfurt entstanden sind. Im Zentrum der seit 2014 erscheinenden Reihe steht folglich die kulturelle Kraft und Macht der Bilder, insbesondere im gesellschaftlichen Alltag, zum Beispiel in Form von Werbung, Fernsehen oder eben digitalen Spielen.

Das erklärte Ziel des hier vorgestellten 5. Bandes ist es, “unterschiedlichste Facetten digitaler Spiele als Form kulturellen Ausdrucks zu beleuchten.” (10) Denn, und das halten die Herausgeber richtig fest, “nur gemeinsam scheint es zu gelingen, der Komplexität des Mediums […] gerecht zu werden” (9). So basiert der vorliegende Sammelband denn auch auf einer interdisziplinären Ringvorlesung der Jahre 2013/2014. Für sich genommen sind die einzelnen Beiträge gut recherchiert und verweisen auf die aktuelle Literatur in den jeweiligen wissenschaftlichen Strömungen und Gegenstandsbereichen. Gleichzeitig liefert der Sammelband hauptsächlich einzelne Spotlights zur breiten Thematik der digitalen Spiele.

Natürlich ist es schwierig, im multidisziplinär breit und dicht bearbeiteten Gebiet der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit digitalen Spielen neue Akzente zu setzen. Nichtsdestotrotz beinhaltet der Band Digitale Spiele mehrere interessante Ansätze, gerade wenn Wege gesucht werden, wie sich die Game Studies – mitunter in Bezug auf Theoriebildung und -bindung – von den Sozial- und Geisteswissenschaften emanzipieren könnten.

Zentral für die kritische Verortung der Game Studies im wissenschaftlichen Diskurs sind die Beiträge von René Reinhold Schallegger (14ff.) und Gundolf S. Freyermuth (50ff.). Schallegger zeichnet in seinem Beitrag zunächst die Entwicklungsgeschichte der Theorie des analogen und digitalen Spiels nach; es werden die zentralen Konzepte der Game Studies (Flow, Agency, Immersion, Engagement) (28ff.) vorgestellt sowie die Grabenkämpfe zwischen Narratologen und Ludologen skizziert (22ff.). Das Kernstück des Beitrags ist jedoch die “Triade von Triaden”, mit welcher Schallegger zur Beschreibung der Spielerfahrung die Entwicklerseite auf der einen und die Spielerseite auf der anderen Seite in einem Instrument vereint. Das jeweilige Spielempfinden und -verhalten auf Seiten des Spielers lässt sich damit vor dem Hintergrund des durch die Entwicklerseite technisch zur Verfügung gestellten Handlungsrepertoires beschreiben.

Der Etablierung einer eigenständigen, kohärenten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit digitalen Spielen steht laut Freyermuth die nach wie vor bestehende Kluft zwischen der akademischen Auseinandersetzung (Game Studies) und dem Game Design (52f.) im Weg. Freyermuth schlägt vor, die verschiedenen Strömungen der Game Studies in eine einzige neue Debatte zu kanalisieren. Der Ausgangspunkt hierfür soll nicht mehr nur der Import von bestehenden Ansätzen aus den etablierten sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen sein. Stattdessen sollen Fokus und Methodik aus der direkten Konfrontation mit den digitalen Spielen selbst entstehen. Wichtig für eine solche Einpassung der Theorie auf das Subjekt sei es, die alte Kluft zwischen künstlerischer und akademischer Tätigkeit zu schliessen (72f.). Claudia Streussnig et al. (87ff.) greifen diesen Aspekt im Rahmen des Projekts CROSMOS auf, in welchem Akteure aus Informatik, Game Design und Medienwissenschaft gemeinsam ein Spiel entwickeln und erforschen.

Digitale Spiele als Kulturgut und kulturelle Technik, das ist der erkennbare rote Faden, entlang welchem sich die Beiträge dieses Sammelbands aus verschiedenen disziplinären und methodologischen Perspektiven nähern. Letztlich besteht die Herausforderung bei der Realisierung eines jeden Sammelbandes darin, die verschiedenen Beiträge in ein stimmiges Gesamt einzufügen. Obschon die inhaltlich-methodische Qualität der einzelnen hier versammelten Artikel hoch ist, erweckt der Sammelband in der Gesamtbetrachtung den Eindruck eines Patchworks. Dies ist wohl dem eingangs erwähnten Umstand geschuldet, dass die Beiträge auf eine interfakultäre Vorlesung zurückgehen. Die Strukturierung des Sammelbands mithilfe der drei etwas beliebig wirkenden und wenig aussagekräftigen Blöcke “Grundlagen”, “Kontexte” und “Texte” scheint hier wenig dienlich. Hinzu kommt, dass einige Beiträge in deutscher Sprache, andere wiederum in englischer Sprache verfasst wurden, was den fragmenthaften Eindruck zusätzlich verstärkt. Auch im Interesse der Weiterentwicklung der Game Studies wären die Abarbeitung an einer gemeinsamen Fragestellung oder an einem gemeinsamen Modell und damit eine stärkere gegenseitige Bezug- und Einflussnahme zwischen den einzelnen Beiträgen sachdienlich gewesen, sowohl aus Sicht der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit digitalen Spielen, nicht zuletzt aber auch aus Sicht des Lesers.

Der Sammelband gibt einerseits einen guten Überblick über die Entwicklungen in den Game Studies der letzten Jahre, stellt aber auch einige anschauliche Beispiele der praktisch-didaktischen Anwendung digitaler Spiele im schulischen, therapeutischen oder präventiven Kontext vor. Der Sammelband kann damit sowohl Sozial- und Geisteswissenschaftlern als auch pädagogischen und psychologischen Praktikern als Nachschlagewerk empfohlen werden.

Links:

Über das BuchJörg Helbig, René Schallegger (Hrsg.): Digitale Spiele. Reihe: Klagenfurter Beiträge zur Visuellen Kultur, Bd. 5. Köln [Herbert von Halem] 2017, 320 Seiten, 32,50 Euro.Empfohlene ZitierweiseJörg Helbig, Rene Schallegger (Hrsg.): Digitale Spiele. von Lippuner, Florian in rezensionen:kommunikation:medien, 16. Oktober 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20722
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