Hans Arnold: Das Magische des Films

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert von Christiane König

Einzelrezension
Heiko Christians gibt 2017 Hans Arnolds Dissertationsschrift Das Magische des Films. Ein Beitrag zur Frage der Wirksamkeit magischer Einflüsse in der Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung des Films heraus. Die Publikation, die Arnolds 1949, also knapp sechzig Jahre zuvor, an der Philosophischen Fakultät der Universität München einreichte, erscheint in der Reihe Metabasis des transcript Verlags.

Die hier nun vorliegende Fassung ist mit Hilfe der Überarbeitung des Autors die Erstveröffentlichung des damaligen Manuskripts. Mit der Schrift, so der Herausgeber Christians in seinem, dem Arnold’schen Text vorangestellten Aufsatz, “soll ein verschollenes Kapitel aus der Geschichte der deutschsprachigen Film- und Medienwissenschaft wieder aufgeschlagen werden.“ (9). Er ordnet die Figur Arnolds vollmundig so ein: “Hans Arnolds Dissertation reagiert verspätet, aber für die deutsche Volkskunde und Filmwissenschaft ante portas geradezu als Pionier, auf die Balázs-Formel ‘Das Kino ist die wahre Volkskunst des 20. Jahrhunderts’. Die Filmwissenschaft ist – das können wir ohne Häme sagen – in diesem Punkt kaum viel weiter gekommen als Béla Balázs oder Hans Arnold“ (27).

Es geht den Herausgeber*innen also um nichts mehr, als Hans Arnolds Ansatz als eine Novität insbesondere für die Filmwissenschaft vorzustellen, welcher im aktuellen Augenblick seiner öffentlichen Wahrnehmbarkeit schon vor gut siebzig Jahren alles Erkenntnisfördernde, Stilbildende für diese erarbeitet haben soll – und dies nicht nur für die deutsche Filmwissenschaft, sondern im Allgemeinen. Hier fragt man sich bereits als Leserin, welchen motivischen Unterton seitens der Herausgeber*innen eine solche Fundierung der Basis aller Filmwissenschaft in einem Text eines deutschen Verfassers wohl haben könnte.

Um die spät erkannte Wichtigkeit des Autors zu verdeutlichen, verweist Christians nimmermüde auf jene Figur, die global den kleinsten gemeinsamen Nenner in den Medienwissenschaften hinsichtlich der Fachbegründung darstellt, nämlich Marshall McLuhan und dessen erst 1951 veröffentlichte Gesellschaftsanalyse der USA anhand ihrer technischen Extensionen The Mechanical Bride: Folklore of Industrial Man, an der dieser aber schon bereits seit den 1930er Jahren gearbeitet haben soll, dessen Satzauftakt Christians dabei kurzerhand unterschlägt.

Hans Arnold, der zeitlebens als Diplomat und Publizist tätig war, spekuliert in seinem Nachwort von 2014 selbst über die aktuellen disziplinären Möglichkeitsbedingungen für seine Schrift und kommt zu dem Schluss, dass er diese wohl nicht mehr in der Volkskunde, sondern vielmehr in den Medienwissenschaften hätte einreichen können, auch wenn er selbst folgert, dass “[i]n der Dissertation der Film freilich nicht das zentrale Thema [war], sondern mehr ein Beispiel und Demonstrationsobjekt für das in ihr behandelte magische Welterleben.“ (285). Das klingt etwas moderater, ist vermutlich  realistisch eingeschätzt und entspricht der Wahrnehmung beim Lesen.

Der Herausgeber streicht das Potenzial zur Begründung der ‘modernen’ Medienwissenschaft des Arnold’schen Ansatzes heraus, indem er betont, Arnold habe darin bereits 1949 ein “differenzierte[s] Besteck der Filmwissenschaft“ (33) entwickelt und dabei “präzises technisches Wissen über die Geschichte und Arbeitsweise der Apparatur“ (34) bewiesen, die Physiognomik (insbesondere der Großaufnahme) ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt und dabei den “Wissens- und Methodentransfer“ zwischen kinematografischem Apparat und Psychologie eindeutig erkannt.

Was das Buch, entgegen dieser epistemologischen Engführung auf den Film jedoch wahrhaft medienwissenschaftlich macht, ist in den Augen der Leserin vielmehr der leicht von der Hand gehende, dabei spektakulär souveräne Theorie- und Methoden-Eklektizismus, den Arnold hier mutig an den Tag legt. Damit ist nicht die Ablösung volkskundlicher Untersuchungsgegenstände (Film statt Volksbücher) oder Methoden (Unterschicht-Oberschicht-Modell, Masse- statt Volksbegriff) gemeint. Vielmehr ist damit gemeint, dass Arnold in zwei Dritteln des Buchs einen weitgehend kulturwissenschaftlichen Zugang zum Medium vornimmt, den er um einen (ontogenetisch gerahmten) individualpsychologischen, insbesondere mit den Ansätzen von Freud und Jung, ergänzt.

Erst im letzten Drittel des Buchs findet das Medium Film überhaupt Erwähnung, worin Arnold in der Tat, wenn auch nur implizit, beweist, dass er sich mit den Schriften zum frühen Film und Kino sowie mit den Schriften zum Film in der Nazi-Zeit, wie beispielsweise der von Opfermann und Groll, auseinandergesetzt hat. Angesprochen sind damit aber nicht nur die von Christians erwähnten soziologischen Überlegungen Emilie Altenlohs und jene medienanthropologischen von Béla Balázs, sondern eben auch Ansätze wie bspw. die von Herrmann Häfker, Herbert Tannenbaum, Malwine Rennert, Paul Ernst, Yvan Goll und Lydia Eger.

Denn die Einordnung des Films durch Arnold erfolgt beinahe exakt gemäß jener Koordinaten, die jene Autor*innen teilweise bereits dreißig Jahre zuvor eingezogen hatten: Die Frage nach dem Status des Films als Kunst oder reiner Technik oder reiner Unterhaltung; die Abgrenzung des Films gegenüber dem Theater; die Frage nach Hemmung, Adressierung und/oder Beförderung von Imaginationskraft und Fantasie des Publikums durch den Film; die Frage nach der sozialen Funktion des Mediums generell. Auch bei der schlussendlichen Bewertung, die Arnold ausdrücklich als Resultat eines deskriptiven Verfahrens interpretiert haben möchte, jedoch einem Urteil gleicht, reiht sich der Verfasser in den Chor der altbekannten Stimmen ein, dass der Film zwar als technische Novität kein reines Abbildungsinstrumentarium der Wirklichkeit, sondern ein Gestaltungsmedium sei; dass er aufgrund seines fotorealistischen Repräsentationsmodus’ jedoch gerade dies vortäusche; dass seine psychologische Wirkung deshalb vorwiegend eskapistische Zustände befördere; dass das Medium zwar mittlerweile weltweit einen unwiederbringlichen Kulturfaktor darstelle, jedoch die Gefahr der Manipulation des Publikums (wobei vorwiegend ‘Primitive’, Jugend und Frauen gemeint sind) gegeben sei.

Gerade mit seinem Verdikt ist Arnold sogar noch den konservativen, kulturkritischen Positionen zuzurechnen. Selbst Balázs Medienanthropologie, wenn auch angeführt vom ‘weißen Mann’ aus Europa, läuft immerhin auf eine Bestimmung des Mediums mit geradezu gesellschaftsrevolutionärem Potenzial (Völkervereinigung durch universale Gebärdensprache!, auch bei Goll ähnlich, nur vom linkeren Spektrum her formuliert, nachzulesen) hinaus.

An dieser Stelle wird nun aber der historische Zeitpunkt enorm wichtig, zu dem Arnold seine Schrift verfasste, welcher ihn auch unwiederbringlich von diesen Autor*innen in jeglicher Hinsicht trennt. Sich noch während der Naziherrschaft über die Wirkung von Medien dahingehend Gedanken zu machen, dass Film magisches Welterleben erzeugt und befördert, welches rausch- bzw. traumähnlichen Zuständen ähnelt, in welchen auch der ‘moderne Mensch’, das ‘Individuum’ nicht bei sich ist und daher zum Einfallstor von Manipulationen seitens der Bilder wird, könnte man schon fast als Ketzerei einstufen. Das erklärt eventuell auch Arnolds Selbstbezichtigung, Ist-Zustände lediglich zu beschreiben.

Auch wenn die Lektüre teilweise die schmerzhaft Erkenntnis erzeugt, dass die Arnold’sche Epistemologie immer noch auf der alten zivilisationshistorischen Wissensordnung beruht, die Welt strikt in Eigenes und Fremdes, das (unausgesprochen weiße, männliche eurozentristische) Selbst und sein Anderes einzuteilen, so ist sein Fazit, dass Menschen durch das Medium Film magische Zustände erleben, doch 1949 als dringlicher Appell gegen ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Gefahrenpotenzial zu sehen. Gerade aus Arnolds typologisch arrangierten individualpsychologischen Betrachtungen magischen Welterlebens geht dabei überdeutlich hervor, dass “der Normalmensch“ nicht nur bisexuell veranlagt ist, sondern auch heute noch weitgehend durch dieses Welterleben konstituiert wird.

So hat der Verfasser alle Mühe damit, die Figur eines dagegen von ihm in Anschlag gebrachten, rational-logischen Subjekts zu begründen, geschweige denn aufrechtzuerhalten. Auch wenn Arnold in seiner medienanthropologischen Perspektive interessanterweise, wie dies McLuhan in seiner Folklore, aber auch schon Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz ja ausdrücklich vornahmen, kein einziges Wort über Rationalität und Technik sowie Ökonomie, Politik und Gesellschaftsform verliert, so lautet sein Fazit, dass man Film kaum nur ästhetisch, aber auch nicht nur als reine Unterhaltung erleben kann, sondern er vor allem kulturelle Technologie zur Manipulation der Massen sei.

Auch wenn dieses Fazit erst einmal wenig neu, zudem etwas plakativ erscheint, erschließt sich dennoch in diesem Licht die wahrhaft wichtige Funktion dieses Texts und seine Aktualität. Bei Sachlage von Fake News, alternative realities und wachsendem Rechtspopulismus im gesellschaftlichen Zustand des Postfaktischen erscheint die Erkenntnis, dass selbst beim ‘Normalmenschen’ offenbar das magisch-mythische Welterleben dominiert, doch wie ein gesellschaftspolitischer Weckruf!

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Über das BuchHans Arnold: Das Magische des Films. Ein Beitrag zur Frage der Wirksamkeit magischer Einflüsse in der Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung des Films (neu herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Heiko Christians und mit einem aktuellen Nachwort des Verfassers). Reihe: Metabasis, Bd. 17. Bielefeld [transcript Verlag] 2017, 294 Seiten, 29,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseHans Arnold: Das Magische des Films. von König, Christiane in rezensionen:kommunikation:medien, 31. August 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20504
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