Matthias Brändli: Die Online-Kommunikation von politischen Interessengruppen in der Schweiz

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Rezensiert von Colette Schneider Stingelin

MatthiasBraendli_OnlineKommunikation-coverEinzelrezension
Interessengruppen sind in modernen Demokratien wichtige Vermittler zwischen dem Staat und der Gesellschaft. Sie artikulieren, bündeln ihre Interessen und vermitteln diese mit dem Ziel, politisch Einfluss zu nehmen. Hat die wachsende Bedeutung der Medien in der Politik in den vergangenen Jahren das Kommunikationsverhalten und die Organisationsstrukturen von Interessengruppen verändert? Die wissenschaftliche Beschäftigung mit derartigen Verbänden und ihren kommunikativen Aktivitäten ist bis jetzt rar. Umso beachtlicher ist die großangelegte Studie von Matthias Brändli, die sich mit der Online-Kommunikation von politischen Interessengruppen in der Schweiz befasst. Der Autor hat damit 2014 an der Universität Zürich promoviert. Unterstützt wurde seine Dissertation durch die Aufnahme in das Schweizerische Nationalfondprojekt NCCR Democracy.

Brändli veröffentlichte seine Studie 2015 im Herbert von Halem Verlag. Das Buch führt den Leser durch drei Forschungsfragen, die als Ausgangspunkt dienen: Wie schätzen die politischen Interessengruppen in der Schweiz die Bedeutung von Online-Kommunikation ein? Welche Instrumente und Aktivitäten der Online-Kommunikation nutzen sie dafür? Und welche Veränderungen lassen sich in ihren Organisationsstrukturen feststellen, die auf den Einsatz von Online-Kommunikation zurückzuführen sind?

Den theoretischen Teil der Arbeit (S. 24-96) eröffnet eine Diskussion, die der Frage nachgeht, was Organisationen als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung ausmacht. Anschließend wird eine breit angelegte Definition von Interessengruppen erarbeitet, ergänzt durch eine Verortung im intermediären System der Interessenvermittlung. Drittens wird ein Rahmen für die Online-Kommunikation gelegt, der diese als Teil des gesamten Kommunikationsrepertoires sieht. Zuletzt betrachtet der Autor die bislang durchgeführte Forschung und nimmt eine Einordnung in die Schweizer Konsensdemokratie vor. Da das politische System der Schweiz die Kernaufgaben der Interessenverbände – Repräsentation und Steuerung – stark prägt, wäre für diese Verortung mehr Raum im Buch wünschenswert gewesen. Brändli diskutiert dieses Thema jedoch hauptsächlich auf vier Seiten (S. 81-85).

Das Forschungsvorhaben (S. 97-135) ist ambitioniert und basiert auf einem zweistufigen methodischen Verfahren: Die fach- und methodengerecht durchgeführte erste Teilstudie besteht aus einer quantitativen Online-Befragung der Interessengruppen in der Schweiz. Die schwierig zu erfassende Population der Interessengruppen wurde durch eine Kombination öffentlich zugänglicher Register zusammengestellt. Die imposante Anzahl von 2475 Schweizer Interessengruppen wurde erfasst, 985 von ihnen füllten den Fragebogen aus. Die Heterogenität der Gruppen zeigt sich in den ausgewerteten Daten in ihrer Größe, Finanzierung, Anzahl der Mitglieder sowie ihren Tätigkeitsgebieten und Aktivitäten auf unterschiedlichen politischen Ebenen.

Betrachtet der Leser ausgewählte Befunde (S. 136-248), offenbart sich: Die breite öffentliche Kommunikation steht für die befragten Interessengruppen nicht an erster Stelle; darin unterscheiden sie sich deutlich von den Parteien. Die Kommunikation mit den Mitgliedern hat hingegen die größte Bedeutung. Damit verknüpft ist auch die Wichtigkeit der Website: Diese wurde von den Befragten als wichtigstes Element im gesamten Kommunikationsrepertoire genannt. Auffällig ist, dass zum Zeitpunkt der Erhebung (Anfang 2011) die Sozialen Medien nach Einschätzung der Befragten (noch) wenig relevant zu sein scheinen. Offen bleibt bei dem breiten Ansatz, wie sich einzelne Typen von Interessengruppen bezüglich der Kommunikation und im Speziellen der Online-Kommunikation unterscheiden.

Der zweite Teil der Studie besteht aus teilstandardisierten Leitfadeninterviews mit operativ leitenden Personen ausgewählter Interessengruppen (S. 249-337). Die 21 durchgeführten Interviews lieferten insbesondere Antworten auf die Forschungsfrage, welche Veränderungen sich in den Organisationsstrukturen abzeichnen. Die gestiegenen Ansprüche haben zur Folge, dass die Flexibilität innerhalb einer Organisation erhöht werden muss – auch für die Planung von Tätigkeiten und Abläufen, was jedoch laut den Befragten nur punktuell umgesetzt wird.

Alle 17 Hypothesen der Studie im Auge zu behalten, ist für den Lesenden anspruchsvoll. Sie dienten dazu, die Doktorarbeit zu strukturieren. Die Ergebnisse sind insgesamt so, wie sie der Interessierte erwartet, trotzdem wurden nicht alle Hypothesen verifiziert.

Der Ausblick am Schluss des Buches ist schmal gehalten (S. 366-370). An dieser Stelle wären weitere Ansatzpunkte für Forschungsprojekte vorteilhaft. Denn die zunehmende Bedeutung der Medien in der Politik kann in der Schweizer Konsensdemokratie die Wichtigkeit der Interessengruppen gefährden – es sei denn, sie nutzen diese Veränderung als Chance.

Fazit: Die Lektüre des 400 Seiten starken und angenehm lesbaren Buches lohnt sich insbesondere für denjenigen, der sich mit politischer Kommunikation in der Schweiz und/oder mit Online-Kommunikation von intermediären Interessengruppen auseinandersetzen möchte.

Links:

Über das BuchMatthias Brändli: Die Online-Kommunikation von politischen Interessengruppen in der Schweiz. Bedeutung, Einsatz und Veränderungen der Organisationsstrukturen. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2015, 396 Seiten, 34,- Euro.Empfohlene ZitierweiseMatthias Brändli: Die Online-Kommunikation von politischen Interessengruppen in der Schweiz. von Schneider Stingelin, Colette in rezensionen:kommunikation:medien, 16. August 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19348
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