Christoph Bultmann, Antje Linkenbach (Hrsg.): Religionen übersetzen

Einzelrezension
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Rezensiert von Marie-Therese Mäder

Religionen übersetzenEinzelrezension
Der Sammelband beinhaltet Beiträge aus einer Vorlesungsreihe an der Universität Erfurt von 2013/14, die im interdisziplinären Forum Religion durchgeführt wurde. Dementsprechend ist die Auswahl der Artikel aus den Bereichen der Journalistik, Ethik, Bibelwissenschaften, Religionswissenschaft, Theologie und der Kommunikationswissenschaft fachlich vielfältig.

Die Herausgeber Christoph Bultmann und Antje Linkenbach stecken die Fragestellung der Aufsatzsammlung in ihrer Einleitung wie folgt ab: “Der vorliegende Band will die Prozesse von Repräsentation und Rezeption von Religion kritisch unter die Lupe nehmen (8).“ Martin Fuchs und Jörg Rüpke wagen zunächst im ersten, kurz gehaltenen Beitrag eine Begriffsbestimmung von Religion, die als Grundlage für den Sammelband dient (17–21). Die beiden Autoren halten treffenderweise fest, dass Religion als ein analytischer Begriff, der auf kulturelle Phänomene übertragen wird, immer schon eine Form von Übersetzung darstellt (vgl. 21).

Die folgenden zehn Beiträge zeigen auf, dass die Repräsentation von Religion oftmals auch eine Form der Rezeption beinhaltet, wie zum Beispiel in den Aufsätzen von Antje Linkenbach (23–44) und Zrinka Štimac (45–72), die beide der Darstellung von religiösen Traditionen wie dem Hinduismus, dem Christentum oder dem Islam in Schulbüchern nachgehen. Beide Analysen sind sorgfältig aufgebaut und zeigen kritisch, dass Schulbücher eine eigene, nicht immer ganz unproblematische Perspektive auf Religion werfen, indem sie die ‘anderen’ Religionen neben dem Christentum oftmals als fremd präsentieren. Trotzdem bemerken die Autorinnen Verbesserungen der Repräsentation von Religionen im Vergleich zu früheren Schulbüchern. Es ist zu hoffen, dass die erwähnten Kritikpunkte der Autorinnen von Lehrpersonen dieser Fächer gelesen werden und so in den Unterricht einfließen, stellen Bücher doch nur einen Teil des Unterrichtsmaterials dar.

Neben eigentlichen Medienanalysen finden sich aber auch historische Zugänge wie der überaus gelungene Aufsatz von Florian Bock, der einen geschichtlichen Überblick über den Umgang der römisch katholischen Kirche mit den Medien bietet (73–87). Er zeigt auf, inwiefern eine religiöse Gemeinschaft sich der Logik der Medien anpassen muss, um sich weiterzuentwickeln. Bocks Überlegungen sind trotz des ambitionierten Zeitrahmens, er beginnt 1520 mit dem Buchdruck und endet 2015 mit dem Rücktritt des Limburger Bischofs, äußerst dicht und lehrreich.

Der ‘Übersetzung’ des Islams, respektive dessen Darstellung in den Medien, gehen gleich drei Autoren/innen nach. Liriam Sponholz dekonstruiert im Rahmen der Common Sense Theorie und mit linguistischen Inhaltsanalysen anhand der Veröffentlichungen von Thilo Sarrazin sowie Oriana Fallaci das Zerrbild des Islams in den Medien (117–138). Der umfangreiche Beitrag macht den lobenswerten Versuch, eine Medienkritik theoretisch zu erfassen.

Horst Pöttker widmet sich der Frage, wie die beiden Traditionen Christentum und Islam in den Medien jeweils dargestellt und entsprechend gegenseitig wahrgenommen werden können (139–163). Deren Selbstdarstellungsmöglichkeiten und soziale Anpassungsfähigkeit ergründet Pöttker mittels der jeweiligen Theologie und zeigt unterschiedliche Positionen auf. Die Vielheit der untersuchten (Sekundär-)Quellen und Perspektiven macht deutlich, wie breit und beinahe unüberschaubar die Thematik ist und wie schwierig es ist Vorurteile gegenüber religiösen Gruppierungen abzubauen.

Der dritte Beitrag zum Islam stammt von Christoph Bultmann. Er wendet sich in vergleichender Perspektive der Auslegung des Korans und der Bibel in den Medien zu (165–185). Schließlich hinterfragt Christoph Bultmann die Verwendung des Ausruckes “wörtlich nehmen“ in Tageszeitungen im Zusammenhang mit der Auslegung des Korans und der Bibel. Er zeigt einleuchtend auf, dass “es sich bei der Formel ‘wörtlich nehmen’ nur um reinen Unfug handeln kann (174).“ Sobald nämlich kanonische Schriften in Handlungsanweisungen umgesetzt werden, wird interpretiert, und dafür braucht es im besten Falle historische, hermeneutische und rituelle Kompetenzen (185), die vielfach in der journalistischen Praxis eben nicht vorhanden sind.

Der Sammelband Religionen übersetzen leistet zusammenfassend einen vielfältigen, wertvollen und lesenswerten Beitrag zur Rezeption von Religion in der Öffentlichkeit, auch wenn die einzelnen Aufsätze unterschiedlich konsistent sind. Dadurch, dass sich die Beiträge auf mehrheitlich schriftliche Darstellungen von Religion konzentrieren, kommen visuelle “Übersetzungen“, die auch eine Form der Wiedergabe darstellen, zu kurz. Die Aussage “Bilder sind Verstärker im Kontext der Übersetzung“ (12), greift wohl definitiv zu kurz, da gerade das Visuelle oftmals eine wichtige Rolle in Rezeptionsprozessen übernimmt. Die Beiträge zeigen jedoch, wie das Phänomen Religion in allen seinen unterschiedlichen Ausformungen, in Repräsentation und Rezeption, immer einem (Re-)Konstruktionsprozess unterstellt ist, der niemals frei von Wertungen sein kann.

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Über das BuchChristoph Bultmann, Antje Linkenbach (Hrsg.): Religionen übersetzen. Klischees und Vorurteile im Religionsdiskurs. Reihe: Vorlesungen des Interdisziplinären Forums Religion der Universität Erfurt, Bd. 11. Münster [Aschendorff Verlag] 2015, 260 Seiten, 14,80 Euro.Empfohlene ZitierweiseChristoph Bultmann, Antje Linkenbach (Hrsg.): Religionen übersetzen. von Mäder, Marie-Therese in rezensionen:kommunikation:medien, 12. Oktober 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18605
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