Birgit Stark, Oliver Quiring, Nikolaus Jackob (Hrsg.): Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-Galaxis

Einzelrezension
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Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-GalaxisEinzelrezension
Bekanntlich trifft sich jedes Jahr die Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), die ohne Frage wichtigste wissenschaftliche Gesellschaft deutschsprachiger Kommunikations- und MedienforscherInnen, zu ihrer Fach- und Jahrestagung, und die jeweils Ausrichtenden geben hernach den Tagungsband heraus. 2013 war es zum 50. Mal im geschichtsträchtigen Mainz, und angesichts solch gewichtiger Koordinaten mag es schon dazu verlocken, mit etwas großspurigen Attributen im Titel zu hantieren. Aber wenn im gesamten Band Gutenberg, also der Buchdruck, überhaupt nicht und Google nur zweimal, jeweils nur als probate Metapher besagter “Galaxis” (272; 284) in gefälliger Anlehnung an Marshall McLuhan, vorkommen, dann missraten sie umgehend zu schicken, inhaltsleeren Labels, die das Publikum irreführen. Weitreichende, historisch tiefgreifende Analysen sind jedenfalls nicht zu erwarten, eher mittelfristige, empirische Fallstudien zum viel beschworenen und anhaltenden Medienwandel, und zwar – wie die HerausgeberInnen gleich eingangs ankündigen – realistisch resümierend, mit nüchtern-sachlichem Blick, ohne die “nervöse Hektik der Anfangsjahre” (13).

Allein zwei Beiträge, am Anfang die Keynote des Washingtoner Politologen W. Lance Bennett, sowie die abschließenden Bemerkungen von Andreas Hepp und Uwe Hasebrink zur ‘Transformation mediatisierter Gesellschaften und Kulturen’, wagen größere Würfe, allerdings eher spekulativ und kaum hinreichend gesichert, deshalb mit Anforderungen an künftige Forschungen. So will Bennett unter dem Metatrend Globalisierung pauschal drei Entwicklungen in modernen Gesellschaften identifizieren: nämlich die Fragmentierung des öffentlichen Lebens, die Veränderung der (klassischen) Mediensysteme sowie die Erosion des Qualitätsjournalismus, die jüngere Generationen mit Online-Community-Strategien kompensieren wollen. Die einschlägigen Wissenschaften hätten diese Trends noch nicht hinreichend analytisch aufgegriffen, kritisiert Bennett abschließend. Für diese Tagung und den vorliegenden Tagungsband, aber auch für etliche andere kann dieser Tadel nicht gelten – wie ja überhaupt solch grobschlächtige Einschätzungen allenfalls heuristisch zutreffen und in vielfältiger Hinsicht differenziert werden müssten.

Dies lässt sich auch für das kursierende Paradigma der Mediatisierung sagen, das Andreas Hepp, einer seiner Begründer, und Uwe Hasebrink, nun mit einem weiter greifenden, kommunikations- und kulturwissenschaftlich verankerten Konzept der “kommunikativen Figurationen“ bereits wieder zu überwinden suchen, um die anhaltenden Transformationen mediatisierter Gesellschaften und Kulturen in “komplexeren Konstellationen“ (329) denken und sie der empirischen Forschung zuführen zu können. Dazu dürfte der Weg noch weit sein, denn in ihrem Beitrag legen die beiden Autoren nur grobe Strukturierungen und globale Kategorien vor. Künftig wird man die wachsende Komplexität und Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen zumal in international vergleichender Perspektive, sowohl theoretisch als erst recht empirisch präziser gewärtigen müssen – womöglich unter der Preisgabe evidenter Paradigmen.

Ungleich konkreter und kleinschrittiger fallen hingegen die anderen 14 Beiträge aus, die in fünf Kapitel gegliedert sind: nämlich in ‘Prozesse des Wandels (in) der Fachgesellschaft’, ‘partizipative Nutzer’, ‘Privatheit und/oder Öffentlichkeit’, ‘Journalismus’ und ‘Auflösung und Neukonzeption »des« Publikums’. Tatsächlich befassen sich mindestens acht Beiträge mit den Veränderungen des Journalismus infolge von Digitalisierung, Social Media und partizipatorischen Tendenzen in nichtprofessionellen Publikationskanälen – womit die Publizistikwissenschaft in ihrem Jubiläumsjahr gewissermaßen in aktueller Hinsicht zu ihren Wurzeln zurückgekehrt ist. Viele Studien sind natürlich nur aktuelle Momentaufnahmen, deren Befunde sich infolge besagten Wandels schnell ändern (können).

Im Jubiläumsjahr betreiben die ersten drei Beiträge konsequenterweise ein wenig Nabelschau der Disziplin: Doyen Jürgen Wilke fragt in seinem ‘Rückblick auf 50 Jahre’ angesichts ihrer massiven Expansion an den Hochschulen, ob sie zur “Big Science“ aufgestiegen sei. Eine Gruppe aus Münster untersucht auf der Grundlage von 35 Leitfadeninterviews bei für die Forschungspolitik entscheidenden Akteuren, ob und wie weit Organisationen und ihre Forschungsentscheidungen von vorherrschenden “Medienlogiken“ beeinflusst werden und damit eine heimliche “Medialisierung von Forschungspolitik“ bereits erfolgt (71ff). Schließlich präsentieren Siegfried Weischenberg und Matthias Potthoff auch anderswo bereits publizierte Befunde ihrer “zitationsanalytischen Spurensuche“ in den beiden führenden Fachzeitschriften, um die maßgeblichen Theorien und Themen sowie Institutionen und Personen der Disziplin in den 1970er und 2000er Jahren empirisch zu dokumentieren.

Bekanntlich wird der aktive Mediennutzer schon seit den 1970er Jahren, mit dem Aufkommen des Uses and Gratifications-Ansatzes, in den Kommunikationswissenschaften apostrophiert. Mit den digitalen Medien, vor allem den sozialen Netzwerken und Weblogs, nimmt er weitaus konkretere Konturen an und wird als vielfältiger Produzent präsent, freilich nur in geringen aktiven Minderheiten. Mit einer Inhaltsanalyse zweier deutscher und acht internationaler Fachzeitschriften ermitteln Annika Sehl und Teresa K. Naab, wie sehr etwa das Feld der nutzergenerierten Produktion bereits wissenschaftlich bearbeitet wird, und sie bieten damit eine Bestandsaufnahme aktueller kommunikationswissenschaftlicher Forschung.

Erwartungen an Publikumsbeteiligung bei der “Tageschau“ sowie bei den Redaktionen Schweizer Zeitungen sind die nächsten Themen. Schließlich untersucht Christian Nuernbergk am Beispiel der Berichterstattung über den G 8-Gipfel in Heiligendamm (2007), wie Weblogs und etablierte Medien wie “Spiegelonline“ und “Indymedia“ aufeinander reagieren. Aus abstrakterer Sicht erodieren und fusionieren längst die überkommenen bürgerliche Kategorien von Privatheit und Öffentlichkeit. Theorieansätze und Definitionsversuche gibt es etliche. Jakob Jünger fügt ihnen einen weiteren mit dem Begriff der “unklaren Öffentlichkeit“ hinzu und unterscheidet dafür acht Typen bzw. Kombinationen. Motive und Praktiken der Selbstoffenbarung von Jugendlichen auf Facebook untersuchen Julia Neumann und Michael Schenk. Dem mehrfach schon apostrophierten “Privacy Paradox“ gehen dann Sabine Trepte u. a. mittels einer Längsschnittstudie nach.

Wandlungen des und Anforderungen an den Journalismus thematisieren die nächsten vier Beiträge. Ob und wie er in jüngster Zeit Vertrauen – zumal bei jungen Leuten – gewonnen oder verloren hat, untersuchen Wolfgang Donsbach u. a. mit einer Forschungsübersicht und in eigenen Studien, ohne eindeutige Tendenzen identifizieren zu können. In einer vergleichenden Kommunikatorbefragung in 14 europäischen und arabischen Ländern zur so genannten Media Accountability eruieren Matthias Karmasin, Stephan Ruß-Mohl u. a., wie konsequent Journalisten auf die Einhaltung der selbst gesetzten ethischen und qualitativen Standards achten und (Selbst-)Regulierungen einhalten. Dabei überwiegen nach wie vor die traditionellen Instanzen der Medienselbstkontrolle. Wie sich das Verhältnis zwischen PR-Treibenden und Journalisten inzwischen darstellt, erkundete Claudia Riesmeyer in einer groß angelegten qualitativen Befragung. Wechselseitige Distanz und Skepsis scheinen zu schwinden, womöglich infolge fortschreitender Kommerzialisierung auf beiden Seiten.

Dass sich ‘das‘ Publikum mit dem Medienwandel auflöst, zumindest verteilt, ist ebenfalls ein schon beständiges Monitum. Allerdings ist bislang noch nicht hinreichend empirisch erforscht, um welches Publikum es sich konkret handelt und ob ‘das‘ Publikum seit Jürgen Habermas‘ idealtypischer Argumentation seit jeher ein postuliertes Artefakt bürgerlicher Selbstbespiegelung war. In einer sekundäranalytischen Rekonstruktion der MA-Intermedia-Daten von 1998 bis 2007 können Olaf Jandura und Katja Friedrich immerhin im vorletzten Beitrag des letzten Kapitels belegen, dass – auch schon vor Social Media – die Zuwendung zu klassischen Informationsangeboten rückläufig ist, während die Nutzung boulevardesker Informationsangebote konstant bleibt. Aber – wie so oft – sind mit dieser empirischen Deskription eines Trends längst noch nicht die Ursachen geklärt, zumal weder das verfügbare Medien-Angebot noch die angebotenen Inhalte betrachtet wurden. Solch multifaktorielle, mehrmethodische Forschungsdesigns, um die reale Komplexität und Vielfalt analytisch angemessen zu erfassen, lassen immer noch auf sich warten. Dazu reichen offenbar weder die möglichen Finanzen noch personelle Verfügbarkeiten aus, weshalb wohl auch künftig überschaubare Fallstudien die Regel sein werden: “Big Science“ – so schon Wilke eingangs – bleibt für die kommunikationswissenschaftliche Forschung daher wohl noch lange unerfülltes Desiderat.

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Über das BuchBirgit Stark, Oliver Quiring, Nikolaus Jackob (Hrsg.): Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-Galaxis. Alte und neue Grenzvermessungen nach 50 Jahren DGPuK. Konstanz, München [UVK] 2014, 370 Seiten, 29,- Euro.Empfohlene ZitierweiseBirgit Stark, Oliver Quiring, Nikolaus Jackob (Hrsg.): Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-Galaxis. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 28. November 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/17135
Veröffentlicht unter Einzelrezension