Barbara Kryk-Kastovsky (Hrsg): Intercultural Miscommunication Past and Present

Einzelrezension
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Rezensiert von Roswitha Fischer

Intercultural Miscommunication Past and PresentEinzelrezension
Die elf Beiträge in diesem Sammelband (ohne Einleitung) beschäftigen sich auf die eine oder andere Weise mit interkultureller Kommunikation. Die AutorInnen kommen vorwiegend aus Australien, Polen (Poznań) und Österreich (Wien) – das wissenschaftliche Netzwerk scheint sich um Barbara Kryk-Kastovsky, Cliff Goddard und Anna Wierzbicka zu ranken. Das Feld ist weit gesteckt; manche Beiträge stellen neuere Forschungs-Projekte vor; manche wiederum bestehen aus Kurzfassungen oder Auszügen von bereits weit fortgeschrittenen oder beendeten Projekten. Die Sprachen bzw. Kulturen, um die es hier geht, sind allen voran Englisch mit seinen nationalen Varietäten, und  – meist im Vergleich damit – Polnisch, Chinesisch, Russisch und Griechisch.

In der Einleitung stellt Barbara Kryk-Kastovsky die Beiträge vor, allerdings nicht in der Reihenfolge, in der sie dann tatsächlich abgedruckt sind. Die Artikel sind außerdem relativ beliebig in vier thematische Teilbereiche gegliedert. Definitionen oder Diskussionen der Begriffe ‘intercultural’ (interkulturell) und ‘miscommunication’ (missverständliche Kommunikation) sucht man in Kryk-Kastovskys Einleitung vergebens. Erst im vierten Beitrag von Anatolij Dorodnych und Anna Kuzio (78-83) stößt man auf die einzige ausführliche kritische Erläuterung der Begriffe ‘culture’ und ‘miscommunication’ (aber nicht ‘intercultural’). Der hier verwendete Kulturbegriff umfasst Wissen und Erfahrungen bestimmter Personenkreise auf der Grundlage ihres sozialen Kontexts. Entsprechend findet interkulturelle Kommunikation nicht nur zwischen Sprechern unterschiedlicher Muttersprachen statt, sondern auch zwischen Ärzten und ihren Patienten, Vätern und Töchtern, Engländern und Amerikanern. Interkulturelle Kommunikation birgt die Gefahr von Fehldeutung in sich. Wenn Gesprächsteilnehmer sich nicht bewusst sind, dass ihr Gegenüber möglicherweise anderen sozialen Normen folgt, kann es zu Missverständnissen kommen.

Die ersten vier Artikel könnte man als Skizzen zu Teilprojekten bezeichnen. Ich erwähne sie hier nur kurz. Zofia Golebiowski untersucht akademisches Hedging bzw. das Abschwächen von Aussagen, und zwar in drei soziologischen Fachtexten von polnischen und amerikanischen Autoren. Richard Trappl berichtet über die Erstellung eines Glossars mit Begriffen, die in einem chinesisch-englischen interkulturellen Dialog häufig eine Rolle spielen; es werden ein paar Beispiele von Einträgen gegeben (‘harmonious society’, ‘cultural industry’ u. a.). Matylda Weidner analysiert Datenfragmente von drei polnischen Doktor-Patienten-Gesprächen, die je nach Erwartungen und Wissenshorizont der Gesprächsteilnehmer unterschiedlich erfolgreich ablaufen. Anatolij Dorodnych und Anna Kuzio stellen anhand von Beispielen einige Unterschiede zwischen russischen, polnischen und englischen Komplimenten heraus.

Der nächste Artikel von Cliff Goddard beschäftigt sich mit Unterschieden zwischen der englischen, der amerikanischen und der australischen Kultur und ist recht spannend zu lesen. Die Ausgangsfrage ist folgende: Wie beginnen Personen aus diesen drei Kulturkreisen auf einer Party mit einer ihnen noch fremden Person ein Gespräch? Zur Klassifizierung der Unterschiede wird das Modell der kulturellen Skripte herangezogen, das Goddard mit Anna Wierzbicka in den 1990er Jahren ausbaute und das in der kognitiven Semantik internationale Anerkennung gefunden hat. Kulturelle Skripte sind Wissensstrukturen, die auf der Grundlage von kulturtypischen Erfahrungen gebildet werden. Sie können mittels der sog. natürlichen semantischen Metasprache (‘natural semantic metalanguage’) beschrieben werden, die auf etwa 60 Basisbegriffen (‘semantic primes’) basiert, die allen natürlichen Sprachen zu eigen sind. Aufbauend auf bestehenden Forschungen und Sprachanalysen mittels der Textkorpora COCA und BNC kommt Goddard – vereinfacht ausgedrückt – zu folgendem Ergebnis: Während Engländer sich gemäß ihrer kulturellen Skripte tendenziell zurückhaltend äußern, reden Amerikaner häufig von sich und ihren Errungenschaften, und Australier geben sich meist entspannt und lässig.

Der Band beinhaltet auch zwei literaturwissenschaftlich orientierte Artikel. Anna Wierzbicka verwendet den Ansatz der kulturellen Skripte für ihre Analyse von Gesprächen aus dem Roman The Slap (2008) des Griechen-Australiers Christos Tsiolkas. Griechische Auswanderer der ersten und zweiten Generation haben unterschiedliche kulturelle Skripte verinnerlicht, und so kommt es zu Konflikten innerhalb der Familie. María Marta García Negroni und María Laura Spoturno widmen sich einigen englisch-spanischen Wortspielen in dem Roman Caramelo (2002) der Mexikanerin-Amerikanerin Sandra Cisneros. Cisneros verwendet oft Spanisch in ihren Werken, entweder für bestimmte stilistische Effekte oder weil der englische Ausdruck nicht genau das trifft, was sie meint.

Mit ihrem Beitrag zu ungenauer Sprache (‘vague language’) schließt Denise Gassner an ihre inzwischen abgeschlossene Dissertation über ‘The thing about thing’ an. In simulierten Vorstellungsgesprächen wurden Australiern mit Englisch als Muttersprache (L1) und in Australien wohnende Personen mit Englisch als Zweit- bzw. Fremdsprache (L2) bestimmte Fragen gestellt. Ein Ergebnis der Analyse ist beispielsweise, dass die L1-Sprecher deutlich häufiger die Gradadverbien ‘quite’ und ‘sort of’ verwenden, während die L2-Sprecher dagegen ‘almost’ und ‘rather’ den Vorzug geben. Ähnlich wie andere Artikel vorher argumentiert die Autorin mit unterschiedlichen kulturellen Skripten.

Defizite bei der Kommunikation innerhalb und außerhalb der Organe der europäischen Union sind Thema des Artikels von Michaɫ Krzyżanowski. Der Autor gibt einen Überblick über Geschichte und Struktur der EU und macht einige Vorschläge, wie die EU mehr Bürgernähe herstellen könnte.

Die beiden letzten Artikel befassen sich mit englischen Diskursen des 17. Jh. Joanna Kopaczyk interessiert sich für ein Glossar von Fachbegriffen der schottischen Rechtssprache, das vermutlich damals für die “ausländischen” englischen Rechtsexperten verfasst wurde. Interessant ist, dass fast 50 Prozent der knapp 200 Wörter nicht direkt etwas mit dem Recht zu tun haben, sondern schottische Regionalismen sind. Barbara Kryk-Kastovsky untersucht das Gerichtsprozessprotokoll der Anklage gegen König Charles I wegen Hochverrats. Die Analyse zeigt, dass die beharrliche Weigerung des Königs, das Gericht als rechtmäßig anzuerkennen, fatale Folgen hatte – er wurde enthauptet.

Der Band wirft ein schönes Schlaglicht auf aktuelle Forschungsprojekte im Bereich der interkulturellen Kommunikation.

Links:

Über das BuchBarbara Kryk-Kastovsky (Hrsg): Intercultural Miscommunication Past and Present. Reihe: Warsaw Studies in English Language and Literature, Band 9. Frankfurt a.M. [Peter Lang] 2012, 262 Seiten, 54,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseBarbara Kryk-Kastovsky (Hrsg): Intercultural Miscommunication Past and Present. von Fischer, Roswitha in rezensionen:kommunikation:medien, 24. Mai 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16489
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