Wissenschaftler und Medien

Sammelrezension
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Rezensiert von Beatrice Dernbach

prominente-WissenschaftlerSammelrezension
Die Beziehung zwischen Wissenschaftlern und Medien steht seit Jahren auf der Aufmerksamkeitsagenda der Forschung; seit einiger Zeit liegt dieses Thema stärker im Fokus kommunikationswissenschaftlicher Studien und Publikationen. Warum – so die generalisierte Kernfrage – lassen sich ForscherInnen und JournalistInnen auf dieses bisweilen immer noch schwierige Miteinander ein? Katharina Fuhrin und Daniel Nölleke nähern sich aus den beiden möglichen, unterschiedlichen Perspektiven: Die freie Journalistin, an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu diesem Thema promoviert, fragt im wahrsten Sinne des Wortes 21 Wissenschaftler nach ihrer Motivation, in die Medien zu gehen; ihr Kollege, Akademischer Rat an der Universität Münster, untersucht, wie und warum Medien bestimmte Experten aussuchen. Gleichwohl beide Publikationen (als Dissertationen in München bzw. Münster eingereicht) einen Beitrag zur Forschung auf diesem Gebiet leisten, sind sie sowohl in quantitativer (siehe Seitenzahl) als auch in qualitativer Hinsicht sehr unterschiedlich.

Katharina Fuhrins Buch, 2010 begonnen als Magisterarbeit und schließlich zur Dissertation ausgeweitet, ist eine schnell zu lesende Feierabend-Lektüre. Die Autorin stürmt auf knapp 60 Seiten durch die Werturteilsdiskussion (Max Weber u.a.) und den Positivismus-Streit, die Feldtheorie von Bourdieu, die überschaubare Forschung zu Stichworten wie Habitus und Kapital, Reputation und Prominenz, und schließlich stellt sie auch noch die Akteursmodelle von Uwe Schimank vor. Das ist inhaltlich Wissenschaft light – oder wie die Autorin selbst schreibt “der Griff in den soziologischen Werkzeugkasten” (56) – und sprachlich ein Hin und Her zwischen den Stilebenen. Entweder Fuhrin zitiert sehr ausführlich aus wissenschaftlicher Literatur, kommentiert diese und/oder formuliert freihändig sehr salopp und lapidar, wie beispielsweise auf Seite 15: “Insgesamt ist die sich entwickelnde moderne Gesellschaft geprägt durch ihre Zersplitterung in diverse Teilsysteme, zu denen beispielsweise Wirtschaft, Kunst, Justiz und Sport gehören”, oder: “Für den Wissenschaftler gibt es grundsätzlich unterschiedliche Möglichkeiten, in öffentlichen Diskussionen mitzuwirken. Einige meiner Befragten werfen immer mal wieder Informationsbröckchen in die Menge” (55).

Dieser erste theoretische Teil hinterlässt den Leser etwas ratlos: Weshalb erwähnt die Autorin all diese wissenschaftlichen Stichworte? Welchen Erkenntnisgewinn zieht sie für ihre Arbeit daraus? Dieser Kreis schließt sich auch am Ende, nach der empirischen Ergebnisdarstellung, nicht ganz. Einigermaßen deutlich wird nur, dass Fuhrin ihre 21 befragten Wissenschaftler (darunter nur eine Frau) nach dem Akteursmodell von Schimank typologisiert. Dabei heraus kommen (emotionale) Aufklärer, Imagepfleger, Werber, Pragmatiker und Meinungsmacher. Als wesentliche Einflussfaktoren identifiziert die Autorin die akademische Sozialisation, ökonomisches und wissenschaftliches Kapital, Erfahrungen mit Journalisten, Abhängigkeiten, Fachbereich und Fachautonomie.

Bemerkenswert ist, wie oberflächlich und unsensibel die Wissenschaftlerin und Journalistin bei der Beschreibung und Auswertung der Interviews bisweilen vorgeht; dabei müsste sie doch selbst durch Aussagen ihrer Interviewpartner im höchsten Maße sensibilisiert sein. So sagt beispielsweise der Leiter des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, Peter Weibel: “Journalisten sind wahnsinnig schlampig, Sie machen ihr Handwerk nicht gut, und davor habe ich regelrecht Angst” (144). Vor diesem Hintergrund ist die Dar- und stellenweise Bloßstellung der angefragten Wissenschaftler, die begründet oder nicht ein Interview abgesagt hatten, unangemessen, die Beschreibung der Situationen, in denen die Interviews stattgefunden haben (76ff.), geradezu peinlich. Julia Fischer, Professorin für Kognitive Ethnologie an der Universität Göttingen, ist kein “Unikum” (93) – weder deshalb, weil sie in der Untersuchung die einzige Frau ist, die Fuhrin befragen konnte, noch deshalb, weil ihr Geschlecht ein Alleinstellungsmerkmal ist. Selbst wenn unbestritten der Anteil von Frauen in der Wissenschaft weit geringer ist als der der Männer, so gibt es doch inzwischen eine wahrnehmbare Anzahl von Forscherinnen, die in den Medien auftreten bzw. von diesen wahrgenommen werden – falls das überhaupt ein Wert an sich ist, was nach der Lektüre des Buches noch zweifelhafter ist.

Experten-JournalismusSammelrezension
Nicht jeder Wissenschaftler gewinnt medialen Expertenstatus und nicht jeder in Medien vorkommende Experte hat einen wissenschaftlichen Hintergrund. Daniel Nölleke geht es in seiner Arbeit nicht darum, zu bewerten, ob Journalisten die richtigen oder die falschen Experten auswählen und ob es generell gut oder schlecht ist, auf Fachleute zurückzugreifen. Der Kommunikationswissenschaftler will herausfinden, aufgrund welcher Kriterien Journalisten ihre Informationsquellen mit Expertise aussuchen. Um das Ergebnis gleich vorweg zu nehmen: Experten existieren nicht per se, sondern Menschen werden je nach Ereignis von Journalisten zu Experten gemacht; sie werden nicht nur aufgrund ihres akademischen und praktischen Wissens in den journalistischen Prozess einbezogen, sondern weil sie strukturelle (mit Blick auf die Dramaturgie, als Stilmittel) und konkrete (ihr Fachwissen) Funktionen erfüllen.

Daniel Nölleke baut seine Untersuchung auf zwei zentralen Theorie-Säulen auf: auf der Idee der Wissensgesellschaft nach Peter Weingart und Nico Stehr, in der sich Wissen immer stärker spezialisiert, und auf dem Verständnis von Journalismus als soziales System mit eigenen Programmen, Strukturen und Routinen (Bernd Blöbaum). Aufgrund der hohen gesamtgesellschaftlichen Außenkomplexität müssen die gesellschaftlichen Subsysteme ihre Binnenkomplexität erhöhen, um erstere zu reduzieren. Will also Journalismus aktuelle Ereignisse in Politik, Wirtschaft, Justiz etc. verstehen, einordnen und vermitteln – um damit seine gesellschaftliche Kernfunktion zu erfüllen –, nutzt er Quellen aus den gesellschaftlichen Teilsystemen, in denen die Ereignisse stattgefunden haben bzw. stattfinden, also den Politikexperten, um politische, den Ökonomen um wirtschaftliche Prozesse zu erklären. Nicht selten rekrutiert Journalismus die Experten im Wissenschaftssystem.

Der Autor hat trotz intensiver Recherche keine Vorbild-Studie gefunden, auf die er zurückgreifen konnte. Nicht zuletzt deshalb sind seine theoretische und seine empirisch-methodische Leistung beeindruckend. Nach 200 Seiten theoretischer Ein- und Hinführung beginnt das siebte Kapitel mit den Forschungsfragen und dem Untersuchungsdesign. Nölleke fragt unter anderem nach der Relevanz der Experten für und im Journalismus, danach, wer als Experte aus journalistischer Perspektive gilt, wie Journalisten Experten recherchieren, sie auswählen, ihnen begegnen und sie in journalistischen Formaten darstellen; die zentrale siebte Frage lautet: Welche Funktionen erfüllen Experten für Journalismus?

Der Autor führt Leitfadengespräche mit sieben Redakteuren von tagesaktuellen Massenmedien, darunter drei Print- und drei Fernsehjournalisten sowie ein Online-Redakteur. Zusätzlich zu diesen Experteninterviews analysiert Nölleke in den sieben Medienangeboten bzw. deren Nachrichtenformaten das Auftreten von Experten, d.h. konkret deren Relevanz in der Berichterstattung, Kontext und Charakteristika ihres Einsatzes, Merkmale der jeweiligen Experten, deren Interaktion mit den Journalisten sowie deren Funktionen innerhalb der einzelnen Beiträge.

Es zeigt sich deutlich, dass das Expertenverständnis im Journalismus “über die klassisch als Experten verstandenen Wissenschaftler” hinausreicht (239), bis hin zu Menschen, die ein exklusives Hobby oder bestimmte Erfahrungen in besonderen Lebenssituationen gemacht haben. Den Trend zu einer “Expertisierung im Journalismus” (242) kann Nölleke allerdings nicht ohne weiteres und pauschal bestätigen. Er sieht Unterschiede der Akquirierung je nach Ressort: Ratgeber-, Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalismus greifen stärker auf Fachleute zurück als Sport-, Kultur- und Politikjournalismus (vgl. 249).

Aus Daniel Nöllekes Liste der Experten mit den häufigsten Medienauftritten (vgl. 299) findet sich übrigens nur einer der von Katharina Fuhrin befragten Wissenschaftler wieder: Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. Er ist aber ohnehin der einzige Wissenschaftler unter den 15 meistgenannten; angeführt wird das Ranking von der RTL-Society-Expertin Vanessa Blumhagen.

Das Fazit des Münsteraner Forschers lautet: Journalisten schätzen ihren Bedarf nach Experten als hoch ein; der Bedarf ist themen- und ressortabhängig; “Experten werden aus quasi jedem denkbaren gesellschaftlichen Bereich rekrutiert” (347); den größten Teil der eingesetzten Experten stellen Wirtschaftsakteure, gefolgt von Wissenschaftlern, Journalisten und Ärzten; Expertise beschränkt sich demnach nicht nur auf akademisches, sondern auch auf praktisches Wissen; “Experten sind zu mehr als drei Vierteln männlich, kommen in der Regel aus Deutschland und sind nicht prominent” (ebd.). Alles in allem: “Demnach existiert Expertentum nicht per se, sondern ist Ergebnis eines Konstruktionsprozesses. (…) Demnach ist es stets der Laie, der einen Akteur durch Konsultation zum Experten macht” (363f.).

Dieses Ergebnis mag die Wissenschaftler freuen, die sowohl in den Medien auftreten als auch in der wissenschaftlichen Literatur über das Verhältnis von Medien und Wissenschaftlern genannt werden. Alle anderen seien getröstet: Selbst die Kommunikationswissenschaftler, die theoretisch wissen könnten, wie man die Aufmerksamkeit der Medien erzeugt, kommen nur selten bzw. nicht häufiger als andere darin vor.

Links:

Über das BuchKatharina Fuhrin: Der prominente Wissenschaftler. Motive für mediale Präsenz. Wiesbaden [Springer VS] 2013, 196 Seiten, 34,99 Euro.

Daniel Nölleke: Experten im Journalismus. Systemtheoretischer Entwurf und empirische Bestandsaufnahme. Baden-Baden [Nomos] 2013, 399 Seiten, 64,- Euro.Empfohlene ZitierweiseWissenschaftler und Medien. von Dernbach, Beatrice in rezensionen:kommunikation:medien, 17. März 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16136
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