Jo Groebel: Das neue Fernsehen

Einzelrezension
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Rezensiert von Christopher Buschow

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Fernsehen ist weiterhin unter den beliebtesten Freizeitaktivitäten der Deutschen: Mehr als 220 Minuten wird nach aktueller Erhebung der GfK täglich ferngesehen. Auch die zunehmend bedeutsameren Onlinemedien konnten die Rolle des Leitmediums bislang nicht übernehmen. Doch der heutige Medienwandel geht an der bald 100-jährigen ‘Flimmerkiste’ nicht spurlos vorbei. Über die facettenreichen Veränderungen des “ehemals einfachen Heimzentrums” (7) hat Jo Groebel den Band Das neue Fernsehen. Mediennutzung – Typologie – Verhalten geschrieben. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den neuen Wechselbeziehungen zwischen TV und Internet.

Als einer der ersten Autoren ruft Groebel ein Themenfeld auf, dessen Erschließung von großer Relevanz sowohl für Wissenschaft als auch Praxis ist. Er betrachtet das ‘neue Fernsehen’ nicht so sehr von seinen (oft begeisternden) technologischen Möglichkeiten aus, sondern rückt die Nutzerinnen und Nutzer in das Zentrum der Untersuchung (vgl. 10). In der Tat sind sie die maßgeblichen Treiber des Wandels, da sie ihre Fernsehnutzung in Zukunft – so wird nahegelegt – immer aktiver und vernetzter gestalten, etwa mittels fernsehbegleitender Online-Kommunikation über das Gesehene (‘Social TV’, vgl. Buschow/Schneider/Carstensen/Heuer/Schoft 2013).

Der Band ist in eine Gegenstandsbeschreibung und eine empirische Studie gegliedert. Im ersten Teil widmet sich Groebel nach einem kursorischen Überblick der historischen Entwicklung des Fernsehens kapitelweise veränderten Technologien, Formaten, Marktstrukturen und Nutzerverhalten. Hier wird viel (Detail-)Wissen zusammengetragen und systematisiert. Die Zusammenstellung aktueller Statistiken und die Beschreibung des Status quo bis Ende 2013 sind verdienstvoll. Dabei wird an manchen Stellen auch ein Vorausblick gewagt. Im zweiten Teil werden Erkenntnisse einer Repräsentativbefragung Deutscher mit TV-Anschluss ab 14 Jahren gezeigt, die Groebel im Herbst 2011 durch TNS Infratest und finanziert von Sky Deutschland hat durchführen lassen. Dass die Untersuchung von dem Pay-TV-Sender bezahlt wurde, kann der interessierte Leser nicht überlesen: Groebel wird nicht müde, Sky als “führende[s] Pay-TV-Unternehmen in Deutschland” (19) vorzustellen und dessen “Innovationsorientierung” (7) zu preisen – es handelt sich um eine “Sky Studie” (176), wie er selber anmerkt. Zentrales Ergebnis ist eine Nutzertypologie, die die deutsche Zuschauerschaft in fünf Typen differenziert: Techniknahe, Selektivseher, TV-Ferne, kritisch Sehende und Vielseher. Die neue, interaktive TV-Landschaft werde vor allem von Techniknahen und Selektivsehern geprägt. Diese bezeichnet Groebel als “Rocking Recipients” (183f.), die flexibel zwischen Fernsehen und Online-Medien wechseln, gleich eines Pendels, das zwischen ‘lean back’ und ‘move forward’ schwingt.

Auch wenn der Band nur einen Schnappschuss präsentiert und – aufgrund der rapiden Transformationsgeschwindigkeit – schon in wenigen Jahren nicht mehr das ‘neue Fernsehen’ beschreiben wird: Es werden wichtige Erkenntnisse zur heutigen Fernsehnutzung in Deutschland zusammengetragen, die in dieser Detailtiefe bisher nicht vorlagen. Die insgesamt 92 Abbildungen, an denen sich der Autor entlang orientiert, können aber den Eindruck erwecken, hier wurden kommentierte Power-Point-Folien gedruckt. Trotz dieser Detailfülle bleiben Fragen offen. Sowohl in der Literaturarbeit als auch in der Operationalisierung wären mehr Transparenz angezeigt gewesen: Manche Beobachtungen werden nicht mit Quellen belegt (vgl. 63, 96), die Genese des Fragebogens und die Frageformulierungen hätten besser dokumentiert werden können (vgl. 73), Abbildungen sind teilweise unklar beschriftet (vgl. exempl. “Aussagen zum Fernsehen”, 91ff.). Auch werden keine Signifikanztests berichtet, die über die statistische Bedeutsamkeit von Unterschieden informieren. Insgesamt bleibt die Darstellung weitgehend deskriptiv. All das führt dazu, dass die Lektüre dem Leser viel Arbeit abverlangt.

Dennoch: Praktiker gewinnen, wenn sie sich durch die Darstellung arbeiten, Einblicke in neue Nutzungsweisen, die ja dringend eingefordert werden (vgl. König/Benninghoff/Prosch 2013). Wissenschaftler, die den heutigen Möglichkeitsraum des ‘neuen Fernsehens’ gebündelt erschließen möchten, sind bei Groebel ebenfalls richtig. Der Autor betreibt seine Studie jedoch nicht hypothesentestend. Ihm geht es vielmehr darum, den Entdeckungszusammenhang zu exponieren, aus welchem die Forschung Theorie konstruiert und ihre Hypothesen bezieht. Anregungen für eine solche Folgeforschung bietet der Band zur Genüge.

Literatur:

  • Buschow, C.; B. Schneider; L. Carstensen; M. Heuer; A. Schoft: Social TV in Deutschland – Rettet soziale Interaktion das lineare Fernsehen? In: MedienWirtschaft, 1, 2013, S. 24-32. Preprint hier verfügbar.
  • König, K.; A. Benninghoff; M. Prosch: Social TV als Chance für neue Geschäftsmodelle mit ePace am Beispiel von ProSiebenSat.1. In: Heinemann, G.; K. Haug; M. Gehrckens (Hrsg.): Digitalisierung des Handels mit ePace. Wiesbaden [Springer Fachmedien] 2013, S. 201-212.

Links:

Über das BuchJo Groebel: Das neue Fernsehen. Mediennutzung – Typologie – Verhalten. Wiesbaden [Springer VS] 2014, 188 Seiten, 29,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseJo Groebel: Das neue Fernsehen. von Buschow, Christopher in rezensionen:kommunikation:medien, 7. März 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16109
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