Christian Papsdorf: Wie Surfen zu Arbeit wird

Einzelrezension
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Rezensiert von Christian Pentzold

Einzelrezension
Will man sich einen Überblick über die internetbasierten Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden machen, so trifft man auf eine Reihe von Ausdrücken wie etwa “mass collaboration”, “open innovation” oder “mass customization”, deren konzeptionelle Tragfähigkeit und empirische Relevanz zunächst fraglich ist. Eine diesbezügliche Klärung verspricht die 2009 veröffentlichte Diplomarbeit von Christian Papsdorf. Der Fokus des Buches liegt dabei auf dem Phänomen des Crowdsourcing. Die Arbeit gliedert sich im Groben in zwei Teile entsprechend der beiden verfolgten Fragestellungen. Der erste Teil hat zum Ziel, eine Definition von Crowdsourcing zu entwickeln (Kap. 2) und es dementsprechend theoretisch zu verorten (Kap. 3). Hierzu unternimmt der Autor zuerst eine qualitativ-explorative Untersuchung von exemplarischen Fällen, welche anschließend zu fünf Modi kategorisiert werden.

Daraus leitet Papsdorf eine Definition des Phänomens ab. Er bestimmt es als “Strategie des Auslagerns einer üblicherweise entgeltlich erbrachten Leistung durch eine Organisation oder Privatperson mittels eines offenen Aufrufs an eine Masse von unbekannten Akteuren”, wobei die Organisationen bzw. Privatpersonen und/oder die User stets “frei verwertbare und direkte wirtschaftliche Vorteile” (69) erlangen sollen.

Vorteil einer solchen Definition ist zum einen, durch die Betonung der kommerziellen Verfasstheit der Externalisierung von Leistungen das Crowdsourcing von anderen Formen netzbasierter Kooperation abzugrenzen, welche nicht auf die Erringung eines ökonomischen Vorteils fokussieren. Zum anderen beschränkt die Definition das Phänomen nicht auf den Online-Bereich, sondern sieht auch andere Wege der Ansprache und Auslagerung. Darüber hinaus umgeht die Definition eine einseitige Verengung auf gewinnorientierte Interessen von Wirtschaftsunternehmen, welche durch Auslagerung von Tätigkeiten ihre Kosten reduzieren und Erträge steigern wollen. Dagegen vermeidet diese Begriffsbestimmung ein zu enges Verständnis des Phänomens als Ausbeutung, sondern hält die Möglichkeit offen, dass auch die freiwillig teilnehmenden User wirtschaftliche Interessen verfolgen.

Ebenfalls plausibel ist Papsdorfs Typologisierung verschiedener Ausprägungen des Crowdsourcing. So unterscheidet er den Modus des offenen Ideenwettbewerbs, ergebnisorientierte virtuelle Microjobs, userdesignbasierte Massenfertigung, userbetriebene Ideenplattformen und die indirekte Vernutzung von Usercontent.

Die Wahl einer an Oevermanns objektiven Hermeneutik angelegten Exploration und Kategorisierung ist vor dem Hintergrund des zunächst unklaren Phänomenbereichs überzeugend, doch hätte das methodische Vorgehen hierbei weiter ausgeführt werden können. So ist nicht klar, ob die fünf detailliert vorgestellten und den fünf Typen entsprechenden Fälle (Dell Idea Storm, InnoCentive, Spreadshirt, Crowdspirit, BILD Leserreporter) den Ausgangspunkt für die Interpretation bildeten, oder nur als besonders exponierte Beispiele zu Darstellungszwecken ausgewählt wurden. Auch hätte man gern mehr über die 40 Crowdsourcing-Beispiele erfahren, auf welchen die Analyse beruht. Hier belässt es die Arbeit bei dem Hinweis, dass auf Grundlage einer ausführlichen Webrecherche eine Vielzahl an Fällen identifiziert und über das Vorgehen der minimalen/maximalen Variation einbezogen wurden.

Im sich an die Definition anschließenden Teil verortet Papsdorf das Crowdsourcing zunächst gesellschaftstheoretisch hinsichtlich des Wandels von der Industrie- zur Informationsgesellschaft und der von Castells postulierten netzwerkartigen Produktionsprozesses. Besonders aufschlussreich sind überdies die von ihm vorgestellten komplementären Interpretationen des Crowdsourcing aus Sicht der Unternehmen und der User. Papsdorf kann hier zeigen, dass das Phänomen, konzentriert man sich auf die Initiatoren, als Spielart einer systemischen Rationalisierungsstrategie gedeutet werden kann. Hinsichtlich der User nutzt Papsdorf die These des “Arbeitenden Kunden”, wonach konsumtive Tätigkeiten zunehmend gebrauchswertschaffend sind. Plausibel kann Papsdorf hier aus der von ihm gelieferten Definition eine Erweiterung des Modells herleiten: Im Crowdsourcing sind Nutzer nicht nur arbeitende Kunden, welche durch ihre Produktionsleistung Kostenersparnisse für Unternehmen erbringen, sondern die Beziehung zwischen Unternehmen oder Organisationen und Usern wird zum Teil völlig vom konkreten Konsumakt entkoppelt. Gerade indem User nicht Kunden sein müssen, entfaltet Crowdsourcing sein Potential, die arbeitsinhaltliche Dimension zu expandieren.

Der zweite Teil der Arbeit hat das Ziel, die Motivation der arbeitenden User zu klären (Kap. 4). Anders als diese Frage überlicherweise angegangen wird, greift Papsdorf hier nicht auf eine Befragung zurück. Stattdessen nimmt er an, die Tätigkeit erfolge vor einem Horizont geteilter Werte und Normen. Die in der Selbstdarstellungen von Crowdsourcing-Projekten häufig angesprochenen Ideale Autonomie, Kreativität und Selbstverwirklichung interpretiert er im Sinne von Boltanski/Chiapellos neuen Geist des Kapitalismus als rhetorisches Instrument, um zum freiwilligen Engagement in einer häufig gewinnorientierten Unternehmung zu motivieren. Kann man dies noch anhand der von ihm gelieferten Beispiele nachvollziehen, so ist die von ihm weiterhin gemachte Verknüpfung mit einer spezifischen Kultur des Internets nicht einsichtig. Zwar geht er auf verschiedene Kontexte der Entstehung von Idealen wie Offenheit, Freiheit und Antikommerzialität ein, doch gerät er damit in Widerspruch zur von ihm vorlegten Definition des Crowdsourcings als stets auf ökonomischen Vorteil ausgerichtet. Die Arbeit löst das Problem, indem sie behauptet, die Initiatoren würden die Werte womöglich nicht selbst praktizieren, sondern mimikrieren, um User anzusprechen.

Auf diesem Weg aber wird die in der Definition geöffnete Perspektive hin zu Usern als ebenfalls gewinnorientiert Handelnde jedoch wiederum verkürzt auf die Dichotomie zwischen kapitalistischen Unternehmen und idealistischen Freiwilligen, denen der ökonomische Charakter umdefiniert oder verschleiert werden muss. Zwar verweist Papsdorf auf die Möglichkeit der Bezahlung von Userarbeit, doch scheint die Konstrastierung mit der Free/Open Source Szene als zu stark. Gerade die Komplexität der Produktion freier Software, welche nicht nur antikapitalistisch erfolgt, zeigt auf, dass netzbasiertes Zusammenwirken nicht auf einem homogenen Wertefundament basiert.

Ingesamt gesehen ist die Arbeit trotz dieser offenen Fragen als wichtige und konstruktive Bestimmung des Feldes zu empfehlen. Ihr zentraler Wert liegt in der Systematisierung und soziologischen Einordnung des Phänomens Crowdsourcing.

Links:

Über das BuchChristian Papsdorf: Wie Surfen zu Arbeit wird. Crowdsourcing im Web 2.0. Mit einer Einleitung von Günter G. Voß. Frankfurt am Main, New York [Campus Verlag] 2009, 201 Seiten, 24,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseChristian Papsdorf: Wie Surfen zu Arbeit wird. von Pentzold, Christian in rezensionen:kommunikation:medien, 21. Februar 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/1539
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