Rudolf Speth (Hrsg.): Grassroots-Campaigning

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Rezensiert von Ralf Spiller

Grassroots-Campaigning_onlineEinzelrezension
Es gibt viele Beispiele, wie einzelne Personen und zunächst kleine Gruppen, die nur lose organisiert sind, erheblichen Einfluss auf politische Prozesse genommen haben. Bekannte Fälle sind die Proteste um den Neubau des Stuttgarter Bahnhofs oder die Demonstrationen gegen Fluglärm in Frankfurt. Rudolf Speth hat sich diesem Phänomen unter dem Schlagwort ‘Grassroots-Campaigning’ angenommen und als Herausgeber 15 Beiträge zum Thema zusammengestellt. Dabei versteht er unter dem Begriff ‘Grassroots-Campaigning’ eine Form der Mobilisierung der Basis, der Betroffenen sowie der Bürgerinnen und Bürger mithilfe zentralisierter strategischer Kommunikation (vgl. 8). In seinem Buch möchte er Einsatzmöglichkeiten und Grenzen dieser Kommunikationsform ergründen (vgl. 21).

Graswurzelbewegungen sind nicht neu. Soziale Bewegungen für mehr Arbeiter- und Frauenrechte gab es bereits im 19. und 20. Jahrhundert. Neue soziale Bewegungen haben Ende des 20. Jahrhunderts Themen wie Frieden, Ökologie und Menschenrechte auf die politische Agenda gebracht. Neu ist laut Speth jedoch, dass das Campaigning zunehmend über internetbasierte Strukturen wie Online-Petitionen und Soziale Netzwerke abläuft (vgl. 14). Entsprechend befasst sich ein Großteil der Beiträge mit Kampagnenführung im Netz.

Nach einer Einleitung von Rudolf Speth zeichnet Bernhard Weßels zunächst nach, wie sehr klassische politische Interessenorganisationen, also zum Beispiel Parteien, in den letzten 20 Jahren an Mitgliedern verloren haben. Speth zeigt dann in einem Beitrag auf, dass bisher nur jüngere Verbände, die Individuen als Mitglieder haben, das Instrument des ‘Grassroots-Campaigning’ nutzen. Für viele klassische Verbände stehe hingegen die Mobilisierung ihrer Basis nicht im Vordergrund der Aktivitäten (vgl. 47). Marco Althaus untersucht dann das Verhältnis von Unternehmen zu ‘Grassroots-Lobbying’ und stellt fest, dass die meisten Betriebe damit sehr zurückhaltend umgehen und noch eine eher experimentelle Praxis herrsche (vgl. 73).

Samuel Greef erläutert anschließend das Konzept des ‘Organizing’, das auf einer stärkeren Partizipation von Mitgliedern beruht und bei einigen US-amerikanischen Gewerkschaften gut zu funktionieren scheint (vgl. 96ff). Es folgen drei Aufsätze, die sich in Form von ‘Case studies’ mit den Präsidentschaftswahlen 2008 in den USA und den Bundestagswahlen 2009 in Deutschland widmen. Margit Baake beschreibt detailreich, wie es Barack Obama gelang, durch Social Networks und Online-Medien eine extrem breite Basis von Unterstützern aufzubauen, die ihn ideell und finanziell unterstützten. Stefan Hennewig erläutert die ‘Grassroots-Komponente’ im Wahlkampf der CDU und betont dabei die Teilhabemöglichkeiten der Parteimitglieder (vgl. 163). Robert Heinrich erläutert in einem Beitrag, wie die Partei der Grünen ihre Mitglieder und zahlreiche Freiwillige für den Wahlkampf 2009 mobilisierte.

Es folgt ein tiefgehender Aufsatz von Kathrin Voss über ‘Grassroots-Campaigning’ im Internet. Darin beschreibt sie, wie Onlineaktivitäten häufig von Offlineaktivitäten flankiert werden und dass auch ‘Bottom-up-Onlinekampagnen’ in der Regel auf Massenmedien angewiesen sind, wenn sie starke virale Effekte erzielen wollen (vgl. 196).

Es folgt eine Analyse von Graswurzelkommunikation von Anna Irmisch aus soziologischer Perspektive, gefolgt von einem weiteren Beitrag von Kathrin Voss, die Hybridorganisationen beschreibt, die Graswurzelcampaigning ermöglichen. Beispiele sind MoveOn (USA), GetUp (Australien), 38degrees (UK), Avaaz (internationale Ausrichtung) und Campact (Deutschland), deren Kernelement interaktive Online-Plattformen sind. Über sie können Online-Petitionen und E-Mail-Kampagnen mit geringem Aufwand betrieben werden. Im Gegensatz zu klassischen NGOs bearbeiten diese Organisationen eine Vielzahl von aktuellen Themen und haben in der Regel keinen klassischen Mitgliederstamm.

In den drei letzten Beiträgen beleuchtet Ralf T. Kreutzer Konzepte und Instrumente des Dialogmarketings, Caroline d’Essen eine Grassroots-Kampagne gegen Korruption von Politikern in Brasilien und Christian Fuchs nimmt sich das Phänomen des Astroturfing vor, also der Versuch, eine Grassrootsbewegung vorzutäuschen.

Kritisch ist anzumerken, dass die einzelnen Beiträge hätten besser geordnet werden sollen. So hätte es sich angeboten, die eher theoretischen Beiträge wie jener von Jochen Rose, der verschiedene Theoriestränge im Zusammenhang mit sozialen Bewegungen nachzeichnet, im Buch vorne zu platzieren und die als Cases angelegten Aufsätze einem weiteren, zweiten Kapitel zuzuordnen.

Von der inhaltlichen Tiefe decken die Beiträge eine große Varianz ab. Es gibt einige theoretisch orientierte, sehr fundierte Artikel und andere, die sehr stark auf der persönlichen Erfahrung der Autoren beruhen. Dies hätte bereits in Einleitung und Gliederung deutlich gemacht werden sollen.

Der Beitrag zum Dialog-Marketing wirkt deplatziert in dem Band, denn obwohl das Thema natürlich Bezüge zu ‘Grassroots-Campaigning’ hat, werden die Bezüge kaum hergestellt.

Insgesamt hat der Herausgeber ein Thema aufgegriffen, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Denn die Zahl der Grassroots-Kampagnen hat sich in den letzten Jahren vervielfacht und auch traditionelle Akteure bauen zunehmend Grassrootselemente in ihre Kampagnen ein. Es ist sein Verdienst, das Thema mit Hilfe verschiedener Blickwinkel weiter ausgeleuchtet und anhand mehrerer Fälle illustriert zu haben.

Links:

Über das BuchRudolf Speth (Hrsg.): Grassroots-Campaigning. Wiesbaden [Springer VS] 2013, 281 Seiten, 24,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseRudolf Speth (Hrsg.): Grassroots-Campaigning. von Spiller, Ralf in rezensionen:kommunikation:medien, 26. Oktober 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/14614
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