Stephan Günzel: Egoshooter

Einzelrezension
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Rezensiert von Stefan Höltgen

Egoshooter_onlineEinzelrezension
Die akademische Beschäftigung mit Computerspielen existiert seit etwa zwei Jahrzehnten und ist aus der Frage hervorgegangen, mit welcher Art Medieninhalt wir es eigentlich zu tun haben, wenn wir mit dem Computer spielen. Zwei oft zitierte Positionen sehen das Computerspiel entweder als eine Art interaktiver Film oder Literatur, das daher mit ‘narratologischen’ Methoden untersucht werden kann, oder betonen den ‘ludologischen’ Aspekt der Interaktivität – zeitweise unter Marginalisierung des narrativen Charakters von Computerspielen.

Kaum untersucht, so stellt Stephan Günzel in seiner im Campus-Verlag erschienen Habilitationsschrift fest, ist hingegen ein zentrales ästhetisches Merkmal des Computerspiels: seine Raumbildlichkeit. Insbesondere ein Spielgenre, das es so nur auf dem Computer geben kann, der Egoshooter, hält hier Ästhetiken bereit, die sich tradierten Analysekriterien sperren. Die Konstruktion von Raumbildern, die errechnete Perspektive und gleichzeitige Interaktion des Spielers mit der Spielszenerie rufen Aspekte kunsttheoretischer Überlegungen (etwa zur Konstruktion von Räumlichkeit seit der Renaissance) auf und kombinieren sie im Computer mit mathematisch-algorithmischen Verfahren der Erzeugung ‘virtueller Realität’.

Günzel setzt dieses Spezifikum von Computerspielen, das sich seit 1973 zunächst vereinzelt, dann im Zeitalter der 16- und 32-Bit-Computer mehr und mehr mediendefinierend zeigt, in das Zentrum seiner systematischen Betrachtung. Sein Buch untersucht dies nun in drei Schritten (Großkapiteln): Nachdem im ersten Teil eine grundsätzliche Verortung des Bildtypus, der Computerspielen eigen ist, vorgenommen, diese historisch hergeleitet und in Abgrenzung zu Untersuchungen der bisherigen Game Studies definiert wird, widmet sich der zweite Teil der Frage, ob mit der Perspektivität des ‘Egoshooters’ lediglich das Dispositiv der Renaissance- und mehr noch der Barock-Malerei wieder aufgegriffen werden soll. Im dritten Teil schließlich wird die Frage nach der Spezifik von interaktivierten Computerspiel-Räumen gestellt, unter besonderer Berücksichtigung verschiedener Raum-Visualisierungen (etwa durch Karten, Leitsysteme, Steuerungslogiken, etc.), die sich im Laufe der Jahre in den optischen Spiel-Interfaces gebildet haben.

Aus Günzels Ansatz ergeben sich überaus einleuchtende Detailergebnisse – die Erweiterung der Pias‘schen Perspektive (dass das Computerspiel lediglich Proto-Technologien aufgreife und ‘kybernetisiere’): ‘Egoshooter’ sind etwas genuin Medientypisches! Oder eine kritische Diskussion der fortwährend geführten Medien-Gewalt-Debatten: Nach Günzel ist es eben nicht die virtuelle Waffe, die im ‘Egoshooter’ schießt, sondern der gelenkte Blick, der, den Raum blickzentrierend, geworfen wird.

Und dennoch umkreist die Studie einen Aspekt des Computerspiels, den sie eigentlich die ganze Zeit unausgesprochen meint: dass nämlich Computerspiele Software sind und deshalb der von ihnen konstruierte Raum noch viel weniger bloß ästhetisches Bild (in kunsthistorischer Sicht) ist als vielmehr algorithmisches Diagramm (im Sinne Peirces). Damit darf eine Kritik an narratologischer Computerspielforschung auch ihr Blindsein für den Sourcecode der Spielsoftware nicht aussparen, weil in ihm nicht nur das Symbolische des Computerspiels zuallererst und noch vor dessen Ikonischem erscheint, sondern in ihm auch eine Hodologie des Programm- (und damit Spiel-)Ablaufs festzumachen wäre.

An diesen Kritikpunkt schließt sich auch die Frage an, ob eine Definition von Computerspiel, wie sie Günzel im ersten Kapitel (in besagter Abgrenzung zu Narratologie und Ludologie) vornimmt, in dieser Schärfe vorgenommen werden kann. Das Computerspiel sei allem voran ‘sichtbar’ und daher (im Unterschied zu Pias’ Definition) eben doch primär ‘Videospiel’ – vor allem daraus leiten sich Günzel zufolge seine übrigen Eigenschaften ab. Neben der Tatsache, dass es – rein von der Schnittstelle her betrachtet – auch unsichtbare Spiele gibt (etwa rein akustische), ist das Computerspiel als operativer Code nicht sichtbar, sondern eben gerade unsichtbar – eine Software (Verschaltungsanweisung), die die universelle zu einer speziellen Turingmaschine (nämlich: Spielmaschine) macht.

Erst wenn man die Oberfläche (also die grafische oder sonstwie gestaltete Schnittstelle) verlässt und zur ‘Unterfläche’ (Frieder Nake) durchdringt, gelangt man zu den das Computerspiel definierenden Eigenschaften. Man kann diese Ebene natürlich ausblenden, weil sie ja für den Spieler und beim Spielen unsichtbar bleibt, vergibt dann jedoch die Möglichkeit einer streng medientypischen (Computer-)Analyse und Definition.

Dennoch muss betont werden, dass eine derartig systematische und materialnahe Studie bislang gefehlt hat. Günzels Buch zeigt schon in seinem Layout, dass ihm die Theorie ebenso wichtig ist wie die Spielpraxis. Zahlreiche farbige Screenshots, Karten, Diagramme, Bildreproduktionen verbildlichen seine Argumente – bis hin zum Textfluss, bei dem das Ende eines Absatzes den Blick direkt zum Anfang des nächsten leitet. Das ist nicht bloß Designspielerei, sondern eine Form nicht-diskursiver Plausibilisierung eben jener Fragen, die das Buch zu beantworten versucht.

Links:

Über das BuchStephan Günzel: Egoshooter. Das Raumbild des Computerspiels. Frankfurt a.M. [Campus] 2012, 400 Seiten, 49,- Euro.Empfohlene ZitierweiseStephan Günzel: Egoshooter. von Höltgen, Stefan in rezensionen:kommunikation:medien, 28. Juni 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/13522
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