Gholam Khiabany: Iranian Media

Einzelrezension
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Rezensiert von Christine Horz

Einzelrezension
Die Mediensysteme des globalen Südens sind in den vergangenen Jahren zunehmend in das Sichtfeld kommunikationswissenschaftlicher Forschung gerückt. Gerade die Proteste nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 in der Islamischen Republik Iran (neben den als Arabellion bezeichneten Umwälzungen im Nahen Osten im Jahr 2011) können als ein Auslöser des gestiegenen Interesses an den Mediensystemen und der Mediennutzung in dieser Region gelten. Den medienaffinen Schichten in Iran 2009 war durch Twitter-Nachrichten ein Richtungswechsel des flow of information gelungen, was viele westliche Beobachter auf die Dynamik der Medienkommunikation in einer ‘traditionell’ bezeichneten Gesellschaft aufmerksam gemacht hat.

Der britisch-iranische Kommunikationswissenschaftler Gholam Khiabany greift nun den kommunikationswissenschaftlichen Diskurs um Tradition und Modernisierung am Beispiel der Entwicklung iranischer Medien auf. Seine theoretische Analyse, die auf einer Literaturstudie beruht, unterteilt der Autor in acht Kapitel, die das Inhaltsverzeichnis durch plakative Kapitelüberschriften ausweist. Die theoretische Basis bildet Daniel Lerners These der Transformation des Mittleren Ostens von einer traditionellen in eine moderne (westliche) Gesellschaft und vor allem Hamid Mowlanas Gegenthese, dass die traditionellen (islamischen) Kultur- und Kommunikationsformen erst die Legitimation für ein modernes Kommunikationssystem in Iran liefern.

Khiabany benennt blinde Flecken beider Persepktiven: die Modernisierungsthese hat den Staat als gestaltenden Akteur des Mediensystems übersehen, und das “revival of tradition” (8) habe in der Kommunikationswissenschaft zu einer Kulturalisierung und damit essentialistischen Markierung des Islams (= Tradition) geführt. Die Rede von der Besonderheit asiatischer oder islamischer Kommunikation betrachtet Khiabany kritisch als neoliberale bzw. eurozentrische Taktik, um die eigentlichen Ursachen sozialer Unterschiede –  wirtschaftliche und politische Machtgefälle – zu verschleiern. Der Einwand ist durchaus berechtigt und wurde bereits an anderer Stelle diskutiert (vgl. u.a. Schulze 1997). Allerdings vergisst Khiabany zu erwähnen, dass ‘der Islam’ als Feindbild und Gegenmodell zum Westen in europäischen Öffentlichkeiten durchaus existiert. Anders als von Khiabany können die Kategorien Tradition und Moderne folglich als Verstehenskategorien aufgefasst werden, wobei es darum gehen sollte, zu untersuchen, wie dieses spezifische Verständnis geformt wurde.

Der Autor operationalisiert drei zentrale und miteinander verknüpfte Aspekte im Zusammenhang der iranischen Medien: Religion, Staat und Ökonomie (vgl. 19). Seine These lautet, dass der iranische Staat, als Presse- und Rundfunkmonopolist, von den medientechnologischen Modernisierungen und privat-kommerziellen Medien-Entrepreneurs herausgefordert wird, die Liberalisierung des Mediensektors jedoch aus ökonomischen Gründen selbst weiter vorantreibt. Von diesem Ausgangspunkt wendet sich Khiabany in den ersten beiden theoretischen Kapiteln etwas zu intensiv seinem eigentlichen ‘Gegenspieler’ zu, dem iranischen Kommunikationswissenschaftler Hamid Mowlana. Einen untergeordneter Teilaspekt in Mowlanas theoretischen Überlegungen zur Entwicklungskommunikation, der besonderen Bedeutung traditioneller Kommunikationskanäle auf die Entwicklung moderner Massenmedien im Iran (vgl. Mowlana 1990: 67), hebt er dabei als “umgekehrten Orientalismus” (7) hervor. Die behauptete Eigenständigkeit der islamischen Gesellschaft habe, so Khiabany, eine Analyse iranischer Medien und Kulturindustrie unter Modernisierungsgesichtspunkten bislang verhindert.

Eine allzu knappe historische Einordnung der politischen Machtverteilung in der Islamischen Republik Iran (IR) seit der Islamischen Revolution von 1979 bis heute, rächt sich im Unterkapitel “Modernity Strikes Back”. Einzelne unsystematische Beispiele sollen als Belege für religiöse, kulturelle und ökonomische Modernisierungen in der IR gelten, ohne etwa die (staatlich geförderte) Privatisierung des Mediensektors und den Einfluss der Stiftungen (bonyad-ha) wirklich zu ergründen. Khiabany hält selbst an dem von ihm kritisierten dichotomen Gegensatzpaar Tradition (Islam) – Moderne (säkularer kapitalistischer Staat) fest und schreibt die jüngeren politischen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungen im Iran alleine auf das Konto der Modernisierung, die früher oder später das politische System und den schiitischen Klerus aufbrechen werde.

Richtig ist Khiabanys Feststellung, dass der iranische Medienmarkt hochdynamisch ist, und dass es sich mit der Islamischen Republik um einen Nationalstaat nach eigenem Muster mit entsprechenden Institutionen handelt, der von globalisierten Medienkultur herausgefordert wird. Die Kritik an Mowlanas Modell ist dort berechtigt, wo dieser eine allzu lineare Verbindung zwischen Kultur, Staat und Religion zieht, weil er dadurch eine theoretische Lehrstelle hinterlässt. Denn die dynamische Gleichzeitigkeit von traditioneller Kommunikation und modernen Medien in Iran kann weder mit Mowlanas “alternativem Modell” der islamischen Kommunikationskultur noch mit der Modernisierungstheorie alleine hinreichend erklärt werden.

Khiabany will diesen Widerspruch auflösen und liefert anschließend im dritten Kapitel einige interessante Informationen zum Aufbau des iranischen Pressemarkts (vgl. 74ff). Zunächst stellt er die These in Frage, dass ein freier Markt quasi zwangsläufig zu einer freien Medienlandschaft führt. Denn in Iran hat die staatlich betriebene Liberalisierung des Medienmarktes große Pressekonglomerate unter dem Einfluss staatsnaher Institutionen hervorgebracht, welchen lediglich kleine, teils nicht-kommerzielle Pressebetriebe gegenüber stehen (vgl. 84). Der Staat treibt die Privatisierung des Pressemarktes voran. Dennoch handelt es sich um ein riskantes Geschäft, da sich die iranische Gesellschaft weiter ausdifferenziert und die wohlhabenden Eliten in den Städten andere Informationsbedürfnisse haben als die weniger wohlhabende und ländliche Bevölkerung. Khiabany nimmt dies als Beleg dafür, dass Iran eben keine Ausnahme ist und sich mit anderen kapitalistischen Systemen vergleichen lässt, in welchen das Einkommen über den Medien- und Kulturkonsum entscheidet.

Leider werden nur ökonomische Basisdaten der großen Tageszeitungen Kayhan und Ettela’at, Hamshahri, der Nachrichtenagentur IRNA sowie des Nationalen Rundfunksenders IRIB im Kapitel “Iranian Press” benannt. Zeitschriftentitel fehlen ebenso wie Sportblätter, wissenschaftliche Publikationen, religiöse Publikationen sowie unabhängige (kritische) Kulturzeitschriften. Zudem erfährt der Leser kaum etwas über Inhalt und Ausrichtung der Titel und die Nutzungsmuster der Zeitungsleser, so dass sich das Fehlen empirischer Untersuchungen und Vor-Ort-Recherchen hier als echter Mangel herausstellt.

Erst im vierten Kapitel umreißt Khiabany die Rolle des Staates als Hauptakteur in der historischen Entwicklung der Presse. Khiabany erläutert am Beispiel der iranischen Pressegeschichte plausibel aber zu wenig detailreich, den seit langem bestimmenden Einfluss des Staates auf die Medien im Iran, der von der Modernisierungstheorie missachtet worden war.

Das fünfte Kapitel (Press, State and Civil Society) verweist nochmals auf die Beziehung zwischen Presse und Staat. Das Thema Zivilgesellschaft wird hauptsächlich diskursiv thematisiert, wobei reformorientierte Kräfte eine Liberalisierung des Pressemarktes als konstitutiv für die Entwicklung einer Zivilgesellschaft sehen. Allerdings wird dies auch durch einen weitreichenden Konsens, den der Staat durch seine Dominanz im Mediensektor erreicht hat, verhindert. Khiabany betrachtet die Liberalisierung der Medien als “Allheilmittel” der Modernisierung und Demokratisierung jedoch kritisch, denn die neoliberale Agenda habe auch in anderen Ländern dazu geführt, die Zivilgesellschaft eher zu schwächen als zu stärken.

Im sechsten Abschnitt geht Khiabany auf die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der klassischen Medien und des Internets in der IR ein – ein Thema, das zu Beginn des Buches logisch und wünschenswert gewesen wäre. Für die Darstellung des iranischen Rundfunks wählt Khiabany wiederum eine chronologische Phaseneinteilung. Dies macht die Entwicklung von einem Fernsehen nach US-Vorbild während der Ära Mohammed Reza Schahs bis hin zum heutigen Rundfunk nachvollziehbar, allerdings fehlt ein systematischer Zugang zu Aufsichtsgremien von Radio und Fernsehen, Direktorium, Programmstrukturen, Funktionen und den sehr vielfältigen Inhalten von Rundfunk-Sendungen und nicht zuletzt die Rezipientensicht auf das Angebot.

Im letzten Kapitel vor der Zusammenfassung geht Khiabany auf die Frauenpresse ein, wobei dieser Abschnitt als Unterthema der Presse-Kapitel im Anschluss an den Rundfunk-Abschnitt deplatziert wirkt. Allerdings ist schon alleine die Wahrnehmung der äußerst dynamischen iranischen Frauenpresse ein großer Gewinn. Insbesondere Magazine wie das von 1993 bis 2008 zweimonatlich erscheinende Zanan (Frauen) oder die (Farsi-Englische) halbjährlich erscheinende Farzaneh (Weise, auch: pers. Frauenname) haben den islamischen Feminismus mit der Thematisierung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der individuellen Freiheiten und politischer Partizipation von Frauen über die iranische Gesellschaft hinaus diskursiv anschlussfähig gemacht. Khiabany konstatiert: “What the conditions of the press, and in particular the woman’s press and gender relations tells us, is that ‘Islam’ cannot be tabled as the sole signifier in gender relations or the nature of communication in the country…” Allein: wer hat das je behauptet?

Betrachtet man die Untersuchung als Ganzes, so eröffnet sie erste Entwürfe, wie die Dynamik des iranischen Mediensektors theoretisch umrissen werden kann. Auch bietet sie interessante und neue Einblicke in das Spannungsverhältnis Staat, Religion und Ökonomie in der Islamischen Republik Iran. Das ist insofern verdienstvoll, als die hochdynamische iranische Medienlandschaft bislang zu wenig Gegenstand westlicher Forschung war. Insofern dürfte die Publikation ihre Rezipienten in der internationalen Kommunikationswissenschaft oder Regionalwissenschaft finden.

Letztlich gelingt es dem Autor jedoch nicht, ein schlüssiges theoretisches Konzept des “Paradoxon der Modernität iranischer Medien” jenseits dichotomer Sichtweisen zu entwickeln. Die Aufteilung der Kapitel irritiert, weil etwa wichtige Grundlagen wie die geltenden Mediengesetze in Iran erst weit hinten angerissen werden. Ohne dem Autor böse Absichten unterstellen zu wollen, wirft die Zitierweise im Literaturverzeichnis zudem die Frage der Transparenz auf. Denn ein nicht unbeträchtlicher Teil der Quellen wurde aus dem persischen Farsi ins Englische übersetzt, ohne den persischen Originaltitel, zumindest in der lateinischen Umschrift, beizufügen.

Zur Einführung in die iranischen Medien sei deshalb zunächst die systematische und logisch aufgebaute deutschsprachige Publikation von Shir Mohammad Rawan aus dem Jahr 2000 empfohlen, die auf intensiver empirischer Recherche vor Ort im Iran beruht und die auch einen Einblick in Zeitungsinhalte und Nutzerverhalten bietet.

Literatur:

  • Mowlana, H.; L. J. Wilson: The passing of modernity. Communication and the transformation of society. New York u.a. [Longman] 1990
  • Rawan, S. M.: Moderne Massenmedien und traditionelle Kommunikation in Iran und Pakistan. Hamburg [Deutsches Orient-Institut] 2000
  • Schulze, R.: Gibt es eine islamische Moderne? In: Hafez, K. (Hrsg.): Der Islam und der Westen. Anstiftungen zum Dialog. Frankfurt a.M. [Fischer] 1997, S. 31-43

Links:

Über das BuchGholam Khiabany: Iranian Media. The Paradox of Modernity. New York, Abingdon [Routledge] 2010, 251 Seiten, 85£.Empfohlene ZitierweiseGholam Khiabany: Iranian Media. von Horz, Christine in rezensionen:kommunikation:medien, 11. November 2012, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/10539
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