Astrid Haack: Computerspiele als Teil der Jugendkultur

Einzelrezension
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Rezensiert von Lukas Meyer-Blankenburg

Einzelrezension
Die Computerspiel-Branche erfreut sich jährlich eines Umsatzes, der allein in Deutschland bei mehreren Hundert Millionen Euro liegt. Ihre Zielgruppe sind vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene. Berücksichtigt man darüber hinaus die Digitalisierung unserer Alltagswelt und die steigende Bedeutung moderner Technologie sowohl als Instrument als auch als Untersuchungsobjekt der Schulpädagogik, so erscheint Astrid Haacks Arbeit hier als längst überfällige religionspädagogische Annäherung. Die Autorin untersucht aus christlich theologischer Perspektive Anwendungsmöglichkeiten rezenter Computerspiele im Bereich der Religionspädagogik.

Der Arbeit zugrunde liegen Fragen nach Art und Funktion religiöser Elemente in Computerspielen, nach deren Wirkung auf Jugendliche und nach dem Umgang Jugendlicher mit solchen Spielen. Dienen besagte religiöse Elemente lediglich als ‘Übersetzungshilfe’ der digitalen Welt, oder erweisen sich die Spiele als explizit religiös? Wird der Spieler zu einer gottähnlichen Schöpferfigur, die allmächtig und all-klickend das Schicksal seiner digitalen Kreatur mit dem Mauszeiger bestimmt? Und wenn ja: Macht ein derartiger Rekurs auf religiöse Elemente das Spielen selbst zu einer religiösen Betätigung?

Der Text lässt sich grob in drei Abschnitte gliedern. Der erste Teil beschäftigt sich mit der theoretischen Begriffsklärung. Neben themenrelevanten Passagen zur Theorie des Spiels sowie entwicklungspsychologischen Aspekten der Mediennutzung von Jugendlichen stößt der Leser hier auch auf eine Vielzahl knapp abgehandelter kultur- und medientheoretischer Begrifflichkeiten. Leider stiften diese in ihrer Kürze vor allem Verwirrung. Die Autorin zeigt sich bemüht, den weiten theoretischen Kontext abzustecken, verliert sich dabei aber etwas auf terminologischen und theoriegeschichtlichen Nebenschauplätzen.

Der Mittelteil verhandelt Forschungsstand und -gegenstand der Arbeit am Beispiel von Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern. Haack wertet die Antworten von 733 Schülern im Alter von 12 bis 16 Jahren aus. Diese wurden zu ihrer Computernutzung und ihrem Spielverhalten sowie zu einzelnen Computerspielen eingehend befragt. Eine solche Befragung vertiefe Haack zufolge aktuelle Studien wie bspw. die JIM-Studien (bis 2006) oder die Shell-Jugendstudien (bis 2007).

Der abschließende dritte Teil besteht aus einer Analyse der drei Computerspiele Black & White (2001), Popoulos III (1998) und Sims Deluxe (2006). Hier werden beispielhaft Anwendungsmöglichkeiten für den Religionsunterricht illustriert.

Die Analyse erfolgt in drei Schritten: Zunächst werden die Spiele auf ihre religiösen (vornehmlich christlichen) Elemente hin untersucht. In einem nächsten Schritt beleuchtet Haack, “welche Grundbedürfnisse, Sehnsüchte und Werte Jugendlicher das [jeweilige] Spiel anspricht, um die Attraktivität für die Heranwachsenden zu gewährleisten” (363). Anschließend hebt die Autorin mögliche Anknüpfungspunkte für den Religionsunterricht hervor. Tatsächlich verdeutlicht bereits Haacks erste Analyse vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für den Unterricht. So können anhand der Spiele ethische Fragen zu Familie, Gewalt, Nächstenliebe oder Gerechtigkeit diskutiert werden. Weitere Themen reichen von eher stilistischen oder ästhetischen Fragen nach Gottesdarstellung und im Spiel vermittelter Weltvorstellung bis zu aktuellen Diskussionen rund um den interreligiösen Dialog, religiöse Konflikte und Religion in den digitalen Medien allgemein.

Theologisches Fundament von Haacks Arbeit bilden Gedanken des Theologen Gerhard Marcel Martin, dem zufolge die Welt “ein Spiel Gottes” sei (364). In Haacks eigenen Worten sei im Spiel der “Charakter der Schöpfungsordnung Gottes besonders deutlich [zu] erkennen”. Im Spiel werde “menschliches Lernen in der Auseinandersetzung mit sich selbst” unterstützt und das Spiel fungiere als “Kultur schaffender Träger”. Folglich könne das Spiel als “gute Gabe Gottes verstanden werden, die der Mensch in Freiheit und Gelassenheit genießen darf” (454). Diese Interpretation theologisiert das Computerspielen und hebt es in einen als göttlich verstandenen Kontext. Auch Funktionalisierung des Spiels als kulturschaffend und damit sinn-stiftend oder zumindest sinn-vermittelnd ist praktisch-theologisch orientiert.

Diese Sichtweise schränkt jedoch den Fokus ein, indem Spielgenres, die stilistisch oder inhaltlich einem solch religiösen Verständnis des Spiels nicht zu entsprechen oder ihm sogar zu widersprechen scheinen, von vornherein ausgeschlossen werden. Auch wird hierbei mit einem verengt christlichen Gottesbegriff gearbeitet. Das Spiel erscheint eingebettet in einen göttlichen Schöpfungskontext, in welchem Gott selbst als oberster Spieler auftaucht. Gerade im Religions- und Ethikunterricht eines großstädtischen, kulturell vielfältigen Klassenzimmers jedoch kann eine solche religiöse Besetzung des Computerspiels ausschließende Wirkung entfalten. Die von Haack zur Verfügung gestellten Unterrichtsmethoden und Materialien scheinen für einen nicht konfessionsgebundenen Religionsunterricht nur eingeschränkt verwendbar.

Erstaunlicherweise sind digitale Medien und die Beschäftigung mit ihnen nicht in dem Maße ins Blickfeld der Religionspädagogik (als theologischer oder religionswissenschaftlicher Subdisziplin) gerückt, die ihrer gegenwärtigen gesellschaftlichen Relevanz entsprechen würde. Astrid Haacks Arbeit liefert hier lediglich einen theologischen Anstoß.

Eine deutschsprachige religionswissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema, die digitale Technologie nicht theologisiert, inhaltlich tiefer geht und das Thema terminologisch übersichtlicher und klarer aufarbeitet sowie darüber hinaus auch in der ästhetischen Aufmachung (Gliederung, Darstellung von Statistiken und Tabellen, Bildqualität) leserfreundlicher ist als die hier besprochene Arbeit, steht nach wie vor aus.

Links:

  • Verlagsinformationen zum Buch
  • Webpräsenz von Lukas Meyer-Blankenburg an der FU Berlin
Über das BuchAstrid Haack: Computerspiele als Teil der Jugendkultur. Herausforderungen für den Religionsunterricht. Reihe: Studien zur Christlichen Publizistik, Band 18. Erlangen [Christliche Publizistik Verlag] 2010, 543 Seiten, 28,– Euro.Empfohlene ZitierweiseAstrid Haack: Computerspiele als Teil der Jugendkultur. von Meyer-Blankenburg, Lukas in rezensionen:kommunikation:medien, 9. April 2012, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/8124
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