Constanze Jecker (Hrsg.): Religionen im Fernsehen

Einzelrezension
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Rezensiert von Marie-Therese Mäder

Einzelrezension
Das Buch Religionen im Fernsehen, Analysen und Perspektiven entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsprogramm Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft, das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wurde. Es verfügt über zwei Teile: Im ersten Teil “Methoden und Resultate” stellen die Verantwortlichen Joachim Trebbe, Philomen Schönhagen, Veronika Favre und Constanze Jecker das Projekt “Religionen im Fernsehen” vor. Anschließend kommentieren im zweiten Teil Medienexpertinnen und -experten, Wissenschaftler/-innen und Religionsvertreter die Untersuchung oder ergänzen das Themenfeld mit weiteren Überlegungen.

Für die Studie wurden zweimal im gleichen Jahr (28.01.2008–03.02.2008/13.–19.10.2008) während einer Woche alle Fernsehprogramme der ersten Programme der nationalen Sender SF1, TSR1 und TSI1 (nach alter Schreibweise) sowie Telebärn und Telezüri aufgezeichnet. Ihr Vorgehen bestand aus zwei Analyseschritten: Als erstes wurden anhand einer Strukturanalyse Sendeplätze, Programmkontexte und der Umfang, in dem Religion thematisiert wurde, erfasst. Es ging darum, Programmelemente zu markieren, “die im weitesten Sinne mit Religion, Religionsgemeinschaften und religiösen Akteuren in Verbindung gebracht werden können” (29). Daraus wurde in einem zweiten Schritt eine Fundstellenanalyse erstellt, aus der sich unterschiedliche Religionsdimensionen ableiten liessen. Um ihren Religionsbegriff zu differenzieren, berücksichtigen die Autoren theoretische Konzepte von Clifford Geertz, Ninian Smart und Malory Nye.

Ziel des ersten quantitativ ausgerichteten Untersuchungsschrittes war es, religionsspezifische Variablen zu bestimmen, um sie im zweiten Schritt wieder in den Programmkontext zurückzuführen. Dabei hielten die Forschenden fest, in welchem Format, zu welcher Zeit und in welchem Programmumfeld Religion thematisiert wurde. Als Zwischenergebnis hält Trebbe fest, “wie allgegenwärtig und alltäglich Religion(en) im Fernsehen ist, wenn man den weitest möglichen Begriff von Religion, also jedes (traditionelle und moderne) Symbol, Bilder, Architekturen, evtl. Namen als Zugriffskriterien zugrunde legt” (35). Zudem wird festgestellt, dass im Schweizer Fernsehen Religion vor allem innerhalb eines christlichen Kontexts gezeigt wird.

Während der erste Schritt der ersten Stichprobe einer quantitativen Inhaltsanalyse entspricht, erfolgt der zweite in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse. Dabei wurden nach bestimmten Kriterien 598 Fundstellen, in denen Religion explizit thematisiert wurde, ausgewählt. Aus diesen Beispielen wurde einerseits ein detaillierter Codeplan erstellt, nach dem sich die quantitative Inhaltsanalyse der zweiten Stichprobe richtet. Anderseits wurde aufgezeigt, wie Religionen im Schweizer Fernsehen dargestellt werden. Dabei fielen fünf Bereiche auf, in denen Religion eine Rolle spielt: “Tod bzw. Sterben, Sexualität, humanitäres bzw. soziales Engagement, Politik und Recht sowie Kultur und Geschichte” (53). Jecker und Schönhagen bemerken in ihrem Beitrag u. a., dass in der medialen Zuschreibung von Akteuren bestimmte Muster auftreten. “Im untersuchten Material fanden sich z. B. wiederkehrende Verbindungen von Muslimen mit Gewalt, von Buddhisten mit Friedfertigkeit und von Juden mit Wirtschaft” (60).

In der zweiten Programmstichprobe fokussierte die quantitative Inhaltsanalyse auf die Darstellung von Religion, Religionsgemeinschaften und Religiosität. In allen ersten Programmen wurde das Christentum – vor allem die römisch-katholische Kirche – am meisten thematisiert. Veronika Favre kommt zum Schluss, dass das Christentum mit seinen Riten, Normen und dem religiösen Leben “einen alltagsrelevanten und kulturellen Stellenwert in der Schweizer Gesellschaft innehat” (91). Bei der Darstellung des Islams dagegen wurde vor allem über dessen soziale Dimension berichtet. Ausserdem stellt Favre eine starke Präsenz “esoterischer Ideen” fest.

Bei den Stellungnahmen zur Studie im zweiten Teil des Buches fällt der Exkurs von Oliver Krüger auf (161-183). Der Autor gibt einen Überblick über die Präsenz von Religionen im deutschen Fernsehen. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt er einleuchtend auf, wie Religion und religiöse Bezüge sich in vielfältiger Weise und in verschiedenen Bereichen ausdrücken. So werden zum Beispiel auf der Produktionsebene bestimmte Programme und Sender von kirchlichen Institutionen finanziell unterstützt. Auf der Rezeptionsebene werden gemäß Krüger für bestimmte Glaubensgemeinschaften Verkündigungssendungen ausgestrahlt, die mit Online-Angeboten ergänzt werden.

Der Autor bemerkt, dass Sendungen des SWR und ZDF zum Islam – im Gegensatz zu Sendungen zum Christentum und Judentum – klar für ein nicht-muslimisches Publikum konzipiert sind und keine Verkündigungssendungen darstellen. “Die unterschiedliche Gestaltung der christlichen, jüdischen, und ‘islamischen’ Sendungen kann daher als medialer Diskurs zur Konstruktion von religiöser Identität und Alterität gelesen werden – der muslimische Glaube wird hier als etwas Anderes und Fremdes präsentiert – ein muslimisch Geistlicher, der die Zuschauer mit ‘wir’ anredet, scheint aus der Sicht der Programmverantwortlichen zur Zeit noch nicht zumutbar zu sein” (167).

Die “Reaktionen & Perspektiven” des zweiten Teils ergänzen die akribisch genau ausgeführte Studie mit wertvollen Konkretisierungen und Meinungen aus der Praxis zum Themenfeld Religion in den Medien. Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag zum Forschungsfeld Religion(en) im Fernsehen und könnte sowohl für Medienschaffende als auch im wissenschaftlichen Umfeld von Medien und Religion von Interesse sein. Die Studie macht deutlich, dass die mediale Verbreitung von Religion(en) einen relevanten Faktor in der gesellschaftlichen Konstruktion und Rezeption von Religion darstellt.

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Über das BuchConstanze Jecker (Hrsg.): Religionen im Fernsehen. Analysen und Perspektiven. Konstanz [UVK] 2011, 216 Seiten, 29,- Euro.Empfohlene ZitierweiseConstanze Jecker (Hrsg.): Religionen im Fernsehen. von Mäder, Marie-Therese in rezensionen:kommunikation:medien, 11. Dezember 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/7110
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