Ulrich Sarcinelli, Jens Tenscher (Hrsg.): Politikherstellung und Politikdarstellung

Einzelrezension
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Rezensiert von Peter Filzmaier

sarcinellitenscher2008Einzelrezension
Zugegeben: Der erste und oberflächliche Blick auf den Buchtitel löst keine wissenschaftlichen Spannungsgefühle aus. Als Beitrag zur politischen Kommunikation führen die Titelworte „Politikherstellung“ und „Politikdarstellung“ zur falschen (!) Erwartungshaltung, dem Leser würden letztlich altbekannte Theorien und/oder lediglich aktualisierte Befunde zur Empirie serviert. Noch dazu, wenn die Herausgeber Ulrich Sarcinelli und Jens Tenscher – gegenwärtig an der Universität Koblenz-Landau tätig – sowie fast alle Autorinnen und Autoren als führende Politik- und Kommunikationswissenschaftler zu diesem Themenbereich ohnehin eine lange Referenzliste von Publikationen vorzuweisen haben.

Das Geheimnis und der Mehrwert des Buches liegen jedoch in dem unscheinbaren Wörtchen „und“. Von den Herausgebern wird richtig festgestellt, dass die Kommunikationswissenschaft sich zwar mittlerweile ausführlich und in allen Facetten mit der Darstellung von Politik in Massenmedien beschäftigt. Doch die Politikherstellung ist kaum ein Thema, ja es wird im Regelfall im Fokus auf die medialen Vermittlungsformen nicht einmal der Versuch eines Brückenschlags dazu unternommen, wie Politik im nicht öffentlich sichtbaren Bereich entsteht. In der Politikwissenschaft ist das, etwas anders als im Buchvorwort postuliert, durchaus ein Forschungsinhalt – allerdings umgekehrt ebenso zumeist ohne Bezugnahme auf und Verknüpfung mit dem Aspekt der Darstellung.

Die simple Grundidee des Buches ist es somit, (fast) erstmals die zusammengehörenden Gebiete der Herstellung von Politik und ihrer (medialen) Darstellung zu verbinden. Der rote Faden dafür ist im ersten Teil entlang der politischen Institutionen geflochten: Karl-Rudolf Korte analysiert Entscheidungsfindung und Kommunikation von Regierungen, Stefan Marschall tut dasselbe für Parlamente und Matthias Ecker-Ehrhart im Konnex dazu für Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs).

Im zweiten Teil passt Christina Altides Beitrag über die Kommunikationspolitik von Europäischer Kommission und Europäischem Parlament in das Grundraster des Bandes. Zugleich werden Innen- und Außenkommunikation von Parteien und NGOs durch Patrick Donges und Martina Vogel bzw. Kathrin Voss thematisiert. Beide Beiträge sind gleichermaßen spannend, wird doch einerseits eine Zentralisierungsthese für Parteiorganisationen im Medienzeitalter aufgestellt, wobei – grob vereinfacht wiedergegeben – jedwede Dezentralisierung für die Kommunikation hergestellter Parteipolitik an den einheitlichen Darstellungszwängen scheitert. Voss beeindruckt andererseits bereits mit einer Kategorisierung von mindestens sechs Formen für die Positionen von PR in Organisationen – mit jeweils schwerwiegenden Konsequenzen für Politikherstellung und -darstellung.

Demgegenüber sehr spezifisch und weniger homogen erscheinen die Fallbeispiele im dritten Teil: Sie führen den Leser von den wenig erfolgreichen Kommunikationsversuchen für mehr Eigenverantwortung der Bürger in Deutschland an Stelle eines Allmachtsglaubens an einen starken Staat (Natascha Zuwislo-Grünewald, Franz Beitzinger und Jürgen Schulz) über die Kleinparteien FDP und Bündnis 90/Die Grünen in Parlament und Medienberichterstattung (Olaf Jandura) bis hin zur Rückkoppelung von politischer Kommunikation auf Landtagsabgeordnete (Hans-Mathias Kepplinger und Dorothea Marx). Hier ist jeder Einzelbeitrag hochinteressant; die Wurzeln des Buches in Tagungsinhalten führen allerdings – so auch das Beispiel der Darfur-Debatten im US-Repräsentantenhaus beim erwähnten Beitrag von Ecker-Ehrhart – zu einer sehr starken Streuung.

Nichtsdestoweniger ist die Summe der Beiträge ein kurz gefasster „state of the art“ der Politik- und Kommunikationswissenschaft zur Entstehung und Vermittlung von Politik. Die theoretische Fundierung ist breit und tief – vor allem im ersten Buchteil –, die Praxisbeispiele sind originär – und beides führt zu neuen, umfassenden und sehr relevanten Fragestellungen inklusive Antwortversuchen. Lediglich die internationale Einbindung des Buches ist trotz wiederholter Verweise auf den anglo-amerikanischen Raum nur bedingt möglich, da der mittelbare oder unmittelbare Bezug auf Deutschland klar dominiert.

Im deutschsprachigen Raum reicht der Band jedoch weit über den Usus hinaus, dass Tagungsbände primär für ehemalige Tagungsteilnehmer interessant sind. Stattdessen liefert er für Studierende, Lehrende und Forschende der Politik- und Kommunikationswissenschaft essenzielle Einblicke in einen interdisziplinär zu behandelnden Themenbereich ihrer Disziplinen.

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Über das BuchUlrich Sarcinelli, Jens Tenscher (Hrsg.): Politikherstellung und Politikdarstellung. Beiträge zur politischen Kommunikation. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2008, 214 Seiten, 27,50 Euro.Empfohlene ZitierweiseUlrich Sarcinelli, Jens Tenscher (Hrsg.): Politikherstellung und Politikdarstellung. von Filzmaier, Peter in rezensionen:kommunikation:medien, 19. Mai 2009, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/69
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