Eckart Roloff: Göttliche Geistesblitze

Einzelrezension
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Rezensiert von Wolfgang R. Langenbucher

Einzelrezension
Vor über vierzig Jahren tauchte der Name dieses Autors – damals noch Eckart Klaus Roloff – erstmals in der kommunikationswissenschaftlichen Fachliteratur auf: mit einer umfänglichen Dissertation sowie als Koautor verschiedener wissenschaftlicher  Studien aus dem Umkreis des so früh verstorbenen, ersten Ordinarius Günter Kieslich (1924-1971) des damals neu gegründeten Salzburger Publizistikinstitutes. Danach führte ihn seine Karriere noch für ein paar Jahre zu der Studiengruppe “Wissenschaft und Journalismus” am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld, dann für mehr als zehn Jahre in die Praxis  des Bundespressamtes (ganz in die Nähe von Walter J. Schütz) und schließlich in den Journalismus – genauer von 1988 bis 2007 in die Leitung des Ressorts Wissenschaft beim (inzwischen als selbständiges Wochenblatt eingegangenen) Rheinischen Merkur. Diese biographischen und fachhistorischen Vorbemerkungen sind geboten, um das hier anzuzeigende Buch einzuordnen: es ist das monographische Werk eines Wissenschaftsjournalisten,  der in einer für Aspekte der  Geschichte sensiblen Epoche Publizistikwissenschaft studiert hat und diesem Fach bis heute – ausgewiesen  durch eine zahlreiche Veröffentlichungen – eng verbunden blieb.

Als Journalist entdeckte Roloff das Thema dieses Buches; ihm fiel auf, wie oft Kirchenleute in sein Ressort Wissenschaft und Forschung involviert waren. Als Kommunikationshistoriker erfreute ihn, auch einige für diesen Bereich einschlägige Figuren seiner Galerie einfügen zu können.  Einführend dokumentiert er aber zunächst, welch merkwürdige Varianten des schöpferischen Tuns die Geschichte des Neuen hat; des weiteren, wie heftig Wissenschaft und Kirche einerseits miteinander im Konflikt lagen,  aber andererseits viele Klöster “Keimzellen des Fortschritts” (21) waren und auch die Gründungsgeschichte der Universitäten eng mit Einflüssen der (katholischen) Kirche zusammenhängt.

In den für diese Rezension interessanten Passagen begegnet man als erstes einem Pionier der Waschmaschine, dem Regensburger Jacob Christian Schäffer (1718-1790), der sich mit genialen Ideen  in die Kulturgeschichte des Papieres eingeschrieben hat – und damit auch in die bisher längsten Kapitel der Mediengeschichte. In jahrelangen Forschungen gelang  ihm der Nachweis, dass sich Papier auch aus Naturfasern herstellen lässt, um so der “allgemeine(n) Papiernoth” (177) abzuhelfen. Ganz direkt zur Pressehistorie hat Hermann Bräß (1738-1797) in der gleichen Epoche mit seiner Zeitung für Städte, Flecken und Dörfer beigetragen, den Roloff als den Erfinder des Leserbriefes porträtiert. Seine ergiebigste Quelle für dieses Kapitel ist die Eichstätter Journalistik-Dissertation von Andrea Mlitz (Dialogorientierter Journalismus, Konstanz 2008).

Näher in die Gegenwart führt die revolutionäre Erfindung der optischen Telegrafie durch den französischen Abbé Claude Chappe (1763-1805), der damit eine frühe Phase der modernen Kommunikationsgeschichte begründet. Berichte über die von ihm konstruierten mechanischen Signalanlagen – die Fackelpost der Antike aufgreifend – finden sich gelegentlich in journalistischen Kuriositätenkabinetten; die ausführliche Darstellung macht  deutlich, welch eine geniale, folgenreiche Idee hier realisiert wurde. Bis zur Erfindung der Morsezeichen verging noch ein halbes Jahrhundert. Frühe, praktische Träumer einer schnellen Überwindung von Raum und Zeit  waren das – es bleibt angesichts der unendlichen Mühen dieser Anfänge schwindelerregend, heute minütlich zu erfahren, was daraus inzwischen geworden ist. Eine Station auf dem Wege dieser Entwicklungen der Telekommunikation verdankt die Welt dem brasilianischen Geistlichen Roberto Landell de Moura (1861-1928), der um 1900 – zeitgleich mit Guglielmo Marconi (1874-1937) – damit beginnt, drahtlose telegrafische und telefonische  Experimente durchzuführen; einige Jahre verbrachte er dafür in den USA und betrieb ein Labor in Manhattan. Erschütternd zu lesen, wie schwer diesem Pionier (wie auch anderen) die erfinderische Arbeit gemacht wurde, ohne die wir uns ein Leben heute nicht mehr vorstellen können. Oft fielen ihre Namen und Taten dem Vergessen anheim, zumindest außerhalb der technischen Fachwelt. Es ist nicht das geringste Verdient des wissenschaftsgeschichtlich interessierten Journalisten Roloff, solche Namen und Sachverhalte mit seinen gründlichen Recherchen über die Zirkel oft sektiererischer Funkamateure heraus wieder ins Gedächtnis der Gebildeten zu holen.

Besonders hoch ist der für dieses Buch ohnehin charakteristische  Überraschungsgehalt im letzten Porträt: dieses gilt dem Kinofan August Musger (1868-1929), einem Kaplan  aus Graz, dem Erfinder der Zeitlupe: Mit seinen Patenten  schreibt er ganze Kapitel der Filmgeschichte, denn damit kann man die Bilder, die eben erst das Laufen gelernt haben, nun bremsen. Dass dieser erfolgreiche Erfinder schon 1904 einen Text des Titels “Der elektrische Fernseher” niederschrieb, kann nur visionär genannt werden.

Dieses Buch hat neunzehn Kapitel; es schließt mit plausiblen kirchenkritischen Überlegungen zum “Umgang der Kirchen mit Innovationen unserer Zeit” (311) (illustriert mit Kondomen “unerwünschte Technik: für den Vatikan trotz Aids ein Tabu”, 317). Der Thematik des Rezensionsorgans r:k:m geschuldet, wurde hier nur der kleinere Teil des Inhaltes vorgestellt. Für den ganzen Band aber gilt: der Autor hat sich geradezu leidenschaftlich in seine Thematik vertieft und vermittelt seinen Enthusiasmus auch an die Leser; zu jeder Figur betätigt er sich auch in einem Anhang gewissermaßen als Reiseführer und lädt zur Spurensuche ein (Sekundärliteratur, Geburts-und Sterbehaus, Denkmal, Stadtrundgänge, Brauchtum, Straßen, Institute, Theaterstücke, Museen usw.). Passagenweise verführte  seine Begeisterung für das Thema und seine geistlichen Repräsentanten Roloff zu einem fast hagiographischen Duktus, aber auch dann sind seine Darstellungen gesättigt mit wissenschaftsgeschichtlichen und biographischen Fakten und Zusammenhängen, von denen man sich wünscht, dass sie zum selbstverständlichen Bildungsgut werden.

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Über das BuchEckart Roloff: Göttliche Geistesblitze. Pfarrer und Priester als Erfinder und Entdecker. Reihe: Erlebnis Wissenschaft. Weinheim [WILEY-VCH Verlag] 2010, 337 Seiten, 24,90 EuroEmpfohlene ZitierweiseEckart Roloff: Göttliche Geistesblitze. von Langenbucher, Wolfgang R. in rezensionen:kommunikation:medien, 2. September 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/6483
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